Lieber Rechercheur,

auch wenn Du schon so viele Antworten erhalten hast und Dich nach einem halben Jahr vielleicht ganz andere Fragen bewegen, fühle ich mich hingerissen, Dir auch noch zu antworten. Vielleicht ist mein Blickwinkel eine emotionale Ergänzung zu diesem Antwort-Spektrum hier, die das gegenseitige Verständnis um einen Hauch erweitert.

Vor zwei Monaten habe ich mich das zweite Mal von meinem Liebsten, der sehr offensichtlich ein nicht-diagnostizierter Asperger-Autist ist, getrennt. Mit den Worten, dass er ja seine ganz eigene Welt habe, ich so aber nicht. Da wir uns beide sehr lieben, ist das irre schmerzhaft und ich tauche bewusst tiefer in das Thema ein, um mehr zu verstehen und vielleicht doch einen Weg miteinander zu finden – trotz der grundlegend verschiedenen Taktung. Unkompatibel. Nicht alltagstauglich, diese Verbindung, zumindest über die letzten 1,5 Jahre, eher eine Achterbahn. Als ich das sagte, meinte ich mehr als das übliche "Jedem sein eigenes Universum". Das ist ohnehin so, jeder Mensch lebt in seiner eigenen Wahrnehmungs- und Bewertungs- und Sinnes-Welt. Was der nicht-autistische (auch das ist sehr relativ) Beziehungspartner erlebt und zutiefst erleidet, ist das Gefühl/die für „Normalos“ zwingende Interpretation vom Weggestoßenwerden, vom Stören/Nerven/Überfordern des über"reiz"ten Geliebten. Ich spreche hier mal die Liebesbeziehung an. Da ist ein Mensch, der sich viele Tage in Folge komplett selbst genügt. Genügen kann! Muss nichtmal unbedingt das Haus verlassen. Manchmal Wochen. Es ist ja auch ein enorme Fähigkeit. Mit PC in die virtuelle Welt, zu Haus in der Wohnraumkapsel, Verbindung ins Außen per Handy und gut. Nur keine physische Nähe. Erholung von der oft anstrengenden Präsenz anderer.

Die „eigene Welt“ ist bei meinem Ex-Schatz ein Eigenwärme erzeugender innerer Kokon, wo er sich aufläd und wohlfühlt. Dieser Kokon ist der wichtigste Aufenthaltsort, er geht weit über die „typisch männliche“ oder menschliche „Höhle" als Rückzugsort hinaus. Dass das Weibchen dem Mann seine Ruhe gönnt, versteht sich bei sensiblen Partnerinnen irgendwann hoffentlich von selbst. Ich bin Anfang 40 und habe lange Partnerschaften hinter mir. Nein. Ich beschreibe als Amateurin ein Phänomen, das ich so nie erlebt habe – so gut ich halt kann. Es geht um eine besondere Form der „Nichtbedürftigkeit/Bedürfnisfreiheit“ an menschlicher Wärme und Nähe. Irgendwie beneidenswert. Da wir uns gar nicht kennen, habe ich keine Hemmungen, mal zu beschreiben, wie grausam es für mich so oft war an vielen Punkten. Die emotionale Unberechenbarkeit für mich als Neuling und Nichtwissende zu dem Thema ist das eine. Aber das Gefühl, Wärme und Nähe, Vertrautheit zu brauchen, und damit allein zu bleiben (und sei es der einfache Tatbestand, dass mein Schatz im Nebenzimmer ist, während ich mal wieder arbeite). Ein Nichtautist braucht ja vom Liebespartner ein Willkommenseins-Gefühl. (Umgekehrt natürlich auch.) Ein lesbares, erlebbares Zeichen, nicht nur die Worthülse dazu. Wenn aber der emotionale „Akku“ von meinem Süßen nach 1–3 Abenden leer war, fühlte ich mich rausgeschmissen aus seinem Leben – und seiner Wohnung sowieso – durch die enormen Aggressionen, die gar nicht mir galten und die er selbst auch nicht wollte, sich auch entschuldigte. Ich habe mir irgendwann angewöhnt, mich so rar zu machen, dass es eher wie eine extreme Fernbeziehung war, um nicht immer wieder erleben zu müssen, dass ich zu viel bin. Bis ich merkte, dass ich mich nicht weiter nur ihm anpassen kann und will. Mein Seelenpflänzchen ging ein beim Versuch, ihm genug Raum für seine eigenen Sphären zu lassen. Und aus lauter Liebe ging er mir zu Liebe über seine Grenzen.

Mit diesem Konflikt bin ich noch lang nicht durch. Gibt es doch Hoffnung? Therapie? Das soll keine Frage an Dich sein. Die sog. eigene Welt wirkte auf mich wie ein Raum, wo ich nicht reindarf, obwohl ich doch so oft näher war als jeder andere Mensch in seiner Welt. Die gemeinsame Welt von uns war ein kleines Paradies, unvergesslich, sowas kannte ich nicht. Vielleicht sollte jeder Mensch seinen eigenen Space viel bewusster auskosten. Hier aber wirkte seine „eigene Welt" auf mich kalt und exklusiv. Wir haben versucht, zusammen zu wohnen. Ich merkte schnell, da ist ein Mann, der mich liebt, ein irre kluger und liebenswerter Mensch, der kaputt geht unter zu viel Input, so schön es auch sein mag mit uns. Also wurde ich noch viel selbstständiger im Alltag und wir sahen uns manchmal viele Wochen bewusst nicht. Ich „erfror“ im Alltag, wenn wir einen für ihn passenden Rhythmus der so wundervollen Gemeinsamkeit fanden. Und das als (unter NTs) sehr selbstständige Frau.

Es sind so viele Worte, sorry dafür. Hoffentlich kannst Du damit was anfangen.

Gruß von einer Unbekannten ;)

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