Hierzu Mark Twain:

»Meiner Ansicht nach muss die Beschreibung eines lauten, aufrührenden, ungestümen Vorgangs im Deutschen unvermeidlich zahmer ausfallen als im Englischen. Unsere beschreibenden Wörter haben hier einen tiefen, starken, volltönenden Klang, während ihre deutschen Entsprechungen mir dünn und sanft und kraftlos vorkommen. „Boom, burst, crash, roar, storm, bellow, blow, thunder, explosion; howl, cry, shout, yell, groan; battle, hell“ – das sind großartige Wörter, deren Kraft und Klanggewalt den Dingen, für die sie stehen, vollkommen angemessen ist. Ihre deutschen Entsprechungen dagegen wären wunderhübsch geeignet, Kinder damit in den Schlaf zu singen, oder aber meine ehrfurchtgebietenden Ohren sind mir zur Zierde gewachsen und nicht zu höchster Nützlichkeit beim Analysieren von Klängen. Würde irgendjemand bei einer Angelegenheit ums Leben zu kommen wünschen, die mit einem so zahmen Ausdruck wie „Schlacht“ belegt wird? Und würde sich nicht ein Schwindsüchtiger allzu sehr eingemummt vorkommen, wenn er sich anschickte, in Kragen und Siegelring in einen atmosphärischen Zustand hinauszutreten, zu dessen Bezeichnung das an Vogelgezwitscher erinnernde Wort „Gewitter“ benutzt wird? Oder man nehme das stärkste Wort, das die deutsche Sprache als Ersatz für das Fremdwort „Explosion“ kennt – „Ausbruch“. Da ist unser Wort „toothbrush“ noch kraftvoller.«

Aus: http://www.alvit.de/vf/de/mark-twain-die-schreckliche-deutsche-sprache.php

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Der anatomische Terminus Nucha stammt aus dem Arabischen (vgl. http://www.archive.org/stream/dasarabischeundh00hyrtuoft#page/188/mode/2up ), nicht aus dem Lateinischen.

Sofern sich hier kein Mediziner meldet, der es mit Bestimmtheit weiß, würde ich an deiner Stelle ein medizinisches bzw. anatomisches Wörterbuch zu Rate ziehen. Abweichungen von der im Deutschen üblichen Aussprache sind dort i.d.R. beim Stichwort vermerkt.

Am wahrscheinlichsten halte ich die Aussprache mit ch (wie in Buch).

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Ich weiß nicht, ob das in die richtige Richtung geht:

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Daniil Charms

Die neugierigen alten Frauen

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Eine alte Frau lehnte sich aus übergroßer Neugierde zu weit aus dem Fenster, fiel und zerschellte. Aus dem Fenster lehnte sich eine zweite alte Frau und begann, auf die Tote hinabzuschauen, aber aus übergroßer Neugierde fiel auch sie aus dem Fenster, fiel und zerschellte.

Dann fiel die dritte alte Frau aus dem Fenster, dann die vierte, dann die fünfte.

Als die sechste alte Frau hinausgefallen war, hatte ich es satt, ihnen zuzuschauen, und ging auf den Malcevskij Markt, wo man angeblich einem Blinden einen gestrickten Schal geschenkt hatte.

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Bücher, die man gelesen haben muss, gibt es nicht, abgesehen vom Handbuch der ersten eigenen Waschmaschine. Man kann nicht einfach eine Liste von Klassikern abarbeiten und ist dann gebildet.

Ein Klassiker ist ein Buch, das man immer wieder in die Hand nimmt und das einem bei jedem wiederlesen neue Aspekte offenbart. Zu den Büchern, die einem wichtig sind, findet man im Laufe des (Lese-)Lebens ganz alleine. Bücher empfehlen sich gegenseitig. Das läuft so ab, dass man, wenn man von einem Buch begeistert worden ist, vom selben Autor auch alles andere lesen will und auch die Bücher, die er selbst geschätzt hat.

