Liebe Community,
nachdem ich zusammen mit zwei Freunden vor zwei Tagen erfolgreich das Olymionikensandale-Abzeichen errungen habe und tatsächlich das für mich bis dahin unvorstellbare geschafft habe, möchte ich an dieser Stelle einen Erfahrungsbericht dazu für euch geben.
Vorab: Ein guter Alternativtitel des Beitrags wäre wohl auch "Das Leiden Christi" gewesen, weil mein Name Christian ist ;-) Ich bin 33 Jahre alt, habe ca. 85 KG bei 1,70 M - und glaubt mir, die KG sind beileibe keine Muskelmasse, sondern eher Wohlstandsmasse ;-) Ich arbeite in einem Büro und habe täglich eine Schrittmenge von im Schnitt 5.000 bis 8.000 Schritten. Sport treibe ich tatsächlich eher wenig, weil mir entweder die Zeit oder die Lust fehlt. Zusammen mit den gleichen Kumpels haben wir bereits vor über 2 Jahren die 50.000 Schritte gemacht, allerdings hatte ich mir damals vorgenommen, dies nie wieder zu machen, da ich mehrere Tage nicht mehr wirklich gehen konnte. Immer wieder diskutierten wir aber, ob es denn wirklich möglich wäre, die 100.000 zu erreichen, wenn man nicht gerade irgendein Ultra-Marathon-Läufer oder sonstiger Übersportler ist - und ehrlich gesagt, reizte uns das "letzte bzw. höchste Schritt-Abzeichen" immer und immer wieder.
Zum Ablauf: Nach mehreren Terminfindungs-Versuchen legten wir den Sonntag, 28.04.2019 als unseren gemeinsamen Zieltag fest. Vorsichtshalber habe ich mir für Montags+Dienstag gleich Urlaub eingebucht, diese hatten sich ohnehin als Brückentage angeboten (1. Mai...). Wandertraining im Vorfeld - nein, Fehlanzeige. Wenigstens habe ich es bei einem Sportgeschäft geschafft, mir neue Schuhe - meine ersten echten Wanderschuhe - zuzulegen, Marke Meindl, Comfort Fit, zusammen mit speziellen Wandersocken zum Preis von etwa 275 Euro. Diese waren, wenigstens noch im Geschäft, die Bequemsten. Austesten und "einwandern" der neuen Schuhe - nein, Fehlanzeige. Beginn mit rechnerisch ausreichendem Puffer für Essen+Trinken legten wir auf 2 Uhr morgens, die Strecke ging von Kelheim nach Dietfurt (quer durch das Altmühltal, relativ gerade, kaum asphaltiert, hauptsächlich Schotterweg, schöne Strecke entlang an Donau/Kanal/Altmühl), die Streckenlänge liegt bei ca. 75 KM. Also, los geht's - hoch motiviert starteten wir tatsächlich fast pünktlich um ca. 2.20 Uhr, jeder mit einem Rucksack, ein paar Liter Wasser und ein paar Snacks für Zwischendurch. Ich hatte glücklicherweise auch an die notwendige Taschenlampe gedacht. Leider musste ich bereits nach ca. 20 KM feststellen, dass es am hinteren Fuß an der Ferse etwas reibt. Gefühlsmäßig nicht so tragisch, dachte ich, und legte für mich fest, erst in der Mittagspause ein Blasenpflaster zu nutzen. Wir gingen an einem Stück die Strecke bis zur Mittagspause, nur kurze Pausen zwischendurch. Die letzten Kilometer waren schon grenzwertig, mit mehr Pausen, aber wir haben es geschafft. Zeitlich müsste es gegen 11 Uhr gewesen sein, Verweildauer ca. 1 Stunde. Ich hatte tatsächlich sogar etwas mehr als 50.000 Schritte erreicht, meine beiden Mitläufer waren ca. 5.000 darunter - was daran liegt, dass beide m.E. deutlich größer als ich sind, und entsprechend auch größere - und somit etwas weniger - Schritte als ich machen. Ein Glück, dies gab mir die notwendige Motivation, überhaupt weiterzumachen, mit dem Wissen, früher als die beiden Mitläufer fertig zu werden. Im Restaurant angekommen (es war ein urig, bayerisches Restaurant) zog ich meine Schuhe aus und wollte das Blasenpflaster anbringen. Leider musste ich hier bereits feststellen: Zu spät. Der linke Fuß war bereits komplett ohne Haut am Hinterfuß, der Rechte Fuß bereits mit einer komplett aufgeriebenen Stelle versehen. Dennoch brachte ich jeweils