Vielleicht sind Religionen an sich weniger das Problem als deren Einstellung (bzw. die Einstellung einzelner Richtungen innerhalb der jeweiligen Religion) anderen Religionen bzw. Richtungen in der eigenen Religion gegenüber. Die Toleranz.
Es dürfte in jeder Religion Richtungen geben, die einen anderen Glauben tolerieren und Richtungen, die das nicht tun. Die Entwicklung geht vielleicht insgesamt in Richtung "Toleranz", und vielleicht sind gerade deswegen die intoleranten Richtungen zunehmend aggressiv. Weil sie an Bedeutung einbüssen und, in der eigenen Perspektive, der Anspruch auf die allein selig machende "Wahrheit" in Gefahr ist. Gegen wen kämpft den ISIS? Gegen Muslime. Wieso kämpft ISIS überhaupt? Weil sie nur über ihre Lehre und Anschauung die Masse der Menschen in Syrien und dem Irak offenbar nicht gewinnen können. Da reisen aus der ganzen Welt Radikale an, und anders bekäme man die Kämpfer offenbar auch nicht zusammen. Würde zB. die Intoleranz und das Konservative im Islam insgesamt zunehmen würde ISIS nicht kämpfen müssen sondern würde Wahlen gewinnen. Ja, es kostet Leben. Ja, es macht manchen Angst. Ja, es macht Schlagzeilen. Aber man kann es auch als Abwehrkampf einer um ihre Existenz ringende Radikalität sehen. Statt als Zeichen für einen neue Tendenz.
Es ist ja oft so, dass die härtesten Auseinandersetzungen innerhalb der jeweilige Religion stattfinden statt gegenüber Andersgläubigen. Der 30-Jährige Krieg hat Deutschland ein Drittel seiner Bevölkerung gekostet, und da kämpften Christen gegen Christen. Die Römer dagegen haben über Jahrhunderte fast ständig Krieg geführt, aber nie wegen ihrer Religion.
Nimm mal die Entwicklung im Katholizismus. Über Jahrhunderte nicht tolerant gegenüber Andergläubigen, es gab Zwangstaufen, blutige Christianisierung von Osteuropa bis Südamerika, selbst andersgläubige Christen landeten als "Ketzer" auf dem Scheiterhaufen, Kreuzzüge usw.
Diese Zeiten sind für den Katholizismus vorbei. Statt zum Kreuzzug gegen Muslime aufzurufen betet heutzutage ein Papst sogar in einer Moschee. Das 2. Vatikanische Konzil beriet in den 60er Jahren die Religionsfreiheit, der Papst veröffentlichte 1965 "dignitatis humanae" und brach mit der Jahrhunderte langen Tradition der Intoleranz.
Aber: Das führte eben auch dazu, dass es einigen Katholiken zu weit ging. Es entwickelte sich eine konservative Opposition gegen die Kirche innerhalb der Kirche. Die Toleranz überzeugte eben nicht alle. Ein Papst, der in einer Moschee betet ist für diese Leute natürlich unerträglich. Das führte zur Entwicklung von teilweise einflussreichen katholischen Gruppen, die sich der neuen Toleranz des Vatikan entgegen stellten (Beispiel Piusbruderschaft). Manche gehen soweit zu glauben, dass der Teufel/die Freimaurer die Kirche übernommen haben und der Papst selbst eigentlich kein Papst ist (zB. Sedisvakantisten) Die halten sich für die "eigentlichen" Katholiken, sind aber nur ein verschwindend kleiner Teil. Im Ganzen hat sich im Katholizismus die Toleranz gegenüber anderen Religionen durchgesetzt!
Wie sich bei uns in Deutschland die Geschichte zu mehr relig. Toleranz entwickelt hat ist auch ziemlich eindeutig. Zu Kaiser Wilhelms Zeiten war der Kaiser Chef der evang. Kirche, sein Amt war ihm von Gott persönlich verliehen ("von Gottes Gnaden"). Der glaubte das.
Zu Adenauers Zeiten, der von Menschen gewählt wurde und nicht von Gott erwählt, war die Konfession eines Kandidaten für höhere Ämter noch mitentscheidend. Man musste da auf einen gewissen Proporz achten, zwischen Protestanten und Katholiken austarieren. Adenauer bekam die höchsten katholischen Auszeichnungen vom Papst, das hatte alles Bedeutung. 50 Jahre später kräht da kein Hahn mehr nach.
Ich wäre da nicht so pessimistisch. Die Toleranz hat insgesamt zugenommen. Einiges an den gerade ablaufenden Konflikten ist eben gerade dadurch zu erklären - dass diese Zunahme von Toleranz einer Minderheit viel zu weit geht und die keine anderen Möglichkeiten sehen als die Gewalt. Überzeugen aber können die nicht, und Glauben ist nun mal eine Überzeugung. Es ist sehr gut möglich mit jeder Religion so zu leben, dass man tolerant ist, friedlich und ethisch einwandfrei sein Leben verbringt. In jeder Religion gibt es tolerante Interpretationen der Lehre und intolerante.
Und natürlich ist es möglich als Atheist eine unmoralisches Leben zu führen. Man kann als Atheist ohne Probleme Rassist sein und Menschen wegen ihrer Hautfarbe hassen. Hass geht immer. Liebe auch.