Hallo,
ich kann deine Sichtweise gut nachvollziehen und kenne das Problem selbst. Dass die anderen "Ratgeber" dir die Kapitulation nahelegen, zeigt nur, wie es tatsächlich um die Akzeptanz gegenüber der als Schlagwort allgegenwärtigen Diversität steht: Es ist nicht weit her damit.
Wenn man sich überlegt, welche Argumente für bzw. gegen eine offene Bürotür sprechen, überwiegen eindeutig die letzteren. Nehmen wir einmal an, es ginge darum, die Mitarbeiter zu kontrollieren, ob sie nur ja brav an ihrem Schreibtisch sitzen und unentwegt auf den Bildschirm starren. Dann mag diese Strategie aufgehen, aber ob bei der ständigen Ablenkung wirklich ein besseres Ergebnis herauskommt, ist äußerst fraglich. Auch ist für mich nicht erkennbar, welchen positiven Einfluss die offene Bürotür auf das Arbeitsklima haben sollte, wie oft behauptet wird. Gerade in der Pandemie haben wir doch alle gelernt, dass man seine Verbundenheit auch dadurch ausdrücken kann, sich gegenseitig nicht zu sehr ins Gehege zu kommen. Freilich muss man zugestehen, dass die offene Bürotür auch ihre Vorzüge haben kann - für Leute, denen an Selbstdisziplin fehlt ebenso wie für solche, die auf ständige Interaktion ausgerichtet sind und sich gerne gewissermaßen im Schaufenster ausstellen. Das sollte dann aber eine Frage der persönlichen Neigung sein und nicht zu einem Dogma werden, das nicht mehr hinterfragt werden darf. Davon wiederum profitieren diejenigen Leute, die größten Wert auf Konformität legen und ihr Fähnchen nach jedem Wind richten (vielleicht liegt darin die symbolische Bedeutung der offenen Tür). Es dürfte auch vielen schwerfallen, sich einzugestehen, dass durchaus Alternativen zur Anpassung um jeden Preis gibt und man es sich selbst zuzuschreiben hat, wenn man den Mut dafür nicht aufbringt.
Wie wäre nun aber mit der konkreten Situation umzugehen? Ich halte es für sinnvoll, nicht nachzugeben, sondern anderen durchaus "zuzumuten", persönliche Bedürfnissen akzeptieren zu lernen, die sie vielleicht selbst nicht haben oder bei sich nicht zulassen können. Mit Beharrlichkeit lässt sich da oft mehr erreichen, als man zunächst vermutet. Wenn es allerdings nicht nur zu subtiler Missbilligung, sondern zu offenen Auseinandersetzungen kommt, würde ich diese auf der argumentativen Ebene austragen und mich nicht auf eventuelle Anfeindungen einlassen. Auf diesem Gebiet haben nämlich Leute, die sich für vermeintlich unhinterfragbare "ungeschriebene Gesetze" stark machen, im Allgemeinen schlechte Karten. Falls sich keine einvernehmliche Lösung finden lässt, halte ich es für ratsam, die Chefin hinzuzuziehen und die eigene Arbeitsleistung in die Waagschale zu legen, die durch die aufgezwungene "Kultur der offenen Tür" beeinträchtigt wird. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass mit allem Nachdruck auf der Erfüllung dieser "Gepflogenheit" bestanden wird. Das würde eine Überhöhung der äußeren Form gegenüber dem Inhalt der Arbeit bedeuten, und man dürfte sich durchaus fragen, ob dafür nicht "Pappkameraden" die bessere Besetzung wären.
Wie auch immer, man kann nur daraus lernen und sich vornehmen, in Zukunft vor Antritt einer Stelle zur Sprache zu bringen, was man selbst möchte. In einer Zeit, in der man doch hoffentlich davon ausgehen kann, dass preußischer Untertanengeist, höfische Etikette und archaischer Gruppenzwang der Vergangenheit angehören, sollte das doch möglich sein.
Viele Grüße und gutes Gelingen.