Interessant, welch allerlei Wutbürger und Stammtischexperten hier ihren Senf ablassen, ohne auch nur einen einzigen Umstand in den korrekten politischen/historischen Kontext einordnen zu können. Damit es auch der letzte AfD-Vollblutteutone versteht, werde ich bei Null beginnen:
1. Die Aufnahme Griechenlands in die Europäische Union 1981:
Griechenland ist seit nun mehr als 30 Jahren Mitglied in der EU (nicht zu verwechseln mit Eurozone). Nun wird in den letzten Jahren und zwar insbesondere in Deutschland, immer lauter geschrien, dass sich das Land in die EU "gemogelt" habe. Faktisch stimmt das, denn die Kriterien zur Aufnahme in die Europäische Union wurden damals nicht erfüllt. Aber:
erstens stellt sich die Frage, wieso diese Erkenntnis erst jetzt bei den Politikexperten in unserer Bevölkerung für Empörung sorgt und nicht schon weitaus früher. Das die Zahlen geschönt waren ist nämlich schon mindestens seit 1995 bekannt. Es könnte ja etwas mit dem systematischen Bashing unserer Qualitätsmedien zu tun haben, allen voran BILD und der Focus, die die uralte Suppe bis zum Überkochen aufgewärmt haben, damit auch der letzte Dorftrottel sich aufregen darf.
Zweitens ist es absolut unwahrscheinlich, dass die die anderen Eurostaaten Griechenland die geschönten Zahlen einfach so abgenommen haben. Ein Staat, der neu in die EU aufgenommen werden soll, wird im Vorfeld auf Jahre genaustens beobachtet - das ist keine Entscheidung, die einfach so von heute auf morgen getroffen wird. Ich gehe noch einen Schritt weiter und behaupte, dass die anderen Eurostaaten Griechenland beim türken der Zahlen massiv unterstützt haben. Im Jahre 1981 gab es eine ganz andere politische Konstellation als heute: Europa war in den "Westen" und den "Osten" aufgeteilt und die Satelitenstaaten der Sowjetunion, namentlich: Bulgarien, Jugoslawien und bis 1961 Albanien umrundeten Griechenland. Die Gefahr in Mitteleuropa war genau so präsent, denn Allierte und Sowjets standen an der deutsch-deutschen Grenze kampfbereit gegenüber. Die Situation stand mehrfach kurz davor, zu eskalieren und der dritte Weltkrieg war nur einen Knopfdruck weit entfernt. Um die wichtige Südostflanke Europas nicht zu verlieren und seinen strategischen Einfluss auszubauen, wollte man Griechenland umbedingt in der Europäischen Union haben - koste es, was es wolle. Zu dieser Zeit regierte in der BRD die CDU unter Helmut Kohl - ein lupenreiner Demokrat wie wir heute alle wissen, der niemals Schmier und/oder Spendengelder in Millionenhöhe veruntreuen wurde und für seine absolute Ehrlichkeit bekannt ist.
Drittens ist es sehr fragwürdig, wenn die Einwohner eines Landes, welches schon mehrfach die Grenze der EU-Konvergenzkriterien (Maastrichtvertrag) ohne Erklärung oder Begründung überschritten hat, mit dem Finger auf Andere zeigen und Disziplin, Reformen und andere haarstreubende Einsparungen einfordern. Oder einfacher für unsere Affen für D-Markt ausgedrückt: wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen...
Viertens hat Deutschland in den vielen Jahren der gemeinsamen EU- und Euro-Mitgliedschaft mit Griechenland satte Gewinne eingefahren. Ständig hört man das unendliche Geflenne darüber, dass Griechenland viele Milliarden Euro an Subventionen über EU-Töpfe eingefahren habe. Stimmt auch teilweise. Aber das Griechenland durch den Euro spätestens seit 2001 nicht mehr mit seinen Partnerländern wirtschaftlich konkurieren konnte und das Deutschland (selbsternannter ehemaliger Exportweltmeister) jahrzehnteland dicke Profite durch billige Massenexporte aufgrund der gemeinsamen Währung in eben dieses Land erwirtschaften konnte, wird immer wieder verschwiegen. Der Wohlstand in Deutschland baut auf Exporten auf, das sollte wohl sogar dem letzten Hinterwäldler bekannt sein. Und ja, eben auch in die ärmeren südlichen Euroländer - das diese dabei stetig zugrunde gehen, war eine absehbare Entwicklung, über die unsere heimischen Qualitätsblätter kein Sterbenswörtchen verlieren. Mit der Einführung der gemeinsamen Währung Euro wurde die letzte Barriere für deutsche Massenexporte entfernt. Kein anderes Land hat so sehr vom Euro profitiert wie Deutschland; auch wenn das verlogene Geheule darüber genau so groß ist wie über faule Griechen und andere Südländer, diebische Rumänen- und Bulgaren, Flüchtlinge und alle anderen aufgeblasenen Themen, über die Michel sich vorm Schlafengehen aufregen darf.
