Die Frage ist zwar schon etwas älter, aber trotzdem ein paar Worte von mir hierzu. Was "rassistisch" ist, ist begrifflich schon deshalb nicht leicht zu fassen, weil a) etliche, verschiedene Rassismusdefinitionen,-Beschreibungen etc. existieren und b) Rassismus fälschlicherweise mit anderen Ideologien verwechselt/vermengt wird (z.B. Chauvinismus, Nationalismus, Fremden- bzw. Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus), die zwar oftmals miteinander zusammenhängen/gemeinsam auftreten, die man aber- will man sie verstehen-begrifflich eigentlich auseinanderhalten muss.

I. Eine Definition von Rassismus lässt sich noch vergleichsweise einfach geben: Rassismus ist eine Ideologie, die einem Individuum aufgrund „rassischer/ herkunftsbezogener" Merkmale bestimmte Eigenschaften zuschreibt und diese "Eigenschaften" zu Teilen seiner unveränderlichen
Identität
erklärt. Von Rassismus ist also dort zu sprechen, wo von "vererbbaren" körperlichen/herkunftsbezogenen Merkmalen (z.B. Hautfarbe)  auf fixe, natürliche und kollektive Eigenschaften wie Intelligenz, Temperament, Charakter usw. geschlossen wird, wo man also einen unveränderlichen Wesenskern des Menschen annimmt (z.B. "Der Schwarze an sich ist dumm, faul und unproduktiv)". Rassismus ist damit die Lehre von der erbgenetisch bedingten, d.h. natürlich gegebenen, unveränderlichen charakterlich-kulturellen Ausstattung von Menschengruppen unterschiedlicher Herkunft. Als rassistisch ist dann eine gesellschaftliche Praxis zu verstehen, die unter Berufung auf diese Auffassung Menschen sortiert, diskriminiert, schikaniert, ausschließt,  ausbeutet, beherrscht, versklavt, ermordet etc.

Um erstmals auf dein Beispiel zu sprechen zu kommen: wenn ein "Schwarzer" im Fernsehen einen "Weißen" auf der Straße überfällt, kann das (z.B. in einem Fernsehbericht) erstmal durchaus eine nüchterne Täterbeschreibung sein, die dabei helfen soll, den Täter anhand äußerer Merkmale (wozu halt neben Kleidung auch Gesichtszüge, Haar-und Hautfarbe zählen) zwecks Ergreifung zu beschreiben (=kein Rassismus). Rassistisch wird es halt, wenn dieser Vorfall im Anschluss daran dazu genutzt wird, rassistische Narrative zu verbreiten (z.B.: rassistische Parteien/Websiten nutzen den Vorfall, um darauf "aufmerksam" zu machen, dass der Schwarze an sich halt notorisch kriminell und parasitär ist und "unsere" Gastfreundschaft missbraucht, um ehrlich arbeitenden Deutschen die Butter vom Brot zu nehmen), um "Schwarze" als an sich "Fremde" und  nicht mit "unserer" Gruppe Kompatible  zu brandmarken (sog. Othering) und die Abschiebung in ihre Heimatländer zu verlangen (Ausschluss). Natürlich kann es auch vorkommen, dass der Vorfall unmittelbar rassistisch wiedergegeben wird, also z.B. in der Nachrichtensendung mit rassistischen Untertönen gearbeitet wird. Das ist aber am jeweiligen Fall zu eruieren- es wäre ein Fehlschluss, allein aufgrund der Wiedergabe eines bestimmten Sachverhalts auf Rassismus rückzuschließen; dafür bedarf es schon der Bewertung des Kontexts und des Vorliegens weiterer Anhaltspunkte. Kurz: dass die Schilderung von Tatsachen rassistisch genutzt/"ausgeschlachtet" werden kann, ist richtig, lässt aber für sich noch nicht den Rückschluss zu, dass die Schilderung an sich bereits rassistisch ist.

