Warum muss eine Bass-Membran groß sein um tiefe Töne wiederzugeben?

2 Antworten

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Hallo Johnnydavidson,

Um dir das alles richtig erklären zu können, müsstest du ein fortgeschrittenes Wissen der Physik und der Schwingungslehre besitzen, was aber wahrscheinlich nicht vorhanden ist, denn sonst würdest du ja deine Frage nicht stellen.

Ich versuche dir, die Zusammenhänge allgemein verständlich zu beschreiben... hoffentlich gelingt es mir, denn ich muss manchmal auch die Fachterminologie verwenden. Und kurz geht auch nicht, ich krieg das nur lang hin...grins.

Warum muss eine Bass-Membran groß sein um tiefe Töne wiederzugeben?

Du sprichst einen wichtigen Sachverhalt in der Lautsprechertechnik an, der aber ohne entsprechendes Hintergrundwissen nicht so leicht zu verstehen ist.

Deshalb muss ich dir zuerst einige Begriffe, die in dem Zusammenhang deiner Frage eine Rolle spielen, aufzählen und erklären.
Dazu verwende ich auch viele Beispiele zur Veranschaulichung.
Außerdem kannst du in der folgenden verlinkten Seite vieles gut verständlich nachlesen, denn der Verfasser stand auch vor dem Problem, schwierigen Stoff leicht verständlich zu machen, was ihm gut gelungen ist.

http://www.bassbacke.de/hints/bass/basslautsprecher.htm

Wahrscheinlich die Umfangreichste Wissenssammlung zum Thema Ton- und Aufnahmetechnik, Audiotechnik, vielen Tutorials und einer riesigen Sammlung von Fachbegriffen und deren Erklärung, bei welcher Anwendung sie eine Rolle spielen und welcher physikalische Hintergrund existiert.
Einziger Nachteil: Bist du das findest, was du suchst, kannst du leicht durchdrehen.

http://www.sengpielaudio.com/

und zum Thema:

http://www.sengpielaudio.com/Rechner-VerstaerkerLautsprecherUndOhm.htm

Eine sehr gute Einleitung in Raunakustik, Schallausbreitung im Raum und einiges mehr:

https://lnb.fbta.uni-karlsruhe.de/lnb/data/main/lm_data/lm_1318/roomac_1.htm

Mit diesen Begriffen solltest du etwas anfangen können:

  1. Was ist Schall?
  2. Was hat Schall mit Energieübertragung zu tun?
  3. Was ist Energieumwandlung und Energieentwertung?
  4. Welches sind die besonderen Eigenschaften der Musikinstrumente, die sehr tiefe Frequenzen mit großer Lautstärke abstrahlen im Vergleich zu Instrumenten, die nur sehr hohe Frequenzen ebenfalls laut erzeugen?
  5. In welchem Verhältnis stehen Membranfläche und Membranhub bei der Übertragung von akustischer Energie? Wenn du den Schalldruck, den ein bestimmter Lautsprecher bei einer bestimmten elektrischen Verstärkerleistung erzeugt, verdoppeln willst, welche Möglichkeiten hast du über die Membranfläche oder über den Membranhub?

Zu 1 und 2:
Schall breitet sich aus als Welle in elastischen Medien, wozu auch Luft gehört. Diese Wellen sind Druck- und Dichteschwankungen des Mediums,  die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten je nach Medium ausbreiten.

Eine Beschreibung der verschiedenen Arten der Schallerzeugung findest du in diesem UNI-Script, außerdem einige Beispiele, wie verschiedene Energieformen in Schallenergie gewandelt werden. Lies dazu bitte den ersten Absatz

http://medi.uni-oldenburg.de/download/docs/lehre/kollm_phystechmed_akustik/aku2.pdf

Zu 2 und 3:

Wir haben es eigentlich mit mehreren Energieformen zu tun. Zuerst haben wir die elektrische Energie, die der Verstärker liefert und vom elektrodynamischen Lautsprecher zuerst in magnetische, dann in mechanische Bewegungsenergie umgewandelt wird.

Bei jeder Energieumwandlung tritt auch eine Energieentwertung auf, das bedeutet, dass sich der Anteil der nutzbaren Energie verringert wie etwa durch Reibung, wodurch ein Teil der Energie in Wärmeenergie gewandelt wird und verloren geht.

