Hey du!
Da ich selbst Erzieherin im Kindergarten bin, kann ich deine Frage hoffentlich beantworten.
Das gezielte Beobachten, das du vermutlich meinst, ist mitunter sehr anstrengend und vor allem zeitaufwändig. Es ist eine Aufgabe, zu der man sich manchmal zwingen muss, weil sie zum einen ein Höchstmaß an Konzentration bei der Beobachtung abverlangt, zum anderen aber auch noch Zeit in der Nachbereitung braucht.
Wie muss man sich das vorstellen? Wenn ich mir vornehme ein bestimmtes Kind zu beobachten, dann muss ich erstmal schauen, wann sich eine Situation findet, die geeignet ist. Wenn das Kind gerade bei einer Kollegin sitzt und sich ein Buch vorlesen lässt, ist das natürlich weniger spannend. Wenn es aber in ein Spiel vertieft ist, ganz egal ob allein oder mit anderen Kindern, kann das interessant werden.
Ich schnappe mir dann ein Klemmbrett und einen Stift und setze mich in einiger Entfernung zu den Kindern/ dem Kind. Und dann schreibe ich alles mit, was passiert. Also sowohl was das Kind sagt als auch was das Kind tut. Wichtig dabei ist, dass es völlig wertfrei geschrieben ist. Ich darf also nicht schreiben "Und dann hat sich xy fürchterlich geärgert" sondern ich schreibe ganz objektiv nur das auf, was ich sehe. Also statt "Xy baut einen Turm" - "Xy setzt einen Baustein auf den anderen.". Oder statt "Xy hat sich geärgert" - "Xy setzt sich in eine Ecke. Er wendet seinen Blick von den anderen ab.". Je neutraler es geschrieben ist, desto besser (wobei man natürlich immer zu einem bestimmten Anteil seine subjektive Wahrnehmung miteinfließen lässt).
Nun kann es sein, dass ich sofort eine sehr interessante Situation beobachte. Es kann aber auch sein, dass ich zehn Minuten mitschreibe und nichts dabei rauskommt. Also ja, im Grunde ist alles interessant, auch wenn das Kind nur dasitzt und andere Kinder beobachtet. Oder wenn das Kind alle dreißig Sekunden etwas anderes macht und durch das ganze Zimmer läuft. Das sind auch aufschlussreiche Beobachtungen. Aber richtig schön ist es natürlich, wenn man eine Spielsituation beobachtet, bei der man das Gefühl hat, dass das Kind gerade etwas lernt, etwas begreift, selbst etwas interessant findet, etc. Das kann aber eben dauern, bis man so etwas beobachten kann.
Im zweiten Schritt muss ich Zeit finden, mich an den PC zu setzen und meine Beobachtung abzutippen. Das klingt banal, ist aber gar nicht immer einfach. Schließlich besteht unsere Hauptaufgabe im Umgang mit den Kindern und da kann man nicht einfach mal sagen "ich bin dann mal ne halbe Stunde weg". Zu dem geschriebenen Text füge ich dann Fotos von der Situation hinzu, die ich während der Beobachtung noch nebenher gemacht habe. Außerdem formuliere ich eine Anrede an das Kind und eine Schlussbemerkung (wie zum Beispiel: "Ich habe gesehen, dass du dich heute lange mit den Bauklötzen beschäftigt hast. Ich finde es toll, wie lange du dich auf eine Sache konzentrieren konntest! Außerdem habe ich gesehen, dass Xy gerne bei dir mitspielen wollte und du hast ihm sofort ein paar Bauklötze abgegeben und ihn mitmachen lassen. Das fand ich schön, Xy hat sich bestimmt gefreut!".)
Wenn ich das fertig geschrieben und ausgedruckt habe, muss ich eine ruhige Minute finden, in der ich dem Kind die Beobachtung vorlesen kann. Auch das ist einfacher gesagt als getan, so ein Vormittag im Kindergarten kann neben Stuhlkreis, Brotzeit und Garten ganz schön kurz sein. Gemeinsam mit dem Kind ordne ich das Blatt dann in sein Portfolio ein, einen Ordner, in dem die Entwicklung des Kindes mit Fotos, Zeichnungen, Beobachtungen usw. festgehalten wird.
Die Kinder sind auf diese Beobachtungen wahnsinnig stolz. Das ist auch eines der Ziele, die wir beim Beobachten haben. Die Kinder sollen sich wahrgenommen fühlen. Sie sehen, dass ich sie sehe. Und dass ich auch genau hinschaue, was sie machen. Und dass sie nicht nur eines von vielen Kindern sind, sondern dass sie auch mal im Mittelpunkt stehen und etwas Besonderes sind.
Ich kann aus den Beobachtungen viel über die Kinder lernen. Ich erkenne, wie das Kind sich im Spiel mit anderen Kindern verhält. Wie es an Probleme herangeht. Welche Interessen und Vorlieben es hat. Wo es in seiner Entwicklung steht. Und vieles, vieles mehr. Außerdem kann sich durch immer wiederkehrendes Beobachten der Blick eines Erwachsenen auf das kindliche Spiel ändern. Wenn zum Beispiel in der Puppenecke ein riesiges Chaos herrscht, alle Puppen, Verkleidungssachen, das ganze Geschirr usw. auf dem Boden liegen, dann neigt man als Erwachsener dazu, nur Unordnung zu sehen, die schnell beseitigt werden muss. Wenn man dabei war, wie dieses Chaos entstanden ist, dann sieht man es oft anderes. Dann weiß man, warum was wo liegt und dass es eben nicht einfach nur dorthin geworfen wurde. Und wenn man solche Erlebnisse öfter hat, geht man anders damit um.
Für die Eltern sind Beobachtungen auch eine tolle Sache. Ich nutze sie oft als Einstieg in ein Elterngespräch und lese dazu eine Beobachtung vor. Die Eltern sind oft überrascht und rechnen das hoch an, dass sich jemand so viel Zeit allein für ihr Kind nimmt. Außerdem erfahren sie so, wie sich ihr Kind im Kindergarten verhält. Das kann ich ihnen natürlich auch erzählen, aber mit einer Beobachtung ist es eben noch viel genauer und viel "näher dran".
Wenn du noch Fragen hast, kannst du mich gerne fragen :)
Liebe Grüße,
Katja