II. Schwieriger ist dann die Beantwortung der Frage, was Rassismus heutzutage eigentlich "soll". Will man Rassismus verstehen und sich nicht mit infantilen Erklärungen a la "Hihihi, Rassisten sind dumm, ungebildet und haben nichts, worauf sie stolz sein können" zufrieden geben, muss man sich ja überlegen, welche Vorstellungen Rassisten von der heutigen Gesellschaft haben und welche Funktion Rassismus heutzutage als Erklärungsmuster/Ideologie erfüllt. Ich würde das wie folgt skizzieren:

-1. Untergangsszenario: Bei oberflächlicher Betrachtung zeigt sich ja recht schnell, dass es sich um ein spezifisches Bedrohungsszenarium handelt, das sich gegen den befürchteten Rückfall in die bloße Natur richtet. Der Rassist sieht die Rassifizierten als "Gefahr von unten", d.h. als minderwertige, unzivilisierte "Fremde", z.B. als tierische, wilde Triebtäter und notorische Gewalttäter, die Europa/Deutschland überschwemmen /überfluten (siehe z.B. das Gerede von der "Flüchtlingswelle" oder andere, eben an Naturkatastrophen erinnernde Metaphern), also im Grunde als rohe, tierische Natur, die ihm Arbeit, Geld, Frau und Eigentum wegzunehmen droht und die deshalb gebändigt (d.h. abgeschoben, kontrolliert oder versklavt) werden muss. Auf dein Beispiel übertragen: der Rassist würde den Überfall dazu nutzen, um vor einer "schwarzen" Masseneinwanderung zu warnen, die- wie der Überfall ja schließlich zeige- den Untergang "unseres" geliebten Abendlandes bedeute und das Bild von Barbaren zeichnen, die "uns" zurück in vorzivilisatorische Verhältnisse ziehen.

- 2. Pathische Projektion: Daneben erfüllt Rassismus- als Ideologie, die ihren Ursprung in der kapitalistischen Konkurrenz hat- noch eine weitere, kompensatorische Funktion für das bürgerliche Subjekt, das Identität erst durch Abgrenzung gegenüber den als unterlegen wahrgenommenen "Minderwertigen" erlangt. Der Rassist muss sich, um in unserer Gesellschaft für sein eigenes Wohl sorgen zu können, wie wir alle betriebswirtschaftlich disziplinieren. Er muss beweisen, dass er als fleißiger Arbeiter zur Verwertung taugt- wofür es sich, jeden Tag aufs neue, von seiner Triebhaftigkeit, seiner Faulheit usw., d.h. von seiner inneren Natur abgrenzen muss (jeden Tag um sechs aufstehen, anstatt einfach liegenzubleiben usw.). Gleichzeitig ahnt er, dass es trotz dieser (gewaltigen), ihm abverlangten Anpassungsleistungen auf ihn als Individuum  überhaupt nicht ankommt, er vielmehr im kapitalistischen Wertverwertungsprozess als potentiell Überflüssiger gesetzt ist (genügt er den Anforderungen nicht, fällt er aus dem Prozess raus, wird überflüssig und kann nicht länger als "Gleicher im Tausch" auftreten-> d.h. ihm droht jederzeit die Arbeitslosigkeit und die Ersetzung durch einen anderen, der seine Arbeitskraft anbietet). Um dies zu kompensieren, wird den als minderwertig wahrgenommenen Rassifizierten via Projektion die eigene Faulheit und Asozialität, also die Triebregungen, derer sich das bürgerliche Subjekt mühsam entledigen musste und nun täglich aufs Neue bei sich selbst verleugnen muss, zugeschrieben, an ihnen "ausagiert" und verfolgt. Auf diese Art versucht der Rassist also, sich abzugrenzen von den als Untermenschen imaginierten, die angeblich zur Verwertung nichts taugen und somit Repräsentanten der ersten Natur seien, die für Unproduktivität, Faulheit und Triebhaftigkeit stehen.

- 3. Biologisierung des Sozialen: Typisch für Rassisten ist weiterhin eine sog. Biologisierung von gesellschaftlichen Verhältnissen, und zwar in doppelter Hinsicht. Rassisten rationalisieren ihre Verpflichtung zur Verwertung- ein gesellschaftlicher Zwang also- als ihre angeborene, quasibiologische  Bestimmung (= Wir als von Natur aus produktive, fleißige Deutsche), die sie von der Minderwertigkeit in Menschengestalt unterscheidet. Im Rassismus artikuliert sich also der logisch unmögliche, aber praktisch
notwendige
Versuch des bürgerlichen Individuums, seine permanente Zurüstung für die Zwecke der Verwertung, d.h. einen unablässigen und vom Risiko des Scheiterns bedrohten gesellschaftlichen Prozess, sich als eine fixe und unverlierbare Natureigenschaft zurechtlegen zu wollen.
Ebenso, wie die eigene Tauglichkeit für den Verwertungsprozess
biologisiert wird, so wird es die Untauglichkeit und- im Wortsinne- Minderwertigkeit anderer (z.B. "der Schwarze als von Natur aus unproduktiver, dummer und triebhafter Untermensch"). Im Rassismus drückt sich dabei oftmals auch eine rassistisch-biologistische Verarbeitung von real durchaus existierenden Produktivitätsgefällen aus, d.h. der Rassist bedient sich durchaus vorhandener Tatsachen und deutet sie biologistisch um: Es stimmt ja z.B., dass die afrikanischen Ökonomien deutlich weniger "produktiv" als westeuropäische sind. Aber eben nicht- wie der Rassist meint- weil der "Schwarze" faul und dumm ist, sondern weil es aus historischen (Kolonialisierung, Ausbeutung etc.) und gegenwartsgesellschaftlichen (z.B. Despotien, grassierende Korruption etc) Gründen ein unterschiedliches Produktivitätsniveau gibt.

