Das sind so Fragen, die man nicht so ohne Weiteres beantworten kann - man kann aber auf Ursachensuche gehen. Viele der genannten Dinge habe ich mich auch schon gefragt, denn diese fallen einem erst auf, wenn man nach langer Abwesenheit wieder für ein paar Tage nach Deutschland zurückkehrt.
Ich versuche das mal hart und schonungslos zu analysieren:
Ärzte ohne Wartezeit:
Ja, ich kenne das. Man ist Kassenpatient, man klappert Ärzte ab, man wird überall abgewiesen und bekommt nach mehreren Monaten mal einen Termin.
Hier ist die Politik gefragt. Mögliche Ursachen: Ärzte bekommen von den gesetzlichen Krankenkassen ein gewisses Kontingent pro Quartal bezahlt, ist dieses ausgeschöpft, gibt es kein Geld mehr. Daher werden gesetzlich Versicherte auf die Monate aufgeteilt. Ja, ich war früher auch gesetzlich versichert, alles selbst erlebt. Heute habe ich eine freiwillige Versicherung für Deutschland, falls mir mal was Ernstes passiert. War 2022 der Fall: Ich kann mich nicht beschweren. Orthopäde, Chirurg, Krankenhaus, Radiologie, Physiopraxis, Reha, usw... Termine teilweise am gleichen Tag oder Woche, ein Mangel war nicht erkennbar. Das ist ein hausgemachtes Problem von Deutschland.
Kostenfreie öffentliche Toiletten:
Das ist leider so ein Spiegel der Gesellschaft wie man mit gemeinsamen Eigentum umgeht, Vandalismus und Zerstörungswut stehen einem zahnlosen Tiger der Justiz gegenüber. In Deutschland braucht man kein Hinweisschild, man riecht die öffentliche Toilette aus der Ferne. Daß es auch anders geht zeigt meine Wahlheimat Japan. Helle, saubere, kostenlose und moderne öffentliche Toilettenanlagen überall.
Kostenlose Tragetaschen:
Das muß leider in die Rubrik der politischen Erziehung in Deutschland. Als Kunde sollst du keinen Müll verursachen. Brauchst du dennoch eine Tüte, musst du tief in die Tasche greifen. Wird den Betreibern von der Politik vorgeschrieben. Ist hier in Japan fast überall gratis - wenn nicht, dann kostet eine Tragetasche 2 Yen - rund 1,3 Cent.
Kostenlose Kataloge:
Gedruckte Medien sind von der Zeit überholt. Gibt es fast alles online. Der Nachteil ist halt, es wird ein Teil der Gesellschaft vom Konsum ausgeschlossen und das sind ältere Menschen, oder solche mit Behinderung, die keinen Computer bedienen können.
Werbegeschenke:
Gab es früher in den 80ger Jahren tatsächlich zu Hauf. Als Kind war es für mich das Größte auf die IHM oder Electronica nach München zu fahren, da gab es Tütenweise Geschenke. Klar, bei den Firmen sitzt das Geld nicht mehr so locker und alles was mehr als ein Stift oder Schreibblock ist, wird heutzutage von der Politik als "Schmiermittel" angesehen.
Angebote für Mieter:
Das ist in Deutschland nicht gewollt. Es gibt einen Wohnungsmangel, es besteht so eine riesige Nachfrage daß den Gesellschaften verfügbare Wohnungen aus den Händen gerissen werden. Hier zusätzlich zu investieren macht für die Betreiber keinen Sinn. Außerdem wird dies sowieso auf alle Mieter umgelegt. Es geht auch anders: Ich habe vor meiner Zeit in Japan in Singapore gelebt, dort gibt es in nahezu jedem Wohnblock Swimmingpool, Fitnessangebote und einen eigenen Foodcourt.
Sitzegelegenheiten:
Hier arbeitet man leider in Deutschland in eine andere Richtung: Man erstellt höchstens "Anti-Mensch-Designs": Abgeschrägte Begrenzungen, Rollen und Rohre statt Bänke, Stangen damit man sich nicht umlegen kann - offiziell als Abschreckung gegen Obdachlose. Hier wird offenbar in die falsche Richtung gearbeitet.
WLAN / Internet:
Hier fehlt einfach der Wettbewerb in Deutschland. Es gibt ein sogenanntes "Ogliopol", nahezu ein Monopol. Fast das gesamte (Kabelgebundene-) Netz gehört einem Anbieter. Wettbewerber werden klein gehalten, man verdient am bestehenden Netz. Ich kenne das aus dem Haus meiner Eltern: "Wir können ihnen physikalisch leider nur 6MBit aufschalten, die Leitungen in ihrer Straße gehörten der Telekom über diese müssen wir gehen, mehr geht hier nicht". WiFi gibt es allerdings in einigen Städten, allerdings ist in Deutschland der Authentifizierungsprozess nervig und umständlich wegen der Bürokratie. Schön ist es hier in Japan. Nahezu ein jedes Geschäft oder Restaurant hat einen Hotspot, an der Tür ist der Aufkleber des Anbieters zu sehen. Der staatliche Netzbetreiber NTT hat auf allen Telefonzellen Mobilfunksender und kostenloses WiFi installiert. Wenn man in Japan eine grüne Telefonzelle sieht, weiß man: Hier habe ich guten Mobilfunkempfang und kostenloses WiFi. In Deutschland wurden diese hingegen abgebaut. Da ist halt auch wieder die Story: Was machen Menschen in Deutschland, die kein Mobile-Phone bedienen können - ich kenne einige im näheren Umfeld.
Das sind Fragen, zum Teil gesellschaftlich, zum Teil politisch - die aber alle gemeinsam haben, daß man sie nicht mit einem Fingerschnipp lösen kann. Anderswo funktioniert es - Deutschland müsste aber hier das Ruder herumreißen und teilweise beachtlich investieren. Größtenteils ist es aber gar nicht politisch gewollt. Ich lese das jetzt auch wieder in den Nachrichten, Thema Krankenkassenbeiträge vs. Bürgergeldgeschenke. Das ist ein großes Gesellschaftliches Thema wo Deutschland vor dem wirtschaftlichen Abgrund steht, das ist aber nicht in einem Post zu beantworten.