Die Bewegungsenergie der schwingenden Membran wird an die Luft weitergegeben, wobei die Membranfläche und der Membranhub in einem bestimmten Zusammenhang stehen.

Zu 4:

Sie haben sehr große Resonanzkörper mit sehr großen Resonanzflächen.
Die eigentliche Schwingung einer Saite wird auf einen Resonanzkörper
übertragen, dessen große, schwingende Fläche erst die gewünschte
Lautstärke erzeugen kann.

Dieselbe Saite ohne Resonanzkörper erzeugt nur einen sehr geringen Schalldruck. Im Vergleich dazu ist eine Triangel viel kleiner, erzeugt aber dennoch eine hohe Lautstärke.

Wenn du diese Erkenntnisse auf die Lautsprechertechnik überträgst, benötigst du wie beim Klavier oder Kontrabass große Flächen, um die tiefen Frequenzen laut wiedergeben zu können.

Auf die Triangel gehe ich später ein aber diesen Teil deiner Frage müsstest du bereits jetzt beantworten können:

Man könnte doch auch einen Hochtöner langsam schwingen lassen?

Zu 5:

Es gilt folgende Regel:

Um die gleiche Wirkung zu erreichen wie bei der Verdoppelung der Membranfläche, müsste die Membran den vierfachen Hub machen.

Da man Lautsprecher nicht beliebig vergrößern kann, sind in der modernen
Lautsprechertechnik viele Hersteller dazu übergegangen, kleinere
Chassis mit einem sehr großen Hub zu bauen, insbesondere in der
Car-HiFi-Technik die Subwoofer-Chassis.

Da eine Vergrößerung des Hubs/der Auslenkung andere unterschiedliche  Schwierigkeiten erzeugt, stößt man schnell an verschiedene Grenzen durch:

  • nichtlineare Auslenkung
  • Dynamikkompression
  • Wirkungsgradverlust, der durch Erhöhung der Verstärkerausgangsleistung kompensiert werden muss

Es ist deshalb viel einfacher und sinnvoller, überall da, wo es vom Platz her möglich ist, Lautsprecher zur Tieftonwiedergabe mit großer Membranfläche einzusetzen oder eine Zusammenschaltung mehrerer kleinerer Chassis, bis man die Fläche des großen erreicht hat.

Ein anderes Prinzip, die akustische Leistung zu verstärken, ist der Einsatz eines Exponentialhorns, welches durch eine Energiewandlung eine Art Verstärkung erreicht und enorme Schalldrücke erzielen kann bei viel geringerer Verstärker-Ausgangsleistung.

Als Beispiel kannst du die Beschreibung des Eckhorn ATS lesen, denn es funktioniert wie ein Exponentialhorn:

http://www.lowther.de/subwoofer/ats_atk.asp

oder auch

http://www.elektronik-labor.de/HF/Lautsprecher/LS8.html

Noch ein Beispiel anhand des Grammophons ohne/mit Trichter, wobei dieser Artikel die Funktion des Exponentialhorns nicht gut erklärt, aber du erfährst, dass es so ist ;-)

http://www.plattenspieler.com/geschichte/schallverstaerkung/

Das langt fürs erste, ich muss alles noch einmal durchlesen und später eventuell Ergänzungen oder auch Korrekturen nachliefern.

Fiel Spaß bei der Lektüre

Grüße, Dalko


dalko  12.06.2017, 01:29

Huch, jetzt habe ich doch glatt die Wellenlänge und deinen Hochtöner vergessen.

Wie willst du bei einer Frequenz von 20 Hz mit der Wellenlänge von ungefähr 17m eine Schalldruckwelle im Medium Luft erzeugen mit einer Membran von 2.5 cm Durchmesser?

Du kannst selbstverständlich einen Hochtöner oder besser einen Miniaturlautsprecher mit einer Frequenz von 20 Hz ansteuern, er wird das auch in Bewegung umsetzen, allerdings bauartbedingt mit sehr geringer Amplitude und natürlich darf es nur eine sehr geringe elektrischen Leistung sein, sonst krepiert der HT sofort..

