Auszug aus "Bild der Wissenschaft":

Gäbe es ein perfektes Vitamin-D-Gericht, dann wäre das wohl »Anguille del Papa«: Aale, wie der Papst sie mag. Zu den geräucherten Fischen kommen sonnengetrocknete Steinpilze auf den Tisch. Beides, Aal und Pilze, gehören zu den Lebensmitteln, die mit am meisten Vitamin D enthalten. 20 Mikrogramm davon sollten Erwachsene laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung jeden Tag zu sich nehmen – sofern sie nicht in die Sonne gehen.

Wer sich regelmäßig draußen aufhält, muss nicht unbedingt Aal essen: Vitamin D ist das einzige Vitamin, das der Körper selbst herstellen kann. Er braucht dafür nur Sonnenlicht – fast wie eine Pflanze, die Fotosynthese betreibt. In den tieferen Schichten der Oberhaut lagert das Provitamin D3, eine Vorstufe von Vitamin D. Treffen die UV-B-Strahlen der Sonne darauf, verwandelt es sich in Prävitamin D3. Dies zerfällt dann rasch in Vitamin D3, in der Fachsprache Cholecalciferol genannt. Leber und Niere bauen es zu Calcitriol um, der aktiven Form des Vitamin D.

Calcitriol ist wichtig für die Mineralisierung von Knochen und Zähnen, für die Muskelfunktion, die Zellteilung und für ein funktionierendes Immunsystem. Ein Vitamin-D-Mangel hat langfristig dramatische Folgen: Kinder, die mit Calcitriol unterversorgt sind, bekommen Rachitis – eine Erkrankung, die mit schweren Verformungen des Skeletts einhergeht. Bei Erwachsenen kann Vitamin-D-Mangel zu Knochenschmerzen führen, zu spontanen Brüchen und zu Osteoporose, dem gefürchteten »Knochenschwund«. Hinzu kommen eine erhöhte Infektanfälligkeit und eine ausgeprägte Muskelschwäche. Manche meinen, ein Vitamin-D-Defizit stehe zudem mit Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Herz- und Krebserkrankungen im Zusammenhang. Allerdings gibt es hierfür keine eindeutige wissenschaftliche Evidenz.

»Gewinner«-Nahrungsergänzungsmittel?

Vitamin D ist auch eines der beliebtesten Nahrungsergänzungsmittel. Der Lebensmittelverband Deutschland bezeichnete Vitamin D im Jahr 2018 als »Gewinner-Vitamin«, weil der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um gut 20 Prozent gewachsen war. 5,7 Millionen Packungen Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin D verkauften Deutschlands Apotheken, Drogerien und Supermärkte 2018 – oft an Kunden, die gar nicht sicher waren, ob sie einen Mangel haben.

»Die Symptome eines Vitamin-D-Defizits sind zu unspezifisch, als dass man die Ursache selbst erkennen könnte«, sagt Matthias Riedl, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer von medicum Hamburg, einem interdisziplinären medizinischen Versorgungszentrum. »Körperliche Schwäche und eine erhöhte Infektanfälligkeit können ja noch andere Gründe haben. Um einen Vitamin-D-Mangel festzustellen, ist deshalb eine Blutuntersuchung im Labor unerlässlich«, sagt der Diabetologe und Ernährungsmediziner. Von Tests für zu Hause, die man im Internet erstehen kann, rät Riedl ab.

Was aber tun, wenn der Vitamin-D-Spiegel niedrig oder gar zu niedrig ist? Mehr Aal auf den Tisch? Oder wenigstens Hering, der ebenfalls nennenswerte Mengen Vitamin D enthält? »Über die Nahrung allein decken wir den Bedarf nicht, denn so viele Eier und Fisch könnten wir gar nicht essen«, sagt Diabetologe Riedl. Der Mensch sei darauf angepasst, mit Hilfe von Sonnenlicht 80 bis 90 Prozent der nötigen Menge selbst zu produzieren.

Jeden Tag 20 Minuten Sonne

Laut Riedl würde es für einen ausreichend hohen Vitamin-D-Spiegel darum theoretisch genügen, Gesicht und Arme täglich für 15 bis 20 Minuten der Sonne auszusetzen. Trotzdem sind nach seinen Erfahrungen viele Nordeuropäer unterversorgt. Mit Vitamin-D-Präparaten könnten sie darum durchaus nachhelfen: »Die Syntheseleistung der Haut ist nicht immer gleich gut, zudem benutzen Menschen Make-up, Sonnenschutzmittel oder Tagescreme mit Lichtschutzfaktor. Das ist für die Hautkrebsprävention natürlich wichtig, die Vitamin-D-Bildung hemmt es aber.« Auch das Bundesamt für Strahlenschutz rät von ausgiebigem Sonnenbaden zur Vitamin-D-Produktion ab. Längere Bestrahlungen würden nicht zu einem Mehr an Vitamin D führen, sondern nur das Risiko für UV-bedingte Gesundheitsschäden erhöhen. Stattdessen solle man Gesicht, Hände und Arme ohne Sonnenschutz zwei- bis dreimal pro Woche der Sonne aussetzen und das für die Hälfte der Zeit, ab der ein Sonnenbrand droht.

Zu viel Vitamin D ist gefährlich

»Konzentrationen ab 125 Nanomol pro Liter Blutserum gelten nach internationalen Kriterien als potenziell schädlich, weil sie unter anderem Herz-Kreislauf-Probleme verursachen können«, sagt der Lübecker Smollich. Ab 375 Nanomol pro Liter sprächen Ärzte von einer Vitamin-D-Vergiftung, »dann drohen Nierenversagen, Weichteilverkalkungen und lebensbedrohliche Komplikationen.« Und das sei keine abstrakte Gefahr: »Es gibt zahlreiche Fallberichte, wonach Vitamin-D-Überdosierungen etwa zu Nierenversagen geführt haben.«

Übermäßiges Sonnenbaden verursache nachweislich keine Überdosis, wohl aber manches Vitaminpräparat, warnt die Verbraucherzentrale: »Beständig suggeriert die Werbung, dass es der Mehrheit der Bevölkerung einen gesundheitlichen Vorteil bringt, Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin D einzunehmen. Aus diesem Grund konsumieren viele Menschen diese, ohne jemals zuvor ihren Blutserumspiegel überprüfen haben zu lassen. Doch von einem klinischen Vitamin-D-Mangel sind die meisten weit entfernt.«

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