Ich würde jedem empfehlen, einige Zeit in Katalonien zu leben und vor Ort die Entwicklung dieses Prozesses zu verfolgen und zu beobachten. Sie würden vieles, was Sie hier im Sinne der Separatisten äußern, überdenken. Ich habe mit meiner Familie 9 Jahre bis Frühjahr 2014 in Katalonien gelebt und gearbeitet. Als wir im Jahr 2005 dort ankamen, zeigten die Umfragen einen Anteil von ca. 12% von Unabhängigkeitsanhängern in der katalanischen Bevölkerung. Das Thema Referendum war so gut wie nicht vorhanden. Dann kam die Krise; die Arbeitslosigkeit stieg an, den Menschen ging es immer schlechter. Jetzt schlug die Stunde der Separatisten; „der Staat ist an allem schuld, der Staat plündert uns aus, der Staat unterdrückt uns“. Die eher gemäßigte Regionalregierung von CIU sprang auf den Zug auf und stellte die Zentralregierung vor vollendete Tatsachen: „entweder ein besserer Fiskalpakt mit weitgehenden Finanzzugeständnissen für Katalonien oder Stärkung der Unabhängigkeitsbewegung“. Die spanische Regierung lehnte ab und dann ging es Schlag auf Schlag: die rechtskonservative Regionalregierung schloss einen bis dahin nie für möglich gehaltenen Pakt mit den linksextremen Separatisten von ERC mit dem Ziel, die Unabhängigkeitsbewegung voran zu treiben und somit die Zentralregierung sukzessive unter Druck zu setzen. Ein Konglomerat aus politischen Parteien, subventionierten Medien und ebenfalls zum Teil aus Steuergeldern finanzierten separatistischen Bürgerinitiativen setzte eine beispiellose Kampagne der Propaganda und Demagogie in Gang. Die Docktrine wurde von den regionalen Fernsehsendern tagtäglich in Bildern umgesetzt; eine idyllische Darstellung eines unabhängigen katalanischen Staates sprang uns stündlich von den Bildschirmen entgegen, die buchstäbliche Untermalung der „blühenden Landschaften“, ein modernes „brainwashing“ ohnegleichen. Eine systematische Berieselung, wie man sie nur von totalitären Staatssystemen her kennt. Es ist quasi unmöglich, der kontinuierlichen Suggestion zu entfliehen. Wer sich dieser Bewegung nicht gefügig zeigt, wird als Faschist und Franquist beschimpft. Die eher gemäßigten Kräfte in der Gesellschaft sind eingeschüchtert, trauen sich nicht ihre Meinung öffentlich zu äußern. Durch die Gesellschaft geht ein Riss, sie ist gespalten; Familien zerstreiten sich, Freundschaften gehen zu Bruch, es kommt immer mehr zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist sektiererisch alimentiert und nur zu einem geringen Prozentsatz tatsächlich einer historischen Identität geschuldet. Mittlerweile sind auch wie man weiß, katalanische Politiker und Ex-Politiker wie die Galionsfigur des katalanischen Nationalismus Jordi Pujol in spektakulären Korruptionsskandalen verwickelt. Nicht wenige ( auch Katalanen ) glauben, daß dieses starke Engagement von bisher gemäßigten politischen Gruppierungen auch eigennützige Ziele verfolgt: dem Zugriff durch die spanische Justiz zu entfliehen. Ich verstehe mich als Demokrat, aber aus einem grundsätzlichen Demokratieverständnis heraus diese Art von Separatismus oder Unabhängigkeitsbewegung zu unterstützen widerstrebt mir.