Hallo,

ich würde noch die derzeitigen Studienbedingungen nach Bologna in den Blick nehmen. Mein Vorredner hat noch die VWL-Ausbildung vor Augen, wie sie in den 80ern und 90ern war. *Hach damals* Kurz zu meinem Hintergrund: Diplom-VWL, dann Job, dann Promotion in VWL. Jetzt wieder Job. Ich kenne der Promotion wegen und eines nebenberuflichen Bachelors in einem anderen Fach aber zumindest für meine Universität auch den Wiwi Bachelor bzw. die Inhalte sehr gut.

Zunächst wäre ich vorsichtig, ob das, was Du Dir unter dem VWL Studium vorstellst auch tatsächlich Gegenstand des VWL Studiums ist. In der ersten Antwort klang bereits an, dass es sehr mathematisch und abstrakt sein wird. Wenn ich hinzunehme, dass es vermutlich um einen Bachelor geht, dann wird es recht frustierend sein, wenn sich der Eindruck einstellt, dass man eigentlich gar nicht so viel über wirtschaftliche Zusammenhänge, wie sie beispielsweise in Tageszeitungen oder Nachrichten thematisiert werden lernt - bzw. nur in einer sehr abstrakten Weise.
VWL aus Interesse ist gut - aber dann würde ich gedanklich den Master einplanen, denn es wird erst im Anschluss an die Grundlagen, im Zuge einer Spezialisierung wirklich interessant - meiner Meinung nach.

Zum Thema Job-Aussichten. VWLer finden schon einen (gut bezahlten) Job. Dass Du als Taxifahrer endest, um ein Klischee aufzugreifen, ist unwahrscheinlich. typischerweise finden VWLer aber Jobs im öffentlichen Dienst (Verwaltung, Ministerien, Bundesbank, EZB, BaFin, Kartellamt, Bundesnetzagentur...), im akademischen/ wissenschaftlichen Bereich (Universität, Forschungsinstitute...) oder - jedenfalls früher mal - in Banken und Versicherungen. Letzteres ist stark rückläufig gewesen seit die Banken unter Kostendruck stehen und es erfordert einige Berufserfahrung. Als Einsteiger schwierig aber nicht unmöglich. Jedenfalls wenn man ALS Volkswirt arbeiten will und nicht als Rechenknecht... aber das können mittlerweile eh eher Physiker.
Außerdem vereinzelt in der Industrie in großen Konzernen und (deutlich häufiger) in Beratungsunternehmen wie McKinsey und Konsorten oder auch bei PwC (die haben auch Consultants). Ob es dann des VWLers Erfüllung ist ein Leben lang PowerPoint-Häschen zu sein und sich Work-Life-balance-mäßig ausbeuten zu lassen muss wieder jeder selbst wissen. Das lassen typischerweise nur die Bachelor-BWLer mit sich machen :) (Vorsicht Polemik!)
Ach ja und Interessengruppen/ Verbände/ Lobbyarbeit habe ich noch vergessen. ist aber meist schlecht bezahlt und ohne Netzwerk nicht einfach zu bekommen.

Das Problem ist nun meiner Meinung nach Folgendes:
Den Bereich Forschung/ Akademisches/ Wissenschaft kannst Du mehr oder minder vergessen, wenn Du nur einen Bachelor machst. Das ist in dieser Welt kein Studium, sondern eher ein Schnupperkurs. Master oder besser Promotion muss es eigentlich sein. Man soll nie nie sagen - aber Illussionen soll man sich auch keine machen.

Kommen wir zum Öffentlichen Dienst (außerhalb des Akademischen). Da ist ein Einstieg mit Bachelor möglich, aber die Verdienstmöglichkeiten sind beschränkt auf den gehobenen Dienst. Mit Master steigt man im höheren Dienst ein und nach einer (möglichen) Verbeamtung ist der Verdienst meiner Meinung nach in Ordnung. Das kann jeder sehen wie er will. Fakt ist aber: Mit einem Bachelor hast Du im ÖD aus formalen Gründen eine Decke über die, durch die man zwar durch kommt, aber das ist eine Frage von Dekaden und Glück. Steht jedenfalls in keinem Verhältnis zu vier Semestern mehr Studium für den Master.

Verbände und Lobbygruppen - schlecht bezahlt wie gesagt und schwierig rein zu kommen, wenn man keine Kontakte hat.

Bleibt die Privatwirtschaft. Wo ist hier der Vorteil eines VWLers? Typischerweise die Stärke in quantitativen Methoden, also Statistik und Mathematik plus eine VWLern eher - zu Recht oder zu Unrecht - zugesprochene Fähigkeit Zusammenhänge zu analysieren und zu erklären.
Wenn du ein sehr strakes Interesse an Mathematik hast und Dich dorthin spezialisieren willst, dann würde das für VWL sprechen und Dir hierhin berufliche Wege ebnen. Ins Risikocontrolling von Banken oder Versicherungen schafft man es damit aber heutzutage nicht mehr. Dazu ist ein Bachelor zu wenig Ausbildung und zudem sitzen da heute eher Physiker und Mathematiker.
Zu den Chancen in den von mir und meinem Vorredner angesprochenen internationalen Konzernen kann ich nicht viel sagen. Es gibt sie, das stimmt und sie sind attraktiv. Gut vorstellbar aber, dass Du mit Deinem Profil (der Berufserfahrung und Ausbildung wegen) gerade gute chancen hast. Du solltest nach dem Studium jedenfalls ortsungebunden bei der Job-Suche sein.

Kommen wir zur BWL. Wenn Dich Marketing, Controlling und Rechnungswesen nicht gerade unheimlich abschrecken, dann ist das denke ich ebenfalls eine Option. Ich selbst habe keine Ausbildung, aber meiner bescheidenen Meinung nach ist ein BWL Bachelor eigentlich nichts anderes als eine Berufsausbildung mit theoretischem Addon. Da mag nun aber der abgehobene VWLer aus mir sprechen ;)
Du bist aber "verwertbar" auf dem Arbeitsmarkt. In Deinem Fall könnte man aber zu Recht sagen, dass Du diesen Signaleffekt nicht brauchst, denn Du hast ja eine Ausbildung - warum also das ganze noch mal machen. Wenn es nur um den Stempel "studiert" geht (nach außen und bezogen auf den Arbeitsmarkt, nicht bezogen auf Deine Motivation zu studieren! Nicht falsch verstehen!) dann geh Deinen Interessen nach und mach VWL. Den Stempel "studiert" bekommst Du genauso, aber du hast was gemacht, das Dich (mutmaßlich) interessiert.

Dann vielleicht der Hinweis: Schau mal nach Unis - wenn du räumlich ungebunden bist - die einen "Wiwi" Bachelor anbieten. Frankfurt macht das beispielsweise. Da ist man weder BWLer noch VWLer. Klar, man wählt irgendwann eine Spezialisierung... aber ob man ein Semester mehr davon oder mehr davon macht bei nur 6 Semestern Gesamtstudiendauer macht den Bock nicht fett.

So. viel Text aber vielleicht war was Hilfreiches dabei.
Und dass die eine oder andere Aussage mit einem Augenzwinkern geschrieben ist, muss ich hoffentlich nicht noch extra betonen.

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