Dennoch muss man irgendwo einen Anfang finden. Und es war klug, die Frage hier zu stellen (und nicht etwa einen Abriss der Weltliteratur zu konsultieren), denn hier erhältst du, gänzlich unrepräsentativ und unwissenschaftlich, eine Auswahl, die von lebendigen Menschen getroffen worden ist.

Da nun Schillers Faust und Hamlets Dante schon genannt worden sind, hier noch einige lesenswerte Klassiker:

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Georg Büchner: Woyzeck. Lenz. – Moderner ist die deutsche Literatur nicht mehr geworden.

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Jorge Luis Borges: Fiktionen. Das Aleph. – Zwei Erzählbände, gegen die alles, was heutzutage als „phantastische Literatur“ verkauft wird, der phantasieloseste Einheitsbrei ist.

Joseph Roth: Radetzkymarsch. – Einem jungen Mann kommt mit der zerfallenden Habsburgischen Monarchie der Lebensinhalt abhanden. Das melancholische Lächeln, mit dem das Buch geschrieben worden ist, überträgt sich unwillkürlich auf den Leser.

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Robert Walser: Geschwister Tanner. – In Simon Tanner findet sich einer der merkwürdigsten und bezauberndsten Charaktere der Weltliteratur: naiv und weise, respektlos und bescheiden, ein reines Paradoxon, aber natürlichste Mensch der Welt. (– zu viele Superlative? Ich glaube, nicht.)

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Adalbert Stifter: Der Nachsommer. – Ein Buch, in dem nichts geschieht, eine Beschwörung der Stille. Wenn du bereit bist, zu lesen, nicht um etwas zu erfahren, sondern um des Lesens willen, dann ist Stifter dein Mann.

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Anton Tschechow (auch Čechov): – Hier kann man nicht fehlgreifen: Erzählungen, Kurzromane, Dramen – Stimmungsgemälde voller Klarheit, Einfachheit, Lakonie. Der größte Schüler Mark Aurels.

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James Joyce: Ulysses. – Das Monument der Moderne. Die Odyssee noch einmal erzählt, aber nicht zwischen Troja und Ithaka, sondern in Dublin, und nicht in zehn Jahren, sondern in einem Tag.

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La Rochefoucauld: Reflexionen. – Eher ein Heft als ein Buch voll konzentrierter Boshaftigkeit: Alles ist durch unsere Eitelkeit motiviert – unsere Bescheidenheit, unsere Freigebigkeit, unsere Selbstverleugnung. Einer der Lehrer Nietzsches.

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Das Verb sein ist insofern ein besonderer Fall, als es in vielen indogerm. Sprachen aus Formen mehrerer Verben zusammengefügt ist, die selbständig nicht mehr existieren. Dieser Vorgang der Suppletion fand aber unabhängig voneinander erst innerhalb der Einzelsprachen statt, so dass man eine ganz unterschiedliche Verteilung der Stämme findet. Einen gemeinsamen Ursprung haben jeweils die folgenden Formen:

  1. Dt. sein, ist, sind, seid, sei u. ä. Engl. am, art (2. Pers. Sing., nur noch poet.), is, are. Lat. esse („sein“), sum („bin“), est („ist“), sunt („sind“) und alle anderen Formen des Präs., Imperf. und Fut. Altgr. εἶναι (eînai – „sein“), εἰμί (eimí –„bin“), εἶ (ei – „bist“), ἐστί (estí – „ist“) und alle anderen Formen des Präs., Imperf. und Fut. Russ. есть (jest – „ist“). Sanskr. asmi („bin“), asti („ist“), santi („sind“) sowie alle anderen Formen.

