Sicher kann man nicht sagen, warum sich Esperanto nicht durchgesetzt hat oder warum es nicht durchgesetzt wurde - aber man kann Faktoren angeben, die die Verbreitung behindert haben.
- Esperanto klingt sehr überzeugend: Eine internationale Sprache, die wesentlich leichter zu erlernen ist. Esperanto lässt sich in etwa einem Drittel der Zeit lernen, die man für dasselbe Niveau in anderen Sprachen braucht - statt 1000 oder mehr Stunden für das Englische braucht man also nur 300 oder vielleicht weniger Stunden in EsperantoM nab spart dann 700 Stunden, etwa ein halbes Arbeitsjahr.
Man kann das auch in Geld ausdrücken: In Frankreich kostet z. B. der schulische Sprachunterricht insgesamt etwa 8 Milliarden Euro jährlich, pro Bürger etwa 130 EUR. Mit Esperanto könnte man das auf die Hälfte oder weniger reduzieren, jeder Bürger würde damit mindestens 50 EUR pro Jahr an Steuern sparen. Das macht in ganz Europa viele Milliarden Euro.
Allerdings gibt es ein großes Problem: Diese möglicherweise gesparten Gelder sind zum Großteil Gehälter und Honorare für Lehrer von Englisch und anderen Sprachen. Daher ist klar, dass viele Sprachlehrer (wenn sie nicht schon Esperanto sprechen) in Esperanto eine Gefahr für ihre berufliche Zukunft oder die ihrer jüngeren Kollegen sehen. Ebenso bedroht Esperanto potentiell auch die Professoren für die häufig gelehrten Fremdsprachen (oder zumindest die Stellen für Assistenten usw.) - schließlich bilden die Hochschulen die Fremdsprachenlehrer aus. Auch die Dolmetscher und Übersetzer haben kein großes Interesse daran, dass Esperanto sich weiter verbreitet - wenn die Bürger weltweit sich direkt miteinander unterhalten können, werden deren Jobs weniger gebraucht. Auch die heutigen Organisatoren von Sprachreisen und alle damit verbundenen Tätigkeiten und Mitarbeiter hätten von Esperanto eher Nachteile.
Auch für Leute, die eine oder mehrere Fremdsprachen beherrschen, die sie beruflich einsetzen, ist eine weitere Verbreitung von Esperanto eher ungünstig: Würde Esperanto wichtiger, wären die anderen Sprachen weniger wichtig. Der ganze Aufwand, den jemand betrieben hat, um Englisch und andere Sprachen gut zu beherrschen, würde dann an Wert verlieren.
Das alles sorgt wohl mit dafür, dass Esperanto nicht wirklich im Interesse z. B. der Mitarbeiter der EU-Kommission ist, die ja Dolmetscher, Übersetzer oder mehrsprachige Mitarbeiter sind. Auch bei der sonstigen Führungsschicht vieler Länder beruht die berufliche Position zum Teil auf Kenntnissen in nationalen Fremdsprachen - somit haben praktisch alle diese Leute kein persönliches Interesse an einer weiteren Verbreitung oder gar einer Durchsetzung des Esperanto.
Natürlich wird so etwas nicht offen gesagt. Niemand sagt über ein Projekt, dass er dagegen ist, weil es zwar für die Gesamtbevölkerung günstig wäre, aber für ihn persönlich ungünstig.
Esperanto ist in starkem Maße eine Rationalisierung - und wie praktisch alle Rationalisierungen spart es Arbeitszeit und kostet dadurch Arbeitsplätze, Menschen müssen sich eine neue Beschäftigung suchen. Der Unterschied zu vielen anderen Rationalisierungen ist, dass Esperanto die Arbeitsplätze von sehr gut ausgebildeten Personen bedroht, von Leuten aus der Führungsschicht der Länder. Es ist immer so, dass die von Rationalisierungen bedrohten Menschen sich dagegen wenden - im Fall von Esperanto sitzen diese Leute aber an den Schalthebeln, z. B. für den Schulunterricht, und das nutzen sie auch aus um für sich und ihre Gruppe die Positionen zu erhalten. Direkt dagegen kann man nur sehr wenig tun. (Aber es gibt andere Wege, s. u.)
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Natürlich würde Esperanto auch die Position der großen und mächtigen Länder ein wenig schmälern. Die USA verdienen sehr viel Geld mit Kultur-Export, Filme u. a. Da haben sie eine günstige Position. Würde Esperanto weiter verbreitet, wäre diese Vormachtstellung bedroht. Also wenden sich die großen Staaten tendenziell gegen Esperanto (oder unterstützen es einfach nicht). China ist eine Ausnahme (s. esperanto.china.org.cn mit täglichen Esperanto-Nachrichen aus China), da die Chinesen wohl nicht damit rechnen, dass der Westen in großem Maße Chinesisch lernen wird.
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Während Esperanto für gut ausgebildete Erwachsene und Berufstätige eine Bedrohung darstellen kann, ist es für manche Jugendliche und junge Erwachsene attraktiv. Ein Zwölfjähriger kann Esperanto mit etwa 50 Stunden Aufwand so weit lernen, dass er Kontakt mit der ganzen Welt aufnehmen kann. Das bietet keine andere Sprache - Esperanto ist in dieser Altersstufe konkurrenzlos.
Das Problem ist, dass diese Altersgruppe nur wenig von Esperanto und den Anwendungsmöglichkeiten weiß - was man nicht kennt, kann man nicht lernen. Die Esperanto-Aktiven tun viele Dinge - nur selten informieren sie konzentriert diese Altersgruppe. (Etwa ein Drittel der Esperanto-Lernenden haben mit Esperanto zwischen 14 und 18, ein weiteres Drittel zwischen 19 und 29 angefangen - das ist eine sehr lohnende Zielgruppe!)
(Fortsetzung als Kommentar)