Ich stehe dieser wachsenden Abneigung gegenüber Telefonaten im Geschäftsleben auch kritisch gegenüber. Als jemand, der selbstständig ist und dessen Alltag oft von Termin zu Termin und Fahrt zu Fahrt wechselt, sind Telefonate für mich ein Rettungsanker. Ich sitze viel am Steuer, und in diesen Momenten ist es einfach unmöglich, E-Mails zu tippen. Da war dieser Vorfall letzten Monat: Ich musste die Zusammenarbeit mit einem Entwickler beenden, weil er es vorzog, mir ständig E-Mails zu schicken, selbst für die einfachsten Anfragen, die wir mit einem kurzen Gespräch am Telefon in Sekundenschnelle hätten klären können.

Die Sache ist die: Ich habe einfach nicht die Zeit, den ganzen Tag E-Mails zu schreiben. Besonders dann nicht, wenn es darum geht, komplexe Inhalte so zu formulieren, dass sie auf Anhieb verstanden werden und nicht noch mehr Rückfragen nach sich ziehen. Der Gipfel war erreicht, als besagter Entwickler für eine Aufgabe, bei der er einen ganzen Tag lang einem Fehler hinterherjagte – der sich am Ende als Phantom erwies –, Bezahlung verlangte. Ein von vornherein offensichtliches Missverständnis seinerseits, das wir in einem zweiminütigen Telefonat aus der Welt hätten schaffen können.

Es frustriert mich, dass manche ihre Vorliebe für E-Mails über die Effizienz und die Bedürfnisse anderer stellen. Ich finde, das hat auch etwas Egozentrisches. Wenn ich sehe, dass ein Telefonat der schnellere und einfachere Weg wäre, dann schlage ich das auch vor. Aber wenn mein Gegenüber darauf besteht, sich hinter seinen E-Mails zu verschanzen, auch wenn es offensichtlich ineffizient ist, dann führt das bei mir zu dem Entschluss, die Zusammenarbeit zu beenden.

Ich denke, dass diejenigen, die ausnahmslos auf E-Mail-Kommunikation bestehen, selbst dann, wenn ein Telefonat deutlich effizienter wäre, sich überlegen sollten, psychologischen Rat einzuholen. Denn wenn ihre persönliche Abneigung gegen Telefonate zu einem Problem für andere wird, liegt hier ein tiefergehendes Kommunikationsproblem vor. Diese Einstellung erzeugt nicht nur Distanz und ein Gefühl der Ablehnung, sondern ist auch ein enormer Zeitfresser. In einer Welt, in der Zeit oft knapp ist, sollten wir alle offen sein, den Kommunikationskanal zu wählen, der am besten zum Ziel führt.

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Ich befand mich in Deinem Alter in derselben Situation. Das ist aber schon ein paar Jahrzehnte her. Das schwierige Thema hat mich lange begleitet. Heute weiß ich, dass meine Mutter eine sogenannte Narzisstische Persönlichkeitsstörung hat. In solchen dysfunktionalen Familien bekommen Kinder eine Rolle zugewiesen. Meist gibt es ein Goldenes Kind und ein Schwarzes Schaf. Mittlerweile gibt es sehr viele Informationen im Internet über dysfunktionale Familien und narzisstischen Persönlichkeitsstörungen. Suche mal nach "Narzissmus (oder toxische Familie) und Schwarzes Schaf". Wenn Du der Sache nachgehst, wirst Du sicher Antworten finden und herausfinden, dass Du an Deiner Situation keine Schuld trägst und Dir unbedingt Hilfe suchen solltest, auch wenn das für Dich mit Scham verbunden sein sollte. Ich wünsche Dir von Herzen viel Glück und eine schöne Zukunft. Du wirst es schaffen, glaub an Dich. Denn das Schwarze Schaf in der Familie ist meistens das seelisch gesündere, ehrliche und stärkere Kind.

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