Blasenpflaster darüber an, damit es nicht weiter (dann wahrscheinlich bis auf die Knochen?!) durchscheuert. Ich bin in mich gegangen und habe überlegt, aufzuhören und die Sache abzubrechen. Da ich kurz vorm Mittagessen aber noch zu meinen Kollegen sagte, sie sollen nicht jammern und auch, dass Aufhören keine Alternative ist, wollte ich mir die Blöße nicht geben und dachte mir, ich muss da jetzt durch - komme was wolle. Nach einem guten Essen (Hirschgulasch, Salat, Weißbier - lecker) ging es auch schon weiter. Die Schmerzen an den hinteren Fersenenden verblassten in den nun auftretenden Schmerzen am Vorderfuß sowie insbesondere auch der restlichen Ferse. Geplant war eigentlich, aufgrund des Starts so früh morgens, mehrmals auf ein paar Bier einzukehren (rechnerisch war ausreichend Puffer geplant!). Geschafft haben wir es leider nur noch insgesamt zwei Mal, einmal auf eine schnelle Halbe Bier, das zweite Mal zum Abendessen gegen 17.30 Uhr auf ein Bier und eine Currywurst. Das war es dann auch, denn wir mussten mit zunehmender Kilometerzahl feststellen, dass wir sehr viel mehr Pausen benötigten, im Detail eigentlich alle ein bis zwei Bänke die am Weg kamen wurden genutzt, um die Beine zu strecken und zu dehnen, oder einfach kurz eine Minute zu sitzen. Mit dem Puls oder der Kondition hatten wir wenig Probleme, allerdings dann auch mehr und mehr mit dem Rücken (direkt über dem Steißbein), auch im hinteren Kniebereich und allgemein den Waden. Gegen 20 Uhr waren die Beschwerden allgemein wohl dermaßen fortgeschritten, dass ich nicht mehr genau wusste, was jetzt genau überhaupt weh tut. Ich musste nur feststellen, dass ich mittlerweile langsamer als meine zwei (im übrigen wesentlich fitteren und sportlicheren!) Kollegen - welche aber beide bereits von Schmerztabletten Gebrauch machten - ich nicht, vielleicht aber auch, weil ich einfach keine dabei hatte. Gegen 20.30 Uhr wünschte ich mir nur noch, dass die restlichen Minuten einfach nur vorbei sein sollten. Ich konnte aufgrund der Vielzahl an Schmerzen sowie meines mittlerweile erschlafften Allgemeinzustands kaum mehr mit meinen Mitläufern sprechen und biss einfach nur noch die Zähne zusammen. Ab etwa 21 Uhr kann ich mich kaum mehr an den Rest erinnern. Gegen 21.30 Uhr schickte ich meiner Frau den WhatsApp Live Standort und bat sie, mich um 22.30 Uhr abzuholen, egal wo ich dann bin - bis dahin habe ich, so Gott mich überhaupt noch lässt und sofern ich davor nicht umfalle - die 100.000 Schritte geschafft. Dies hat auch geklappt. Meine beiden Kollegen mussten noch bis 23.45 Uhr gehen, um die restlichen Schritte erfolgreich zu absolvieren, just in time trifft es da wohl ganz gut. Beide waren auch kaputt, hatten aber mit den Füßen (sei es aufgrund des besseren BMIs bzw. deren allgemeinem sportlichen Zustand, oder aber aufgrund der Tatsache dass sie einfach besser eingelaufene Schuhe hatten - keine Ahnung - im Nachgang kann ich es jetzt eh nicht mehr ändern!) wenigstens Blasen-Technisch und auch sonst vom Aufreiben der Haut so gut wie keine Probleme, dennoch aber natürlich auch Gelenk- und Rückenschmerzen.
Damit ihr euch ein Bild von meinen Schmerzen / Füßen machen könnt, sende ich euch beigefügt:
1. Bild: Nachweis der erfolgreich absolvierten Schritte (Screenshot Fitbit)
2. bis 4. Bild: Bilder meiner Füße nach dem Gehen.
Zu Hause angekommen, tauchte ich meine Füße erstmal in Kaltes Wasser und nahm dann ein 20-Minütiges Vollbad, bei dem ich natürlich weggepennt bin. Meine Frau weckte mich auf, alleine schaffte ich es nicht mehr aus der Badewanne, auch das Abtrocknen der Füße musste meine Frau für mich erledigen, da ich mich nicht mehr bücken, strecken oder allgemein bewegen konnte.