-4. In meinen Augen lässt sich erst mit dem vorstehend Erklärten der-
formallogisch nicht nachvollziehbare und deshalb oft als lächerlich verlachte- Widerspruch erklären, wie der Rassist
Geflüchtete gleichzeitig als wertlose Schmarotzer und als potentielle Gefahr
für seinen Arbeitsplatz imaginieren kann.
a. Der rassistische Ausschluss aus der Menschheit resultiert aus der Abstiegsangst, d.h. der Angst vor der eigenen Entwertung, der Angst vorm Verlust der eigenen bürgerlichen Qualität: der - an sich minderwertige-Fremde beraubt mich meines Arbeitsplatzes und nimmt mir damit die Möglichkeit, als Gleicher im Tausch aufzutreten. Getrieben von der Panik des
tendenziell Überflüssigen gilt dem Rassisten dann noch der ärmste Flüchtling
als Mitverursacher seines Unglücks.

b. Gleichzeitig symbolisiert z.B., ohne dass dem Rassist dieser offenkundige Widerspruch auffallen könnte, der mittellose Flüchtling

 

bereits die Folgen, die die Niederlage in der Konkurrenz mit sich bringt: Verlust der freien Verfügung über sich selbst, Wertlosigkeit.

Insofern erinnert er den Rassisten unterbewusst stets an das, was ihm selbst droht. Die minderwertigen Ausländer, "faul und unfähig" (= taugen nicht zur Verwertung), "saugen also den Sozialstaat aus" (=nehmen uns also das Butter vom Brot) und ziehen "uns" zurück in barbarische, vorzivilisatorische Verhältnisse, sorgen also für den Rückfall in die erste Natur.

III. Abgrenzen müsste man Rassismus schließlich auch von anderen Ideologien, z.B. vom Antisemitismus. Denn beide Ideologien erfüllen eine unterschiedliche Funktion für das bürgerliche Subjekt, das seine Identität erst Abgrenzung gegenüber "Minderwertigen" einerseits und "Überwertigen" andererseits erlangt. Denn während der Rassist Untermenschen konstruiert, denen er sich überlegen fühlt und die er in letzter Konsequenz dauerhaft außer Landes schaffen oder beherrschen will, sieht der Antisemit aus einem panischen Unterlegenheitsgefühl heraus in Juden so unsichtbare wie allmächtige Übermenschen, als deren Opfer man sich wähnt und deren imaginierte Allmacht in letzter Konsequenz nur durch vollständige Vernichtung zu brechen ist.
Daher sind auch die Projektionen völlig andere: während die Rassifizierten im Wahnbild des Rassisten dumm, triebhaft, tierisch, unfähig, verroht usw. sind (minderwertige Untermenschen), sind die Juden im Wahnbild des Antisemiten die genuinen Herren über das Geld, die Magier des Profits, die Organisatoren klandestiner Netzwerke von Spekulanten, Ausbeutern, Kriegstreibern usw. (bedrohliche Übermenschen), denen- weil "der Jude" für den Antisemiten die moderne Gesellschaft, ihre Macht und ihre Zwänge personifiziert- Attribute zugeschrieben werden wie: hohe, verschlagene Intelligenz, Heimat- und Bindungslosigkeit, Künstlichkeit, sagenhafte Macht, rücksichtsloser Individualismus, Materialismus und Egoismus.

Entschuldige die langwierige Erklärung, vlt. hilft sie Dir trotzdem etwas weiter. Natürlich kann man Rassismus auch einfach als dumm, lächerlich etc. abtun (und hätte damit ja auch Recht)- nur erklärt/ versteht man Rassismus damit nicht nur nicht, sondern ignoriert auch, dass es die Einrichtung der Gesellschaft ist, die "Dummheiten" wie den Rassismus stets auf Neue hervorbringt.

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