Sind die Augen von Kopffüßer und Wirbeltieren homolog oder analog?

3 Antworten

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Moin,

analog...

Mit der Einschätzung „homolog” würdest du ja behaupten, dass die für die Ausbildung dieser Augen verantwortlichen Erbinformationen in den beiden Tiergruppen auf einen gemeinsamen Ursprung zurück gehen. Immerhin begründet man ja gerade damit bei homologen Strukturen, dass die jeweiligen Merkmalsträger miteinander (mehr oder weniger nah) verwandt sind.

Doch wie ist das nun hier? Das Wirbeltierauge ist ein Linsenauge und folgt einem ziemlich einheitlichen Grundmuster (auch wenn konkrete Bedürfnisse innerhalb einzelner Verwandtschaftskreise der Wirbeltiergruppierungen auch Spezialisierungen oder Abweichungen voneinander hervorgebracht haben). Deshalb kannst du wohl davon ausgehen, dass dieser Augentyp bereits beim letzten gemeinsamen Vorfahren aller Wirbeltiere in diesen verbindenden Grundzügen vorhanden war. Und deshalb könnte man das Wirbeltierauge (in einer einfachen Version) als Grund dafür anführen, warum alle Wirbeltiere (Vertebrata) miteinander (mehr oder weniger nah) verwandt sind. Oder anders gesagt: Das Auge von „Fischen”, Amphibien, „Reptilien”, Vögeln und Säugern ist zueinander homolog.

Wie aber passt dann das Auge mancher Kopffüßer in dieses Bild? Auch eine kleine Gruppe innerhalb der Weichtiere (Mollusca) hat ein Linsenauge, das dem der Wirbeltiere im Aufbau überaus ähnlich ist. So ähnlich, dass man durchaus darauf kommen kann zu fragen, ob die beiden Augen nicht zueinander homolog sein könnten?!

Oft wird dann als Gegenargument angeführt, dass zwar das Endprodukt (das fertig ausgebildete Auge) gleich strukturiert sein mag, dass aber die Entstehung völlig anders sei. Doch Vorsicht! Diese Argumentation ist leider nicht stichhaltig, denn in den von Remane (1952) eingeführten Homologiekriterien steht aus gutem Grunde nichts davon, dass sich homologe Strukturen auf gleiche Weise bilden müssen. Sonst dürfte man beispielsweise die Gliedmaßen von holometabolen Insekten (Bienen, Käfer, Schmetterlinge...) und hemimetabolen Insekten (Schaben, Heuschrecken, Wanzen...) nicht als zueinander homolog ansehen, weil bei letzteren die Beine bereits im Larvenstadium angelegt sind und einfach von Häutung zu Häutung wachsen, während bei den Holometabola die Larven oft völlig beinlos sind und die Beine erst aus sogenannten Imaginalscheiben in der Puppenruhe gebildet werden.

Die Probleme sind woanders angesiedelt. Wenn man behaupten würde, dass das Wirbeltierlinsenauge und das Linsenauge einer kleinen Teilgruppe der Weichtiere zueinander homolog seien, dann ergäben sich daraus eine Reihe weiterer Forderungen: Zunächst einmal müsste dann die Stellung der Weichtiere, die über diesen Augentyp verfügen, innerhalb der Weichtiere geklärt werden. Die besagten Augen innerhalb der Weichtiere gibt es nur bei den Kopffüßern (Cephalopoda). Diese gelten aus diversen Gründen als am höchsten entwickelte Mollusken (sie stehen also nicht an der Basis aller Weichtiere). Aber das würde dann bedeuten, dass die Erbinformationen für ein Linsenauge bereits beim Urahn aller Weichtiere vorhanden gewesen sein müsste, damit diese Erbinformationen dann auch bis zu den Wirbeltieren hätte weitergegeben werden können (beachte, dass Homologie davon ausgeht, dass die Information einmal entstanden ist und die Merkmalsträger zu einem Verwandtschaftskreis zusammenführt!). Aber dann hätten ausnahmslos alle anderen Weichtiergruppen (Schnecken, Muscheln, Nautilus...) diesen Augentyp zugunsten von weitaus primitiveren Lichtsinnesorganen (Becheraugen, Lochkamera-Auge...) aufgeben müssen. Das ist eine evolutiv ziemlich „kostspielige” Annahme!

