Zu Beginn ist ja ganz klar zu erkennen, dass Emilia Galotti nicht aufgeklärt ist: Sie ist naiv, unterwürfig, hat keine eigene Meinung, ist also vor allem abhängig... Durch die Geschehnisse in den Akten 2-5 entwickelt sich jedoch ihr Charakter, in der Katastrophe setzt sie sich gegen den Willen ihres Vaters durch, kritisiert die Willkür des Adels und wehrt sich gegen diese( will mich reißen, will mich bringen! Als ob wir keinen eigenen Willen hätten). Diese Auszüge sind als aufklärerisch zubezeichnen. Doch ist es aufklärerisch Selbstmord zu begehen!? Sie ist im Zwiespalt zwischen der Gewalt der Verführbarkeit und dem Zwang zur bürgerlichen Tugendhaftigkeit. Diese Tugendhaftigkeit, die sie durch die Erziehung zur frommen Frau vor allem von Odoardo festgeschrieben bekommt, setzt sie in der Katastrophe jedoch durch ihren in Zügen aufgeklärten Charakter durch: sie ersticht sich, begründet mit dem Ehrverlust durch den Verlust der Jungfräulichkeit. Handelt es sich hierbei um aufgeklärte Tugendhaftigkeit!? Für mich erscheinen diese Begriffe etwas gegensätzlich: Wie kann ein Bürgertum, dass als Tugenden Opferbereitschaft, Unterwürfigkeit und Jungfräulichkeit hat, sich gegen die Willkür des Adels wehren? In der antiken Version- der Virginia- folgt auf den Tod der Protagonistin ein Volksaufstand, in Emilia Galotti nichts dergleichen, der Ausgang ist ein Indikator für die Kritik an den verfestigten, feudalabsolutistischen Machtstrukturen. Meiner Meinung nach ist Lessings Stück dementsprechend nicht nur eine Kritik an die Willkür des Adels, sondern auch an den moralischen Rigorismus des Bürgertums bis zur Selbstzerstörung, aus welchem Grund das Bürgertum nicht die Geselsschaftsstrukturen ändern kann.

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