Hi, natürlich hört man immer wieder Beispiele "kultureller Aneignung", beispielsweise Rastalocken (und Reggae) bei/von Weißen, oder auch die Übersetzung eines Gedichts einer schwarzen amerikanischen Dichterin (Amanda Gorman) durch einen weißen männlichen Übersetzer (ins Katalanische und ins Niederländische, beides wurde zunächst verhindert).
Die "weiße" Kultur in Deutschland hat sich mit Adam Riese "arabische" (eigentlich indische) Zahlzeichen angeeignet. Ist zwar schon ein Weilchen her, aber: Müssten wir trotzdem darauf verzichten und zu Runen oder römischen Zahlen zurückkehren?
Die "Kartoffel" ist ein Nachtschattengewächs, das in vor vierhundert Jahren ausgerotteten mittelamerikanischen Kulturen gedieh. Heute wurde es zur Bezeichnung von Deutschen (obwohl z.B. in Irland viel größere Verwerfungen durch kartoffelbedingte Hungersnöte auftraten). Sollte Europa auf den Anbau verzichten? Müssten Deutsche sich gegen die Bezeichnung verwahren, um sie sich nicht kulturell anzueignen?
Spaghetti wurden in China entwickelt (und von Marco Polo in Europa eingeführt). Darf man "beim Italiener" noch guten Gewissens Pasta bestellen oder muss man dazu "zum Chinesen"?
Das Klavier wurde in Deutschland entwickelt. Heute ist mit Lang Lang ein (Han-)Chinese der wohl berühmteste Pianist der Welt, und gleichzeitig ein Mitglied einer äußerst hoch entwickelten Kultur. Ist seine Bach- oder Beethoven-Interpretation auf einem in Europa, also einer aus China als unterlegen betrachteten Kultur, entwickelten Instrument nicht gleich mehrfach "kulturelle Aneignung"?
Gilt eigentlich auch die Übernahmen technischer Entwicklungen, die ja auch Kulturleistungen sind, als "kulturelle Aneignung"?
Meine allgemeinen Fragen nach diesen Beispielen: Wie legt man fest, ob etwas "kulturelle Aneignung" ist? Wer legt die "überlegene Kultur" fest (die sich nichts aneignen darf/soll)? Gibt es einen Entscheidungsplan, um festzulegen: ANeignung: Ja/nein?
Wie ist unter Vermeidung solcher Aneignung interkultureller Austausch möglich?