Meine Füße versorgte ich noch mit Bepanthen und Voltaren, was gefühlsmäßig gut tat, teilweise aber natürlich brannte.
Am nächsten Tag natürlich starke Schmerzen in den Füßen, neben den offenen Stellen und Blasen musste ich nun auch Schmerzen der offensichtlich nach der Mittagspause zu fest geschnürten Schuhe am oberen Fuß feststellen. Ich habe am Tag 1 nach dem Erfolg ca. 5000 Schritte zurückgelegt, eine Schmerztablette genommen und meine Füße mehrmals eingeschmiert.
Am Tag 2 gingen die Schmerzen der offenen Stellen und der mittlerweile teilweise aufgeplatzten Blasen (ich hatte zuvor noch nie direkt unten an der Ferse Blasen - Wahnsinn!) zurück, dafür traten nun die restlichen Schmerzen (Muskelkater, Sehnen-Überforderung, Gelenke, Hinteres Knie, …) deutlich stärker ein.
Um meinen Körper zu zeigen, dass nun das Jammern und die Schmerzen wenig Sinn machen, habe ich mich entschlossen, meinen geplanten Hühnerstall-Abriss heute tatsächlich trotz der Beschwerden durchzuziehen, allerdings erst nach erneuter "Fußpflege". Dies war von Anfang an mein Plan der "etwas alternativen Schmerztherapie". Ich legte dennoch bis Abends nochmal 25.000 Schritte an diesem Tag zurück, in Stahlkappen-Arbeitsschuhen, die mir gefühlt zu klein / unbequem / eng sind, dadurch habe ich nun auch Blasen außen an den Füßen bekommen - ok, wenigstens nicht mehr so einseitig. Wahnsinn, so viele Schritte habe ich sonst normalerweise das ganze Jahr über nie. Aber meine Motivation war noch immer da, die Euphorie überwiegt, und auch früher in der Jugend war es oft so, dass man nach einem Tag, an dem man zu viel getrunken hatte, auch am nächsten Tag mit ein zwei Bier wieder "vermeintlich fit" wurde, warum soll es dann auch nicht hier so oder so ähnlich klappen. Deutlich besser: Keine Schmerzen mehr. Der Körper gibt wohl offensichtlich nach etwa 50-72 Stunden auf, und sieht es ein, dass die Schmerz-Signale scheinbar nichts / nichts mehr bringen. Ich sende euch dazu abschließend noch zwei weitere Bilder von den Füßen hinten links und hinten rechts, nun geht die wohl an Tag 1 neu drauf gekommene Haut wieder ab. Aber ich merke, dass vor allem Voltaren Schmerzgeld gut tut und die Regeneration unausweichlich einsetzt.
Für Morgen ist geplant, insgesamt vier Tage zum Wandern ins Allgäu zu fahren - bei schlechtem Wetter aber in die Therme dort zu gehen. Ich hoffe also darauf, dass morgen und übermorgen schlechtes Wetter ist - denn die nächsten beiden Tage mache ich meiner Familie sicherlich wenig Freude, wenn es ums Wandern geht, und der Wetterbericht lässt mich hoffen :)
So oder so bin ich stolz darauf, das Abzeichen geschafft zu haben - und kann jedem aber nur davon abraten, das nachzumachen, wenigstens dann, wenn man kein Ultra-Marathon-Läufer oder Vergleichbares ist. Denn gesund oder vernünftig ist das natürlich nicht - man kann damit nur testen, ob und wie lange man "kämpfen" kann. Aber ich bin normal ein ganz geselliger Typ, der gerne redet und Spaß mit seinen Freunden hat. Gerade die letzten ca. fünf Stunden der "Wanderung" war dies nicht mehr möglich.
Unabhängig davon gilt natürlich: Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Ich habe gewonnen, vor allem an Erfahrung und Schmerzen - und einem tollen Fitbit-Abzeichen, welches wohl nicht allzu viele hier erreichen werden, und zum Glück wahrscheinlich auch gar nicht wollen ;-)
Ich hoffe, mein Bericht hat euch gefallen und ein wenig zum Schmunzeln gebracht. Mir war zwar nicht mehr zum Lachen, aber Zeit heilt Wunden, und meine Füße sind noch dran :)
Liebe Grüße aus Niederbayern,
Christian