In diesem Konflikt geht es nicht allein um Erdgas, sondern den Bestrebungen von Seiten der Türkei, den Machtausbau im Mittelmeer voranzutreiben.

Die Türkei fühlt sich etwas gekränkt durch die heutige Situation und viele Türken erinnern sich gern an die Zeit des Osmanischen Reichs zurück. Dort war die Türkei groß, hatte in vielen Ländern Macht und gab den Ton an.

Erdogan weiß, dass viele Türken auf solche Phantasien abfahren und daher nutzt er den aktuellen Streit um vor der miserablen wirtschaftlichen Lage der Türkei abzulenken.

Es ist reine Symbolpolitik wie auch die Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee. Der durchschnittliche Erdogan-Unterstützer mag das. Die meisten Erdogan-Wähler stammen eher aus der Unterschicht. Die gebildete türkische Bevölkerung lehnt seine Politik ab.

Wir betrachten daher nachfolgend die Situation zwischen Griechenland und der Türkei.

Entwicklung

Die Türkei deutet Verträge gern um, besonders den Vertrag von Lausanne:

Die ostägäischen Inseln, deren Gebiet bis vor die türkische Küste reicht, gehören gemäss dem Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923 zu Griechenland. Unter dem Regime Erdogan beginnt die Türkei nun aktiv dagegen aufzubegehren.

Griechenland hat durch die vielen kleinen Inseln einen Vorteil:

Griechenland stützt sich auf die von ihm unterzeichnete und ratifizierte UN-Seerechtskonvention (Unclos). Diese sieht für (bewohnte) Inseln einen Festlandsockel und die Möglichkeit der Ausdehnung der nationalen Hoheitsgewässer von 6 auf 12 Seemeilen vor sowie eine Ausschliessliche Wirtschaftszone (AWΖ) bis zu 200 Seemeilen, innerhalb deren der jeweilige Küstenstaat über die exklusiven Nutzungsrechte der natürlichen Ressourcen verfügt.

Das ignoriert die Türkei, da sie noch nicht einmal der UN-Seerechtskonvention beigetreten ist.

Griechenland kann gemäß UN-Seerechtskonvention also sehr wohl die Gewässer ausdehnen von 6 auf 12 Seemeilen. Das gefällt der Türkei nicht und sie drohen mit Krieg:

Die Türkei hat mehrfach betont, dass sie einen solchen Akt als Casus Belli betrachten würde, im Schwarzen Meer und im Mittelmeer jedoch ihre Hoheitsgewässer auf 12 Seemeilen ausgeweitet

Ich betone noch einmal: Der Schritt wäre von Seiten Griechenlands gem. UN-Seerechtskonvention völlig legal. Die Türkei ignoriert dise und baut Drohgebärden auf.

Der aktuelle Konflikt dreht sich aber eher um die Ausschließlichen Wirtschaftszonen:

Nun ist der Konflikt wieder aufgeflammt, doch im Unterschied zu früher stehen nicht so sehr die Frage der Hoheitsgewässer, sondern die Ansprüche auf die AWZ im Vordergrund.

Die Türkei hat ein Abkommen mit Libyen getroffen, ignoriert aber Griechenland vollständig:

Die Türkei glaubt, mit dem im November 2019 mit dem libyschen Ministerpräsidenten vereinbarten Abkommen ihre Ansprüche gesichert zu haben. Der türkische Kontinentalsockel reicht gemäss diesem Abkommen, in dem die griechischen Ansprüche komplett ignoriert werden, bis zur Ostküste Kretas.

Das lustige ist nun, dass das Abkommen selbst in Libyen abgelehnt wurde:

Doch nicht nur deshalb ist das Abkommen völkerrechtlich fragwürdig. Es wurde auch vom libyschen Parlament abgelehnt und nicht ratifiziert.

Was sieht Erdogan also als Lösung? Drohgebärden, indem er ein Forschungsschiff und Kriegsschiffe ins Mittelmeer schickt:

Um ihre aus diesem Abkommen abgeleiteten Ansprüche zu manifestieren, kündigte die Türkei bereits Wochen im Voraus die Entsendung des Forschungsschiffs «Oruc Reis» an. Flottenverbände beider Länder marschierten in der Seeregion südöstlich von Kastelorizo auf, während die «Oruc Reis» immer noch vor Antalya lag.

Da die Türkei weiß, dass das Recht nicht auf ihrer Seite ist, versuchen sie die Ansprüche Griechenlands einzuschränken:

Angesichts der durch das internationale Seerecht gestützten griechischen Position ging es ihr vor allem darum, eine maximale Umsetzung der griechischen Ansprüche zu verhindern und Verhandlungen zu erwirken.

Fragwürdig ist, ob es der Türkei wirklich um das Erdgas geht, oder um den Ausbau der Macht:

Oder geht es der Türkei darum, die Doktrin des «Blauen Vaterlands» («Mavi Vatan») durchzusetzen, die einen unverhüllten Anspruch auf die Vorherrschaft im östlichen Mittel meer und in der Ägäis darstellt? Bei der Definition der jeweiligen AWZ soll nicht dieVölkerrechtspraxis ausschlaggebend sein, sondern der Wille des regionalen Hegemonen. Die anderen Staaten werden als nicht ebenbürtig betrachtet, sondern die türkische Regierung erwartet, dass sie sich ihrem neoosmanischen Dominanzanspruch unterordnen.

Diese neoosmanischen Machtansprüche führen zunehmend zu einer Isolation der Türkei:

Diese schon länger zu beobachtende Haltung hat zu einer zunehmenden Isolation der Türkei in der Region geführt. Griechenland kann dagegen erstmals im maritimen Streit mit dem Nachbarland auf Verbündete zählen.

Es gibt also nicht nur einen Konflikt mit Griechenland, sondern auch mit Zypern, Ägypten, Israel und Frankreich.

Und weil Erdogan weiß, dass er den Vertrag von Lausanne nicht ignorieren kann, soll er einfach revidiert werden:

Zur Vertrauensbildung trägt gewiss nicht bei, dass Erdogan bei seinem letzten Besuch in Athen Ende 2017 die Revision des Vertrags von Lausanne forderte, mit dem 1923 die bilateralen Beziehungen nach dem griechisch-türkischen Krieg geregelt wurden.

Geschichtlich gesehen hat die Türkei den Vertrag aber akzeptiert:

Griechenland und das Osmanische Reich hatten sich bereits 1913, nach den Balkankriegen, im Friedensvertrag von Athen darauf geeinigt, die Entscheidung über die Zugehörigkeit der ostägäischen Inseln dem Schiedsspruch der sechs damaligen europäischen Grossmächte zu überlassen. Deren Entscheidung wurde 1923 in Lausanne noch einmal festgehalten und auch von der Türkei akzeptiert.

Griechenland setzt auf Dialog:

Der griechische Ministerpräsident Mitsotakis brachte einmal mehr die Möglichkeit ins Spiel, den Streitfall dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag vorzulegen, wie es die griechische Position seit 1975 ist. Dies wäre indes nur möglich, wenn auch die Türkei zustimmte.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe vom 28.08.2020, Seite 8

Fazit

Primär ist Erdogans Politik an der Situation schuld. Wen er weniger neoosmanische Phantasien an den Tag legen würde, sondern auf Dialog setzen würde, könnte es auch eine Kooperation zwischen den Staaten der Mittelmeerregion geben.

Erdogan hat nun viel auf eine Karte gesetzt und kann nicht einfach nachgeben, da es dem Volk Schäwche vermitteln würde.

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