Hallo,

also nachdem ich deine Frage und deine Kommentare unter anderen Antworten gelesen haben, möchte ich ein paar Sachen klarstellen und dir hoffentlich auch helfen. Ich bin nämlich selbst asexuell und kann von meiner Seite berichten.

Zu Asexualität

Also zuerst einmal will ich klarstellen, dass Asexualität nicht bedeutet, dass man keinen Sex mag. Asexualität heißt zuerst einmal nur, dass man sich nicht sexuell zu anderen Menschen hingezogen fühlt.

Das sagt noch nichts über das sexuelle Verhalten aus. Es gibt Asexuelle, die Sex zwar nicht brauchen und die nicht das Verlangen danach haben, aber für die es ok ist, ihn ihrem Partner zuliebe zu haben, die manchmal Sex sogar ganz gut finden (sex-positive Asexuelle). Und es gibt Asexuelle, die nur möglichst wenig oder gar keinen Sex haben wollen. Es gibt Asexuelle, die masturbieren und die es nicht tun, es gibt welche in Beziehungen und ohne Beziehungen, usw.

Zu sexuellen und romantischen Orientierungen

Es gibt sexuelle und romantische Orientierungen. Man hat beides. Bei den meisten Menschen überschneiden sie sich, also ist ein heterosexueller Mensch oft auch heteroromantisch. Das muss aber nicht so sein.

Die sexuelle Orientierung besagt, von welchem Geschlecht man sich sexuell angezogen fühlt, also grob gesagt mit wem man Sex haben will. Polysexuelle fühlen sich also von mehreren Geschlechtern sexuell angezogen.

Die romantische Orientierung besagt, von welchem Geschlecht man sich romantisch angezogen fühlt, also grob gesagt, in wen man sich verliebt. Polyromantische Menschen fühlen sich von mehreren Geschlechtern romantisch angezogen.

Polysexualität/-romantik ist übrigens nicht mit Polyamorie zu verwechseln, was besagt, dass man mit mehreren Personen gleichzeitig zusammen sein kann/will, sich also von mehreren Personen gleichzeitig angezogen fühlt.

Normalerweise reden wir immer nur über die sexuelle Orientierung, die romantische wird meist außen vor gelassen. Wichtig wird sie erst, wenn sich romantische und sexuelle Orientierung unterscheiden. Am deutlichsten zu sehen ist das bei der asexuellen Community. Asexuelle Menschen fühlen keinerlei sexuelle Anziehung zu irgendjemandem, aber viele von ihnen können sich trotzdem verlieben - in wen, besagt die romantische Orientierung. Aber auch für andere Menschen kann die romantische Orientierung relevant sein. Sexuelle und romantische Orientierung gibt es in allen möglichen Kombinationen. Eine polyromantische Person kann also hetero-, homo-, bi-, pan-, asexuell oder etwas anderes sein...

Nach deiner Beschreibung wärst du also asexuell und polyromantisch.

Zum Thema Coming Out allgemein

Ein Outing ist ein gewagter Schritt. Du musst dich anvertrauen ohne zu wissen, wie dein Gegenüber reagiert. Andererseits: echte Freunde sollten dich so mögen wie du bist und du solltest mit ihnen reden können. Hast du einen besten Freund oder eine beste Freundin, der du nahe stehst? Wenn du nicht weißt, wie deine Freunde zu dem Thema LGBT+ stehen, musst du dich ja auch nicht direkt outen. Du kannst dich erst mal langsam an das Thema rantasten, gucken, was sie zu dem Thema allgemein äußern oder ob sie ablehnend wirken. Vielleicht guckt ihr mal einen Film oder eine Serie, wo ein lesbisches Paar drin vorkommt. Oder ihr begegnet auf der Straße einem schwulen Paar. Oder du sprichst sie wie zufällig auf das Thema an... Wenn du merkst, dass sie sich nicht negativ äußern, kannst du dich ja vorsichtig einer Freundin anvertrauen...

