kennt sich jeamnd mit der Interpretation von Rilkes Gedicht Kindheit aus?

1 Antwort

Rainer Maria Rilke: «Kindheit»

Es wäre gut viel nachzudenken,
um von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheits-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen – und warum?

Noch mahnt es uns: vielleicht in einem Regnen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll

Wie damals, da uns nichts geschah als nur,
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre

Es wäre gut viel nachzudenken,
um von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheits-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen – und warum?

Noch mahnt es uns: vielleicht in einem Regnen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll

Wie damals, da uns nichts geschah als nur,
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre
und wurden bis zum Rande voll Figur.

Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt
und so mit großen Fernen überladen
und wie von weit berufen und berührt

und langsam wie ein langer neuer Faden
in jene Bilder-Folgen eingeführt,
in welchen nun zu dauern uns verwirrt.

Wo er von der Kindheit schreibt – und er hat es oft getan –, bendet sich Rilke im Zuhause seines Dichtens, im Zustand vor dem Festwerden der Welt, im Versprechen, im Fragen, im Zustand der «entgleitenden Vergleiche», wie er 1902 formulierte. Die Kindheit ist Rilkes poetischer Zustand schlechthin. Nicht verzwergt und nicht verkitscht kehrt sie wieder, vielmehr feierlich und bedeutungsvoll, vom Dichter geschützt als Medium eines eigenen Ernstes.

Auch in seinem 1906 verfassten, «Kindheit» betitelten Gedicht lässt sich erkennen, dass sich Rilkes lyrische Meditationen nicht der Fertigkeit mit dem Wort verdanken, sondern dass sie zuerst gedacht, aus den offenen Räumen der Erfahrung geborgen werden – den
offenen, weil er das Unfeste, Fragliche, Schwankende in neuen Mischungsverhältnissen aufträgt und in Beziehung zum Prägnanten und Evidenten setzt. Wer sonst würde gerade die Kindheit durch das Motiv des Wiedersehens, der Wiederbegegnung charakterisieren, das doch den Alten vorbehalten schien? Wer würde das Kind in seiner Einsamkeit in die Weite stellen, erreicht von Fernen? Wer würde nicht die Kindheit selbst, sondern erst ihre Überwindung durch ein Eintauchen in die Verwirrungen charakterisieren? Rilke sieht Kindheit anders, er kann sie aus der Verschollenheit lösen und sie herstellen in einem ansteckenden Akt rätselhafter poetischer Kindwerdung.  

Albrecht Dürer sagt vom «guten Maler» einmal, er sei «inwen-dig voller Figur» und habe allzeit «etwas Neues» durch die Werke auszugießen. Rilke beerbt diese Wendung in seinen Versen aus den «Neuen Gedichten», und er erneuert das Denken: Das Kind ist dort «bis zum Rande voll Figur», es ist künstlerisch ohne Werk, steht in sich, aber verbunden mit der Kindheit der Menschheit, unverstanden und schwankend zwischen den Formen.


dodumuhkuh 
Beitragsersteller
 23.05.2017, 17:15

Danke für die Hilfe. Allerdings brauchen wir die Interpretation zum anderen Gedicht "Kindheit" von Rilke.

Sorry falls du dir jetzt wegen uns Mühe gemacht hast.

(Aber wenn du noch die Interpretation vom anderen hast, immer her damit.)

Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit
mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen.
O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen...
Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen
und auf den Plätzen die Fontänen springen
und in den Gärten wird die Welt so weit –.
Und durch das alles gehn im kleinen Kleid,
ganz anders als die andern gehn und gingen –:
O wunderliche Zeit, o Zeitverbringen,
o Einsamkeit.
Und in das alles fern hinauszuschauen:
Männer und Frauen; Männer, Männer, Frauen
und Kinder, welche anders sind und bunt;
und da ein Haus und dann und wann ein Hund
und Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen –:
O Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen,
o Tiefe ohne Grund.
Und so zu spielen: Ball und Ring und Reifen
in einem Garten, welcher sanft verblaßt,
und manchmal die Erwachsenen zu streifen,
blind und verwildert in des Haschens Hast,
aber am Abend still, mit kleinen steife
Schritten nachhaus zu gehn, fest angefaßt -:
O immer mehr entweichendes Begreifen,
o Angst, o Last.
Und stundenlang am großen grauen Teiche
mit einem kleinen Segelschiff zu knien;
es zu vergessen, weil noch andre, gleiche
und schönere Segel durch die Ringe ziehn,
und denken müssen an das kleine bleiche
Gesicht, das sinkend aus dem Teiche schien –:
O Kindheit, o entgleitende Vergleiche.
Wohin? Wohin?

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