Beste UNGEKÜRZTE Aufnahme des Barbier von Sevilla?
Hallo,
kann mir jemand sagen, welche der ungekürzten (also alle Rezitative und alle Arien) Aufnahmen von Rossinis "Barbier von Sevilla" am ehesten zu empfehlen ist? Wie ich bislang feststellen konnte, scheinen Humburg (Naxos; mit Vargas, Ganassi), Chailly (Sony; mit Horne, Nucci) und Gelmetti (EMI; mit Hampson, Ramey) ungekürzt zu sein. Ist das richtig? Alle benötigen auch 3 CDs.
Bitte keine gekürzten Aufnahmen empfehlen! Ich besitze bereits mehrere gute Aufnahmen, es geht mir daher wirklich um eine ungekürzte Aufnahme. Meist fehlen u.a. die Arie "Cessa di più resistere" und Secco-Rezitative (Balkonszene, Auftritt Fiorillos nach dem Duett Figaro/Almaviva, Szene mit Ambrogio, Gespräch Bartolo/Basilio vor dem Sturm).
Schon einmal vielen Dank für eure Antworten!
2 Antworten
Es ist schwierig, eine eindeutig beste Aufnahme anzugeben. Bei den besten Aufnahmen handelt es sich oft um kleine Qualitätsunterschiede auf hohem Niveau und es kann hineinspielen, wie einem die allgemeine Herangehensweise/Interpretation, das Timbre oder der Ausdruck von Sängerinnen/Sängern gefällt. In Aufnahme X kann Sänger(in) A besser gefallen (villeicht auch nur in einer einzelnen Arie), in Aufnahme Y dagegen Sänger(in) B.
Die genannten Aufnahmen (und eine weitere, von mir weiter unten angegebene) sind nach meinem Eindruck ungekürzt (die Arie Cessa di più resistere des Conte d'Almaviva [Tenor] ist auf jeden Fall enthalten; ob Rezitative minimal gekürzt sind oder nicht, fällt weniger auf).
Bei der Aufnahme von 1982 mit dem Dirigenten Riccardo Chailly fällt der Tenor Paolo Barbacini im Vergleich zur stärksten Konkurrenz in neueren Studioaufnahmen (und auch z. B. gegenüber Lawrence Brownlee und Juan Diego Flórez in Aufführungen in neuerer Zeit) in Bezug auf Klangschönheit (Schmelz in hoher Lage) und Virtuosität (bei sehr schnellen Läufen und Verzierungen etwas schwerfällig) deutlich ab.
vollständige digitale Studioaufnahmen, die empfehlenswert sind und besonders in Erwägung gezogen werden können (Reihenfolge bei Sängerinnen/Sängern: Rosina, Almaviva, Figaro, Bartolo, Basilio, Berta):
1) Will Humburg; Chor des Ungarischen Rundfunks, Kammerorchester Failoni Budapest; Sonia Ganassi; Ramón Vargas; Roberto Servile; Angelo Romero; Franco de Grandis; Ingrid Kertesi. Naxos 1992. 3 CDs, Gesamtspieldauer: 2 Stunden 37 Minuten 44 Sekunden
Die Aufnahme hat Schwung und ausgeprägte theatralische Lebendigkeit (sogar Geräusche von Szenen, die sich abspielen – wie z. B. Türen-Schlagen- , scheinen eingearbeitet worden zu sein). Die Besetzung hatte damals keine großen Star-Namen, neben einem sehr rollenerfahrenen italienischen Bariton als Bartolo wurden hauptsächlich begabte jüngere Sänger(innen) eingesetzt. Sonia Ganassi ist ein Mezzospran mit warmer, dunkel getönter Stimme, die in den tiefen Lage reich ist und große Ausdehnungsmöglichkeiten in die Höhe besitzt. In der Arie Una voce poco fa mag sie gegenüber stärkster Konkurrenz vielleicht nicht auf den ersten Platz gesetzt werden, aber ihre Gesamtleistung ist gut. Ramón Vargas war damals ein junger Tenor, der sich in Rossini- und Donizetti-Rollen auszeichnete. Seine Stimme ist klangschön, beweglich und verfügt über eine gute Höhe. Seine Mittellage ist für seinen Stimmtyp ungewöhnlich voll. In der Arie Ecco, ridente in cielo tritt er in den Läufen ziemlich draufgängerisch auf. In der zweiten Arie (Se il mio nome saper voi bramate) agiert er dann mehr zurückgenommen, sanft einschmeichelnd. Roberto Servile hat eine klangschöne, bewegliche und kräftige Bariton-Stimme. Er kann Humor austrahlen. Wo sich eine Gelegenheit bietet, neigt er zu vollen Klängen und lange gehaltenen hohen Tönen. Franco de Grandis betont das Imposante, die Arie La calunnia è un venticello ist eindrucksvoll mit viel Steigerung von leisem Anfang bis zu lauter Entladung.