Die Alternative ist nicht besser: Die Kopffüßer und die Wirbeltiere hatten einst einen gemeinsamen Vorfahren (der das Linsenauge bereits besaß). Dann könnten diese zwei Schwestertaxa sein, wobei dann aber alle anderen Weichtiere davon ausgeschlossen wären. Das hieße, dass alle sonstigen Übereinstimmungen zwischen den Cephalopoden und den anderen Weichtieren dann Analogien wären! Das ist absurd.

Da ist es dann doch einfacher anzunehmen, dass sich das Linsenauge der Wirbeltiere und das der Cephalopoden analog zueinander entwickelt haben muss.

Und wenn man sich dann daraufhin den Aufbau der Augen in beiden Gruppierungen noch einmal genauer anschaut, entdeckt man auch Unterschiede. So ist das Vertebraten-Linsenauge invers, während die Cephalopoden-Augen evers sind. Die Lichtsinneszellen im eversen Auge der Weichtiere werden entwicklungsbiologisch erst später an das Nervensystem angeschlossen, im Gegensatz zum inversen Wirbeltierauge, dessen Lichtsinneszellen getrennt vom Augenbecher entstehen und daher "verkehrt (invers)" im Augenbecher sitzen.

Auch eine andere vermeintliche Gemeinsamkeit entpuppt sich tatsächlich beim näheren Hinsehen als Unterschied: Beide Augen haben Linsenmuskeln, die für die Scharfstellung des Bildes verantwortlich sind. Während aber beim Wirbeltier der Linsenmuskel dazu dient, die Linse zu verformen und so das Bild scharf zu stellen, sorgt er beim Kopffüßer dafür, die Linse vor und zurück zu bewegen, und verändert so die Schärfe des Bildes.

Fazit:
Das Linsenauge von Wirbeltieren und Kopffüßern ist analog zueinander entstanden. Erstens wäre eine homologe Entstehung nur mit viel zu vielen unwahrscheinlicheren Hilfsannahmen haltbar. Und zweitens gibt es doch kleine, aber entscheidende Unterschiede im Feinbau der Strukturen, so dass das Kriterium der spezifischen Qualität nur oberflächlich betrachtet erfüllt ist.

Trotzdem ist die Ähnlichkeit der Strukturen immer noch verblüffend, zumal auch die Bildung auf so ähnliche Weise genetisch reguliert erfolgt, dass man sogar davon sprechen könnte, hier eine Konvergenz zu betrachten. Falls dich das noch weiter interessiert, list du hier:

https://www.genesisnet.info/aktuelles/news_druck.php?News=214

LG von der Waterkant

@DedeM: grundsätzlich schlüssige Argumentation, allerdings haben ursprüngliche Wirbeltiere auch eine Linse, die sie nicht verformen, sondern mittels Muskeln vor- und zurückziehen, daher kann der Mechanismus des Scharfstellens nicht als Argument für die Analogie verwendet werden.

Analog. Es sind identische Lösungen (Linsenaugen) für denselben Zweck, aber höchstwahrscheinlich sind sie auf verschiedenen Evolutionswegen entstanden.

"Daher ist unstrittig, dass man beide Augen nicht als abstammungsverwandt (d. h. homolog) interpretieren kann, auch wenn die fertigen Konstruktionen insgesamt ähnlich sind."

Von https://www.genesisnet.info/index.php?News=214&Sprache=de

Warum bist eigentlich zu faul, selbst zu googeln ?

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung