"Verantwortungsgemeinschaft" - nur ein weiterer Zungenbrecher oder ein wahrer Fortschritt?

Sowohl die deutsche Sprache als auch die Bürokratie hierzulande sind für ihre Komplexität bekannt. Der neue Vorschlag der "Verantwortungsgemeinschaft" sorgte im Netz allein wegen der Begrifflichkeit schon für Häme - doch wir wollten wissen, was unsere Nutzer von Buschmanns Vorschlag halten...

gutefrage-Redaktion
7.2.2024
Ein Haufen gestapelter Bücher und Akten als Sinnbild für die deutsche Bürokratie

Die "Verantwortungsgemeins" und für wen sie möglich sein soll

2025 soll sie kommen - die Verantwortungsgemeinschaft. Schon 2021 kündigte die Ampel an, dass ein gemeinsames Leben ohne Ehering, aber auch ohne Liebesbeziehung, einfacher ermöglicht und vor allem rechtlich abgesichert werden soll. Als "Wahlverwandtschaften" bezeichnete Buschmann diese sozialen Beziehungen - die Reform wurde bereits vor drei Jahren im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

Nun konkretisieren sich die Pläne: Die Eckpunkte für die Reform sind angeblich bereits fertig, noch im Herbst diesen Jahres soll der Gesetzesentwurf ins Kabinett eingebracht werden. Die Reform soll Gemeinschaften von zwei bis sechs Personen unterstützen, die beispielsweise gemeinsam wohnen und sich im Notfall helfen - aber eben nicht heiraten möchten. Die Zielgruppe besteht aus denjenigen Menschen, die keine Beziehung im klassischen Sinne haben, bei denen aber ein "tatsächliches persönliches Näheverhältnis" besteht. Gemeint sein könnten damit etwa Senioren, die gemeinsam leben, oder auch Alleinerziehende, die gegenseitig die Verantwortung übernehmen möchten, aber auch beispielsweise queere Menschen, die dadurch rechtlich die Möglichkeit hätten, ihre Wahlfamilie zu sichern.

Die Vorteile und Erleichterungen der "Verantwortungsgemeinschaft"

Viele kennen die Situation: Es tritt ein, was man sich nicht wünscht - aufgrund eines Unfalls etwa landet eine einem nahe stehende Person im Krankenhaus. Doch dort kann man nur warten - eine ärztliche Auskunft bekommen allerdings nur die Angehörigen. Das könnte sich mit der "Verantwortungsgemeinschaft" ändern - das Auskunftsrecht sowie Vertretungsfragen sollen dort anders festgehalten werden können. Notariell soll genau geklärt werden können, wofür es nun in mehreren Anläufen einzelne Vollmachten benötigt.

Der Eingang zu einer Notaufnahme

Gemischte Reaktionen - nicht nur in der Politik

So ganz einig sind sich dann allerdings mal wieder doch nicht alle. Nicht nur in der Politik, auch unsere Community hat da unterschiedliche Ansichten - doch dazu später.

Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, sieht in dem Gesetz lediglich eine überflüssige Instanz. Wer füreinander im Alltag Verantwortung übernehmen wollen würde, der könne das bereits jetzt - etwa auch mithilfe verschiedenster Vertragstexte, die Notaren bereits bereitliegen haben. Einen Mehrwert in Buschmanns geplanter "Verantwortungsgemeinschaft" sieht er nicht. Außerdem befürchtet er, dass dadurch eine Art Schlupfloch entstehen könnte: Nicht nur Poly- bereits Bigamie ist in Deutschland gesetzeswidrig. Krings sieht in dem neuen Vorschlag die Gefahr, dass so auf indirektem Wege Vielehen dennoch anerkannt werden könnten.

Anders sieht das beispielsweise Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung. Für den Grünen-Politiker ist klar: Ein solches Gesetz könnte besonders für Lesben, Schwule oder transgeschlechtliche Menschen ein Schritt in die richtige Richtung sein - denn hier nimmt oftmals eine Wahlfamilie den Platz der Herkunftsfamilie ein, etwa aufgrund von Ablehnung nach einem Coming-out. Eine solche Wahlfamilie könnte also hier sogar rechtlich abgesichert werden.

Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) lobt die Pläne. Der Grund dabei ist simpel: Seit Jahren haben sich nicht nur die Lebensumstände, sondern auch die Partnermodelle und Familiensysteme in Deutschland verändert, so die Vorstandsvorsitzende Michaele Engelmeier. Entsprechend sei dies ein guter Ansatz, um auf derartige Veränderungen zu reagieren.