Die wenigen Luftmoleküle, die dabei durch die kleinen Membranbewegungen  in Schwingung versetzt werden können und sie als Druckschwankung weiterreichen, können nur extrem wenig akustische Energie übertragen, und der entstehende Ton ist so leise, dass er weit unter der Wahrnehmbarkeitsgrenze des menschlichen Gehörs bleibt.

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Jonnydavidson 
Beitragsersteller
 12.06.2017, 17:20
@dalko

WOW vielen Dank, selten eine so kompetente und ausführliche Antwort erhalten :)

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dalko  12.06.2017, 18:21
@Jonnydavidson

Danke, wobei ich gestern tatsächlich etwas den Faden verloren habe, der Überblick war plötzlich weg und ich fing an, an meiner Kompetenz zu zweifeln...eine Pause war angesagt.

Jetzt hocke ich schon wieder an deiner Frage und überlege, ob noch ein wichtiger Zusammenhang fehlt, und er ist mir auch eingefallen.

Es ist die Veränderung der Abstrahlcharakteristik bei Konus-Lautsprechern (zunehmende unerwünschte Bündelung) bei Frequenzen, deren Wellenlänge gleich oder kleiner dem Durchmesser der Membran sind.

Beispiel:

Bei einem TT mit 20 cm Membrandurchmesser beträgt die Wellenlänge eines abgestrahlten Tones von 1720 Hz genau diese 20 cm, Wellenlänge und Membrandurchmesser sind also gleich groß.

Da aber ein Lautsprecher eine ideale punktförmige Schallquelle sein sollte, stellt sich die Frage, wann er die Eigenschaften verliert, die einer punktförmigen Schallquelle zugeschrieben werden... und warum.

In diesem Zusammenhang spielen Wellenlänge und Membrandurchmesser die Hauptrolle und müssen bei der Entwicklung eines Lautsprechers berücksichtigt werden.... und das möchte ich dir noch erklären, wobei die Formulierung ziemlich anstrengend ist.

Ich schicke dir am Abend oder am Dienstag die Ergänzung und versuche es diesmal kürzer.

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dalko  13.06.2017, 21:35
@Jonnydavidson

Im abschließenden Teil meiner Antwort möchte ich dir die Zusammenhänge zwischen

  • einer idealen punktförmigen Schallquelle
  • einer realen Schallquelle mit unterschiedlich großen Membran-Fflächen
  • dem Frequenzgang eines Lautsprechers
  • der Richtcharakteristik eines Lautsprechers
  • der immer stärkeren Bündelung des Schalls bei Frequenzen, deren Wellenlänge gleich oder kleiner dem Durchmesser der Membranfläche sind

verdeutlichen.

Definition der punktförmigen Schallquelle:

Eine Schallquelle, deren Durchmesser sehr viel kleiner ist als die Wellenlänge des Schalls, den sie abstrahlt, nennt man punktförmig. Sie erzeugt ein ungerichtetes Schallfeld, dass sich in Form von Kugelwellen ausbreitet.

Ein realer Lautsprecher ist jedoch nicht punktförmig und ein Entwickler von Lautsprechersystemen muss sich überlegen, ob die Lautsprecherkombination insgesamt

ein gutes und gleichmäßiges Rundumstrahlverhalten haben soll,

oder

ob eine gewisse Bündelung toleriert werden kann

oder

sogar erwünscht ist.

Wenn man Frequenzgangmessungen anschaut, dann sieht man, das axiale Messungen, also senkrecht auf die Membranfläche ausgerichtet (wie auch normalerweise immer gemessen wird) immer ziemlich linear sind.

Aaber wie seht es aus, wenn einige Grad seitlich von dieser Achse gemessen wird?

Das Ergebnis sieht in der Regel alles andere als linear aus, denn es treten immer stärker werdende Frequenzgangeinbrüche auf, je größer der Winkel wird und je höher die Frequenzen werden.

Diese Abfall im Frequenzgang ist aber nicht gleichmäßig, sondern erhöht sich jeweils am Ende des Übertragungsbereiches des für einen bestimmten Frequenzbereich eingesetzten Lautsprechers.