Ich habe diese Aufnahme vor längerer Zeit erworben, weil sie nach meiner Meinung zu den besten des Werkes gehörte (und nicht eindeutig ingesamt übertroffen wurde) und zu einem sehr niedrigen Preis angeboten worden ist.
2) Gianluigi Gelmetti; Coro ed Orchestra della Toscana; Susanne Mentzer; Jerry Hadley; Thomas Hampson; Bruno Praticò; Samuel Ramey; Amelia Felle. EMI 1992. 3 CDs, Gesamtspieldauer: 2 Stunden, 39 Minuten 33 Sekunden
Ein Gesamtansatz scheint zu sein, die Musik, wie sie vom Komponisten geschrieben worden ist, wirken zu lassen, attraktive Stimmen sicher zu führen und dabei dick Aufgetragenes, das in plumpe und verzerrende Übertreibungen abrutschen kann, zu vermeiden. Die etwas ruhigere/gedämpftere Gestaltung führt dazu, vergleichweise nicht so viel sprühenden Witz und ausgelassene Fröhlichkeit zu transportieren. Susanne Mentzer singt gut, wohl mit durch den Gesamtansatz bedingt ist ihr Porträt auf dieser Aufnahme allerdings keines, das ein Höchstmaß an lebendiger Wärme und Witzigkeit/Bissigkeit ausstrahlt. Jerry Hadley war damals eher ein lyrischer Tenor als ein Rossini-Spezialist. Er hat wundervolle Momente, bei Stellen wie Ecco, ridente in cielo und Cessa di più resistere ist allerdings auch zu merken, daß ihm extreme Spitzentöne und sehr rasante Läufe und Verzierungen etwas Mühe bereiten. Thomas Hampson ist ein lyrischer Bariton mit einer klangschönen Stimme, beweglich, zu Fülle und Süße imstande. Der Gesamtansatz führt dazu, die Figur etwas weniger mit innerer Anteilnahme in plastischer Lebendigkeit hervortreten zu lassen. Samuel Ramey ist (wie auch in mehreren anderen Aufnahmen) ein ausgezeichneter Basilio.
3) Jesús López Cobos; Chœur du Grand Théâtre de Genève, Orchestre de Chambre de Lausanne; Jennifer Larmore; Raúl Giménez; Håkan Hagegård; Alessandro Corbelli; Samuel Ramey; Barbara Frittoli. Teldec 1992. 2 CDs, Gesamtspieldauer: 2 Stunden, 31 Minuten, 3 Sekunde
Die Aufnahme vermittelt Humor und Lebensfreude, wobei dies stärker von Seiten der Gesangsbesetzung als vom Dirigenten geschieht. Jennifer Larmore hat eine volle, umfangreiche, bewegliche und klangschöne Stimme. Sie bietet eine gelungene Rollengestaltung. Bei der Arie Una voce poco fa neige ich dazu, ihr gegenüber den beiden anderen angebenen Aufnahmen ein klein wenig den Vorzug zu geben. Raúl Giménez ist ein tenore di grazia (leichte, bewegliche Stimme, mit nicht viel Volumen und Kraft, dafür viel Anmut bis hin zur Honigsüße und feinen Abstufungen). Er singt musterhaft und zeichnet sich durch besondere Eleganz aus. Håkan Hagegård singt engagiert, strahlt Witz und Charme aus. Seine Stimme ist klangschön, nicht besonders kräftig, Geschmeidigkeit und Geläufigkeit sind nicht am allergrößten bei Stellen, die viel Virtuosität erfordern. Alessandro Corbelli ist als Bartolo ausgezeichnet, wie auch Samuel Ramey als Basilio.
Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Ich werde dann wohl nach der Humburg-Aufnahme Ausschau halten.
Viele Grüße
kurtvictor
Wenn ich mich nicht täusche, ist auch diese Aufnahme ungekürzt, aber alt:
Aber vermutlich hast du die schon...
Trotz der Striche halte ich diese Aufnahme für eine der besten, die auf dem Markt sind. (Sir) Thomas Allen hat hier Maßstäbe gesetzt, die nicht so leicht zu überbieten sind.
Danach kann ich nur noch die Sony-Einspielung unter Chailly mit Horne und Leo Nucci empfehlen. Ob tatsächlich alle Rezitative enthalten sind, kann ich jetzt aber auch nicht sagen.
Vielen Dank für die bisherigen Antworten.
Bei der Einschätzung der Marriner-Einspielung stimme ich in jedem Fall zu. Eine hervorragende Aufnahme!
Die Chailly-Aufnahme liegt zumindest auf 3 CDs vor, während die meisten anderen mit 2 CDs auskommen. Das deutet zumindest auf Vollständigkeit hin. Allerdings habe ich über den Tenor der Aufnahme bisher eher negative Beurteilungen gelesen. Daher wäre ein Vergleich mit anderen vollständigen Aufnahmen (Humburg,Gelmetti) interessant,
Ja, diese Aufnahme besitze ich und sie ist bei weitem nicht ungekürzt; die Secco-Rezitative sind sogar relativ stark gekürzt. Die Schlussarie ist jedoch enthalten.