  2. Dt. bin, bist. Engl. to be, be!, been. Lat. fui („bin gewesen“) und alle anderen vom Perfektstamm gebildeten Formen. Russ. быть (byt – „sein“), буду (budu – „ich werde“) usw. Im Altgr. und im Sanskr. gibt es die eigenständigen Verben φύειν (phyein – „erzeugen, wachsen lassen, entstehen lassen“ – vgl. „Physik, Physiologie“) bzw. bhu- („sein, werden, entstehen, geschehen“).

  3. Dt. war, gewesen usw. Engl. was, were. Im Sanskr. gibt es das Verb vas- („wohnen, verweilen, leben“). Auch die dt. Wörter Wesen, Unwesen, Anwesen, anwesend, währen etc. sind verwandt.

Zur ersten Frage: Das Sanskrit hat also zwei Verben mit der Bedeutung sein, von denen das eine (bhu-, bhuvāmi – „ich bin“) vollkommen regelmäßig konjugiert wird.

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Das Verb sein wird verschieden gebraucht:

  1. als Hilfsverb (z.B. Er ist gegangen.)

  2. als Kopula, d.h. als ein Wort welches eine Verbindung zwischen dem Subjekt und der über das Subjekt gemachten Aussage herstellt (z.B. Die Rose ist rot. Zwei mal zwei ist vier.)

  3. als Vollverb im Sinne von existieren (z.B. In diesem Bach sind viele Fische. Ich denke, also bin ich.)

Zur dritten Frage: Als Hilfsverb kommt es natürlich nicht vor in Sprachen, die keine zusammengesetzten Verbformen bilden, z.B. Altgriechisch od. Sanskrit. Die Kopula wird in verschiedenen Sprachen nicht ausgedrückt, unter den indogerm. Sprachen etwa im Russischen: Что это? (Schto eto) – „Was (ergänze: ist) das?“ Eine Möglichkeit, die Existenz von etwas auszudrücken, wird sich aber wohl in jeder Sprache finden lassen.

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(Auf die Zweite Frage hat ja GrobGeschaetzt schon eine schöne Antwort gegeben.)

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Odysseus in lateinischen Texten:

Ovid, Metamorphosen XIII, 1–398 (Der Streit um die Waffen des Achilles)

Ovid, Ars amatoria II 123–142 (Odysseus bei Calypso)

Hyginus, Fabulae 95 (vorgestäuschter Wahnsinn), 108 (Trojanisches Pferd), 125 (Irrfahrten), 126 (Heimkehr), 127 (Tod durch Telegonus)

Cicero De officiis III, 97–99 (über den vorgetäuschten Wahnsinn, um sich dem Trojazug zu entziehen)

Vergil, Aeneis II, 44 ff. (Trojanisches Pferd), 90–104 (Sinon berichtet den Troern von den Intrigen des Odysseus), 613–638 (Polyphem)

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Zu empfehlen wären wohl v.a. Hyginus, Fabulae 125 und 126.

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Ersteinmal möchte ich dir sagen, dass ich es aller Ehren wert halte, dass du Unverständliches nicht einfach hinnimmst, sondern zu ergründen suchst. Das Gedicht hat seine Schwierigkeiten, die zwar nicht aus irgendwelcher hermetischen Metaphorik entstehen, aber aus einer Verkürzung und Doppelbödigkeit des Ausdrucks kommen können.

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Die Forderung, die das Gedicht an den Leser stellt, ist ja eher ungewöhnlich. Gemeinhin sagt man zu einem Menschen: Lass dich nicht erschüttern! Hier also das Gegenteil: Bleib erschütterbar! Gemeint ist, dass der Leser sich seine Sensibilität bewahren, sich nicht abstumpfen lassen möge. Adressiert ist das Gedicht an die Durchgedrehten, Umgehetzten, sprich: an jene, bei denen die Erschütterung so weit geht, dass sie (nahezu) den Verstand verlieren oder zumindest in starke Unruhe versetzt sind.