2. Bezüglich der sogenannten "Hilfskredite" oder "Eurohilfen", die in Wirklichkeit absolut nichts mit "Hilfe" zu tun haben, kopiere ich an dieser Stelle eine von mir gegebene Antwort zu einem anderen Thread:
Die sogenannten "Hilfspakete", die die Griechen bekommen, sind mit "Reformen" verbunden.
Zu den "Hilfspaketen":
Hilfspaket bedeutet, dass den Griechen Kredite gegeben werden, um ihre Schulden zu bezahlen. Diese Kredite verursachen Zinsen. Das heißt, das das wirtschaftlich angeschlagene Griechenland nicht nur die Kredite
zurückzahlen muss, sondern obendrauf noch Zinsen für eben diese Kredite. Das ist bekanntlich ein Teufelskreis. Ökonomen haben berechnet, dass Griechenland längst wieder überlebensfähig wäre, würden sie nicht ständig von der Last der Zinsen erdrückt.
Nun zu den sogennanten "Reformen":
Etwas zu reformieren bedeutet eigentlich, veraltete, unbrauchbare, unnütze Strukturen abzuschaffen und durch neue, wirtschaftliche und effektive Maßnahmen zu ersetzen. Im Falle Griechenlands heißt Reformen jedoch etwas anderes:
Reformen ist eine nette Umschreibung für die Erhöhung der Mehrwertsteuer (von 13% vor der Krise auf jetzt 24%), Erhöhung der Benzinsteuer (2,15€ im Jahr 2010 pro Liter), Senkung der Renten (ca. 55% Rentenkürzung seit 2009), Senkung des Mindestlohns (auf 586€),Reduzierung des Staatsapparats (Entlassung/Nichtwiederbesetzung von über 30.000 Personen), Erhöhung der Heizölsteuer, Wegfall diverser Subventionen für Bauern, usw.
Hierzu gehört auch der Verkauf von Staatseigentum.
Ganz richtig, Griechenland wurde durch die Troika vorgeschrieben, Staatseigentum zu "privatisieren". Aus den Erlösen der Verkäufe sollen Schulden abbezahlt werden. Dazu zählen: die staatliche Bus- und Bahngesellschaft, diverse Häfen, Flughäfen, Wasser- und Elektrezitätswerke, usw. Dabei wurde Griechenland gezwungen, alle staatlichen Unternehmen, die Miese machten, zu behalten, während alle staatlichen Unternehmen, die (große) Gewinne erwirtschafteten, umgehend zu verkaufen. Und so kam es, dass die Häfen von Thessaloniki und Piräus (größter Hafen Europas) in private Hände gingen, ebenso diverse Flughäfen auf Ferieninseln, die große Gewinne durch den boomenden Tourismus einfuhren.
Diese 14 Flughäfen schnappte sich übrigens die Firma Frapport aus Frankfurt zum Schnäppchenpreis. Frapport gehört zu 51% der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen. Oder mit anderen Worten: gewinnbringendes griechisches Staatseigentum ist zum Spottpreis zu deutschem Staatseigentum geworden.
Nun kann man sich fragen: wie soll Griechenland sich erholen und selbständig wirtschaften, wenn alle gewinnbringenden Unternehmen verkauft wurden? Die Antwort: es ist schlicht nicht erwünscht, dass Griechenland wieder auf eigenen Beinen steht. Nur solange die Griechen durch Troikageld überleben, kann ihnen auch der wirtschaftliche Selbstmord diktiert werden. Nur so fließen weitere Zinsen an die Geldgeber. Der Ausverkauf Griechenlands geht also weiter.