Ein Beispiel anhand eines 3-Wege Lautsprechersystems:

TT 30 cm Membran-Durchmesser (Konus)
Wellenlänge 30 cm entspricht 1143,3 Hz

MT 10 cm Membran-Durchmesser (Konus)
Wellenlänge 10 cm entspricht 3430 Hz

HT 2 cm Membran-Durchmesser (Kalotte)
Wellenlänge 2 cm entspricht  17250 Hz

Demnach müsste die Übergangsfrequenz zwischen TT und MT möglichst unter 1143 Hz liegen, ich habe immer versucht, die Hälfte nicht zu überschreiten und hätte mich auf einen Wert von ca 600 Hz eingestellt.

Zwischen MT und HT auf die Hälfte von 3430 Hz, also ca. 1700 Hz die Übergangsfrequenz zu legen, würde aber nicht funktionieren, denn Kalottenhochtöner lassen sich in der Regel nicht so tief ankoppeln. In der Realität wird der Übergang zwischen MT und HT im Bereich zwischen 2500 Hz und allerhöchstens 4000 Hz liegen.

Die beim HT zu erwartende Bündelung beginnt wahrscheinlich schon unterhalb von 17250 Hz und macht bei dieser hohen Frequenz nicht viel aus, kann aber...erst die Überprüfung durch intensives Hören wird verraten, wie sich der HT in das Gesamtbild einfügen wird.

Hier habe ich eine einfache und verständliche Beschreibung des Sachverhaltes gefunden:

http://www.production-partner.de/basics/frequenzgang-und-richtcharakteristik-bei-lautsprechern/

Nur ein Lautsprechersystem, bei dem diese Zusammenhänge berücksichtigt wurden, garantiert eine über einen breiteren Winkel gleichmäßige Beschallungsfläche...ansonsten würden sich Musikliebhaber immer um den idealen Sitzplatz kloppen müssen, wenn bereits ein Meter links oder rechts die Höhen abgefallen sind.

Um alles noch etwas komplizierter zu machen, kommt noch ein weiteres Problem hinzu:

Da Energie nicht vernichtet werden kann, sondern nur entwertet, stellt sich die Frage, welche Folgen es hat, wenn die gleichmäßige (akustische) Energieverteilung wie bei einem unidirektional strahlenden TT bei Frequenzen unter 100 Hz sich im Bereich der Bündelung verändert… die gleich gebliebene Energiemenge konzentriert sich jetzt auf einen viel schmaleren Bereich ähnlich einem Trichter...die Energiedichte erhöht sich und die Lautstärke nimmt zu.
Dieser unerwünschte axiale Schalldruckanstieg beträgt ca. 6 dB/Oktave und muss durch die Frequenzweiche ausgeglichen werden.

Du siehst, dass die Konstruktion von Lautsprechersystemen eine ziemlich komplizierte Angelegenheit ist und die verschiedensten physikalischen Abhängigkeiten berücksichtigt werden müssen, denn eine Verbesserung einer bestimmten Eigenschaft verschlechtert fast immer eine Andere.

Es müssen also Kompromisse ohne Ende eingegangen werden, was nur mit viel Erfahrung und Hintergrundwissen erfolgreich ist.

Ich hoffe, dir diese Zusammenhänge halbwegs verständlich erklärt zu haben, und wenn du mal einen Lautsprecher bauen möchtest, kannst du dich gerne melden.

Grüße, Dalko

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Eine Membran die schwingt besitzt eine Resonanzfrequenz. Diese ist hauptsächlich abhängig von der Größe, Gewicht und Form der Membran. 
Siehe hier https://de.wikipedia.org/wiki/Schwingungsmembran

Das bedeutet jedes Chassis hat eine unterschiedliche Resonanzfrequenz bei der es am besten funktioniert. Um einen tiefen Ton zu realisieren musst du demnach eine möglichst große und schwere/träge Membran verwenden. Aus diesem Grund kann ein Hochtöner keine niedrigen Frequenzen spielen. Er kann einfach nicht genug Luft bewegen..
Andererseits kann ein Tieftöner keine hohen Frequenzen spielen da die Membran zu träge sit und sich nicht genug bewegen kann.

Kannst ja mal an einen Tieftöner unterschiedliche Frequenzen anlegen und dann wirst du merken das sich ab einem bestimmten Wert nichts mehr tut.