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Was für eine Erschütterung ist das? Zunächst die über die Kürze des Lebens allgemein: die Dinge erheben sich und geraten ins Wanken, der Mensch erhebt sich (aus der Wiege) und bald darauf wankt er (dem Grabe zu) oder, nüchterner ausgedrückt: das Lebenslicht wird angeschaltet und wieder abgeschaltet. Der nächste Vers Eh dein Kopf zum Totenkopf erkaltet ist doppeldeutig: zum einen rein zeitlich gesprochen (ehe du selbst stirbst, solange du noch lebst ...), zum anderen metaphorisch als Warnung (damit du nicht deine geistige Lebendigkeit verlierst, damit du nicht seelisch kalt und gleichgültig wirst ...) Am Ende jeder Strophe steht, wie der Refrain im Volks- oder Kirchenlied, gleichsam als Schlussfolgerung des in der Strophe Ausgeführten, die Formel mit der das Gedicht überschrieben ist: Bleib erschütterbar - doch widersteh!.

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In der zweiten Strophe wird gefordert, erschütterbar zu bleiben gegenüber Umweltzerstörung aus Profitgier. Das Motto dieser Profiteure und ihrer Unterstüzter Fortschritt marsch! Mit Gas und Gottvertrauen wandelt einen militärischen Befehl (Gleichschritt marsch!) ab, um auszudrücken, dass sie denselben blinden Gehorsam fordern wie er von Soldaten erwartet wird. Mit Gas und Gottvertrauen wandelt wohl die Formel Mit Mut und Gottvertrauen ab. Gas dürfte sich in diesem Zusammenhang auf die in der 2. Hälfte des 20. Jh. recht zahlreichen Giftgas- und Chemieunfälle, Gottvertrauen auf die Ahnungs- und Bedenkenlosigkeit, was die Folgen des vorangetriebenen Fortschritts betrifft, beziehen. In diesem Zusammenhang steht auch das eingemeinden: die Fortschrittsgläubigen werden hier als eine quasi religiöse Gemeinde betrachtet, in der man darauf wartet, dass die K0tze sich vergolde, d.h. dass aus dem eigenen (seelischen und körperlichen) Übelbefinden Profit entspringen möge.

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In der dritten Strophe wird das gesellschaftliche Miteinander betrachtet. Sie spricht von der Einschränkung der Denkfreiheit durch staatliche Gewaltandrohung (Knüppel zielen schon auf Hirn ...) oder aber von der Brachialität medialer Beeinflussung, die Intellekt (Hirn) und Empfinden (Nieren, im Sinne von "das geht mir an die Nieren") angreift und den Menschen Sorgen und Ängste einimpft.

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Die letzte Strophe wendet sich der persönlichen Ebene des Einzelnen zu. Eine gebräuchliche Redewendung "von der Skylla in die Charybdis geraten" (in der Bedeutung wie: "vom Regen in die Traufe") spielt auf die Irrfahrten des Odysseus an, dessen Schiff machtlos der Gewalt dieser beiden Meerungeheuer ausgesetzt war. Schwankt der Wechselkurs der Odyssee ist ein erneutes Wortspiel und bezeichnet zum einen das Schwanken des wechselnden Reisekurses der Odyssee (= Irrfahrt) des eigenen Lebens zwischen Einflüssen denen man nichts entgegenzusetzen hat. Zum anderen ist ein "schwankender Wechselkurs" ein Begriff aus der Finanzwelt und meint hier, dass der Wert des eigenen Lebens durch die äußeren Gewalten (Scy. u. Cha.) gleichermaßen niedrig angesetzt wird. Die Konklusion des Gedichts besteht darin, dass man sich Genossen (doppeldeutig: Leidensgenossen/Mitstreiter) suchen möge, um Dunkelheit (= Hoffnungslosigkeit) und Gefahr zu überwinden.

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Die z. T. derbe Wortwahl und die mitunter recht bemühten Reime (Ungeübte - Charybde) brechen das Pathos, das die Thematik mit sich bringt, und geben dem Gedicht einen witzig-ironischen Ausdruck.

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