Glückssache

Ich grüße Dich, Misanthop2! Deinen Beiträgen entnehme ich, dass Du Dich sehr intensiv mit dem Thema auseinander setzt und – wie ich – den Wunsch hast, an diesem unerträglichen Zustand für Dich etwas zu ändern. Zuerst einmal: Für mich ist der Begriff Misanthrop oder Menschenfeind völlig unzutreffend und irreführend, denn diese Bezeichnung steht für eine bereits abgeschlossene innere Entwicklung, für das Resultat, nicht für die Ursache. Doch Ursachen interessieren in der Regel niemanden. Niemand wird mit einer ablehnenden oder feindlichen Gesinnung geboren, niemand! Ich beobachte mich und meine sich zunehmend verschlechternde Einstellung dem Außen gegenüber nun schon sehr lange. Mir ist aufgefallen – und das meine ich wirklich bitter ernst! – dass die Menschen, die diese Verachtung und diesen Hass im Laufe ihres Lebens entwickeln, anfänglich deutlich – sehr deutlich! – sensibler und rücksichtsvoller gewesen sind als Andere, es aber selten oder sogar gar nie erleben, dass ihnen mit der gleichen besonderen Sensibilität und dem gleichen Verständnis begegnet wird. Von mir selbst weiß ich das ganz eindeutig. Das führt irgendwann zum totalen inneren Rückzug, zu einem absoluten Misstrauen jedem gegenüber bis hin zu abgrundtiefer Verachtung, ja sogar Hass. Damit bin ich in einem Teufelskreis. Da ich selbst irgendwann ganz bewusst auch keinen Bock mehr hatte, freundlich, verständnisvoll und hilfsbereit auf mein Umfeld zu reagieren, reagierte natürlich auch mein Umfeld zunehmend ablehnender auf mich. Inzwischen ist mir mein Umfeld scheißegal, sollen sie sich doch gegenseitig alle ... ach, egal. Ich beobachte nur noch und könnte mich ständig übergeben. Aber ich lebe in unerträglicher Einsamkeit und verzweifele daran. Ich befinde mich permanent in einer Zwischenwelt, mit einem Fuß am Abgrund, mich mit einem Finger – noch – irgendwie am Überleben festkrallend. Da ist noch etwas in mir, dass möchte leben, überhaupt nur mal leben und nicht nur überleben, und es möchte im Grunde auch freundlich sein, das fühle ich sehr deutlich. Wäre es nicht da, würde ich nicht mehr suchen, und Dir nicht antworten. Auch ich suche Gleichgesinnte, Menschen, die mich verstehen und diese verheerende innere Entwicklung nachvollziehen können. Ich bin mir so absolut sicher, dass ein einziger Mensch diesem Zustand Einhalt gebieten könnte, ein Mensch, der zuhört und sich nicht abgestoßen fühlt, sondern bereit und in der Lage ist, zu verstehen. Damit wäre der Teufelskreis durchbrochen. Mit der Gründung einer Selbsthilfegruppe habe ich mich auch schon beschäftigt. In größeren Ortschaften gibt es Anlaufstellen in Form von Vereinen, die bei der Gründung behilflich sind, z. B. auf eigene Kosten Anzeigen schalten, um auf die Gründung einer neuen Gruppe aufmerksam zu machen und ein Ersttreffen zu organisieren. Den Rest macht die Gruppe selbst, und dafür bedarf es eigentlich nur einer Räumlichkeit für die Treffen. Allerdings fehlt es an geeigneten Teilnehmern (das ist jedenfalls meine Erfahrung). Die meisten Menschen – egal, wer oder was sie sind und womit sie sich plagen – haben Angst vor sich selber, vor ihren eigenen Gefühlen, vor ihren eigenen Bedürfnissen. Sie haben Angst davor, in sich selbst tief zu graben und zu forschen und halten sich lieber selber gefangen und an dem fest, was sie kennen und ihnen von überforderten Ärzten und unfähigen Therapeuten vorgelabert wird, auch wenn es ihnen nicht hilft und nie helfen wird. Lieber Misanthrop2, wir haben kein Problem, das vom Kopf her zu lösen ist, wir haben ein emotionales Problem. Was uns helfen kann, ist jemand, bei dem wir uns emotional fallen lassen können, gesehen und angenommen werden, und AUFGEFANGEN werden. Das Letztgenannte halte ich für das Wichtigste. In einer vertrauensvollen Umgebung ist so etwas möglich, und ich habe davor keine Angst. Aber wo finde ich Menschen, die das auch können und wollen? Glückssache???

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