Ja nein auf Händen, Englisch

Das denkt die gutefrage-Community über die "Verantwortungsgemeinschaft"

In unserer Meinung des Tages wollten wir von unserer Community wissen, was sie über die Pläne von Marco Buschmann denken.

Nutzer testwiegehtdas empfindet den Vorschlag als positiv und erklärt ausführlich aufgrund eigener Erfahrungen, weshalb ein solches Gesetzt durchaus sinnvoll sein könnte:

Ich finde es in Teilen sinnvoll, nicht mal nur für Alleinstehende. Habe mich aber ehrlichgesagt damit bisher nicht befasst, daher sind das nun meine ersten spontanen Gedanken dazu:

Ich hatte den Fall im Bekanntenkreis, Paar nicht verheiratet erwartete ein Kind. Mutter hatte hochschwanger einen Unfall, dann Notkaiserschnitt und Not-OP der Frau. Der Mann konnte erst zum Kind als genug Zeugen bezeugt haben dass er der Vater ist, weil ja noch nichts offiziell eingetragen, zu seiner Partnerin durfte er gar nicht, da in der Intensievstation nur Verwandte hin dürfen und er in dem Stress nicht dran gedacht hat zu behauten sie sein verlobt. Ihre Eltern kommen aus dem Ausland, er wuste tagelang nicht ob seine Partnerin überlebt und was mit ihr ist, weil keiner mit ihm reden durfte.

Für solche Fälle wäre es einfacher, wenn es (egal ob nun offiziell eingetragen oder einfach mit extra Vollmacht) Menschen gäbe, die trotzdem hin dürfen.

Oder ein Fall einer Freundin von mir, die im Heim aufgewachsen ist und einfach keine Familie hat. Wenn ihr mal was passiert, darf keiner zu ihr, weil eben keiner Verwandt ist.

Und selbst mir, die ich Familie habe, ist meine beste Freundin ebenso wichtig wie meine Schwestern, würde ich im sterben liegen würde ich sie auch bei mir haben wollen. Insbesondere wenn ich einen Unfall habe und meine Familie gar nicht schnell genug kommen könnte.

Ob ich das nun im einem Konstrukt ähnlich der Ehe bräuchte weiß ich nicht, aber alleine für gewisse Versorgungsfragen wäre es einfacher, wenn man auch eine kleine Anzahl nicht Verwandter bestimmen könnte, die ebenso wie verwandte zählen würden.

Zur Antwort
Eingehakte kleine Finger als Symbol von Freundschaft

Etwas kritischer sehen es diejenigen Nutzer, die in dem Plan keinen eindeutigen Mehrwert erkennen, so etwa auf der folgende User:

Ehrlich gesagt sehe ich den realen Mehrwert dahinter nicht.

Da ist jetzt nichts drin, was sich nicht auch anders lösen ließe.

Interessant wäre an der Stelle was passiert, wenn die Gemeinschaft einseitig beendet wird?

Zur Antwort

Generell lässt sich allerdings feststellen, dass die Mehrheit der Antwortenden die Überlegung keinesfalls ablehnt - allerdings gibt es noch viele offene Fragen bezüglich der Umsetzung und des Inhaltes, wie beispielsweise in dieser Antwort deutlich wird:

Die Idee ist gut, die Umsetzung mal wieder viel zu umständlich. Viele Betroffene haben weder die Zeit, noch das Geld, noch das nötige Verständnis, um so etwas bei einem Notar ihren Wünschen gemäß festhalten zu lassen.

(Wer je ein notarielles Dokument erstellen ließ, weiß, wovon ich rede...)

PS: Die Vielehe mag verboten sein, praktiziert wird sie trotzdem. Leider ohne jede Absicherung für die Frauen 2, 3, 4 usw. Aber keine Sorge - die Betroffenen werden auch in der neuen Konstruktion vom "mächtigeren" Partner gründlich ausgenutzt und über den Tisch gezogen werden, so dass sich dort de facto kaum etwas ändern wird.

Zur Antwort

Wie das Gesetz zu den alternativen "Verantwortungsgemeinschaften" letztlich tatsächlich ausfallen wird, bleibt noch abzuwarten. Ebenfalls ob und wie es verabschiedet wird; es lässt sich allerdings zusammenfassend definitiv feststellen, dass unsere Community einer Option dieser Art nicht abgeneigt wäre, wenn es denn klarere Vorteile zu erkennen gäbe - denn tatsächlich hat sich unsere Gesellschaft in eine Richtung entwickelt, in der rechtliche Absicherungen neben einer Ehe für viele immer wichtiger werden.

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