Sich zuerst z.B. einer besten Freundin anzuvertrauen ist vielleicht auch ein gutes "Training" für das Coming Out vor der Familie... Dann kannst du schon mal Erklärungen finden und kannst eventuelle Reaktionen, die du nicht erwartet hattest, vorausdenken und dir für spätere Coming Outs etwas Gutes zurecht legen. Freunde sind meistens auch nicht so betroffen davon wie Eltern, die gleich Angst haben, dass sie nie Enkel haben werden oder dass ihr Kind "missraten" ist.

Wenn du nicht mit einer Freundin reden willst, gibt es im Internet auch gute Beratung. Du kannst zum Beispiel Kummerkasten-Chats in Anspruch nehmen oder Telefonseelsorge. Das hat mir in der Phase sehr geholfen, als ich darüber reden und mir über ein paar Dinge klar werden musste... Empfehlen kann ich dir die https://www.diakonie-emailberatung.de/ (Emailberatung für Kinder und Jugendliche) oder auch https://www.profamilia.de/interaktiv/online-beratung.html (die sind direkt auf so was wie Sexualität, Familie und Partnerschaft spezialisiert).

Stress dich nicht, lass dir von niemandem etwas ein- oder ausreden, sondern höre auf dein Herz, deine Gefühle. Es ist dein Liebesleben.

Zum Thema Coming Out als asexuell und polyromantisch

Das Coming Out als asexuell ist nach meiner Erfahrung besonders schwierig. Wenn man dem Vater erklärt, dass man (als Frau) eben auch auf Frauen steht, dann kann der das ja immerhin noch nachvollziehen, wenn er selbst sich zu Frauen hingezogen fühlt. Asexualität verstehen viele Allosexuelle nicht, sie können es einfach nicht nachvollziehen. Das Problem hatte ich bei meinem Coming Out. Meine Mutter ist immer noch davon überzeugt, dass ich eigentlich lesbisch bin, aber naja... ;)

Zu deiner zweiten Frage: Wie das gehen kann, habe ich ja erklärt: Es gibt sexuelle und romantische Orientierungen. Allerdings ist die Frage, ob du deiner Familie unbedingt das alles schon "zumuten" willst, sie also mit den ganzen Informationen auf einmal zuschütten willst.

Die andere Frage ist: Musst du dich überhaupt outen? Ich kann verstehen, wenn man sich mitteilen will, ich habe mit Freunden das ja auch besprochen und habe es bei meiner Mutter zumindest versucht ;) Aber andererseits ist so etwas wie sexuelle Anziehung ja auch ziemlich privat. So lange sie dich nicht jeden Tag damit nerven, wann du denn endlich einen Freund bekommst, ist es ja auch eigentlich nicht wirklich interessant für sie... Viele sind ja inzwischen der Meinung, dass man sich gar nicht outen muss ("Ein Hetero outet sich ja auch nicht") sondern einfach sein (Liebes-)Leben leben sollte, und vielleicht dann halt als Frau einfach eine Frau mit nach Hause bringen sollte ("Das ist meine Freundin")...

Wenn du dich aber trotzdem outen willst (was ok wäre): Gehe es langsam an. Überschütte sie nicht mit Fremdworten, sondern erkläre deine _Gefühle_! Das ist viel verständlicher. Also sage ihnen, dass du kein Bedürfnis nach Sex hast. Wenn sie dich dann nach Beziehungen fragen, kannst du ja sagen, dass du dich trotzdem verlieben kannst... Und zwar nicht nur in Männer, sondern auch in Personen anderer Geschlechter.

Und dann könnte so etwas kommen wie "Ist das nicht das gleiche wie bisexuell/biromantisch?" Jein. Das kommt auf die Definition von Bisexualität an. Bi heißt übersetzt zwei - also heißt bisexuell wörtlich, dass man sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlt. Pansexualität erkennt an, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Es gibt für sie eben nicht nur Männer und
Frauen, sondern auch andere Geschlechter (nonbinary, agender,
genderfluid, ...). Pan-/Polysexualität stellt das binäre Geschlechterdenken in Frage und zeigt, dass man sich auch zu Menschen hingezogen fühlen kann, die Männer, Frauen oder etwas anderes sind.

Wenn du noch Fragen hast, frag einfach.

Alles Gute :)

...zur Antwort