Ich finde es super, dass du über dich selbst so reflektierst, das tun leider nicht viele. Du hast das schon richtig beobachtet, dass man im Alltag in viele verschiedene Rollen schlüpft. Das bedeutet nicht, dass du verschiedene Persönlichkeiten hast, du passt dich nur den gesellschaftlichen Gegebenheiten an, und das ist völlig normal. Das hat unter anderem etwas mit Hierarchien und Authoritäten zu tun, dass man gar nicht anders kann. Du kannst dich deinem Chef/Lehrer nicht genauso gegenüber benehmen wie deinem besten Kumpel. Mit deinem besten Kumpel bist du auf Augenhöhe, mit dem Chef/Lehrer nicht, er steht in einer unsichtbaren Hierarchie über dir, also musst du dich den Regeln fügen, z.B. pünktlich kommen etc. Ok, das sollte man immer, aber die Konsequenzen sind nicht so schwerwiegend, wenn man's beim Kumpel versiebt mit dem Pünktlichsein. Konsequenzen, die man befürchet oder auch erhofft, sind auch ein Grund dafür, in Rollen zu schlüpfen. Das lässt sich auf ganz verschiedene Situationen übertragen. Wenn du z.B. befürchtest, dass du Nachteile hast, wenn du etwas bestimmtes machst, dann lässt du es in der Regel, um diese Nachteile zu vermeiden, auch wenn du eigentlich Lust darauf hättest. Ganz blöd gesagt: Wenn es keinerlei Konsequenzen gebe, wenn man im Laden einfach mitnimmt, was einem gefällt, ohne zu bezahlen, dann würde das jeder machen. Man macht es nur nicht, weil man die Konsequenzen fürchtet und Respekt vor dem Eigentum anderer hat. Im Positiven formuliert: Wenn du glaubst, ein hüsches Mädel abschleppen zu können, wenn du ihr sagst, dass ihr Kleid heiß aussieht, dann tust du es, auch wenn du vielleicht das Kleid ätzend findest. Das bist dann immer noch du, aber du denkst und handelst strategisch, um zu erreichen, was du gerne willst.
Und letztlich: Ja, das, was quasi in deinem Kopf abgeht, wenn du alleine bist und keinen Grund hast, dich anzupassen, das bist wirklich du. Ein Tipp von mir: Wenn du dich manchmal nachher unwohl fühlst mit dem, was du sagst oder machst, dann horch in der Situation selbst mal in dich rein und frag dich ganz bewusst, ob du es wirklich nötig hast, dich zu verstellen. Wenn du z.B. (klassische Situation) ein etwas fülligeres Mädel fertig machst, weil deine Freunde drumherum stehen und das cool finden und lachen, dann frag dich, ob du selbst das wirklich willst und ob du das genauso machen würdest, wenn du ganz alleine wärst - oder ob du sie dann nicht in Ruhe lassen würdest.