Ist Hubertus Heils Vorschlag des "Job-Turbos" die Lösung für eine bessere Integration und die Entlastung des Arbeitsmarktes?

In Deutschland gibt es viele Geflüchtete, die keine Erwerbstätigkeit aufnehmen können. Oft hat das bürokratische Gründe - der Bundesarbeitsminister schlägt eine Änderung dieses Systems vor

gutefrage-Redaktion
20.10.2023
Foto vom Eingang eines Sitzes der Agentur für Arbeit

In Deutschland gibt es mittlerweile viele Geflüchtete. Besonders medial wird immer wieder kritisiert, dass es zu viel Unterstützung gibt, das Arbeiten für sie einfach nicht lukrativ sei und es deshalb zu einer höheren Arbeitslosenquote kommt. Doch ganz so einfach ist es nicht: Deutschland ist nicht umsonst bekannt für seine teils sehr umständliche Bürokratie.

Das Problem der Sprachbarriere

Dass Deutsch eine relativ schwierige Sprache ist, ist hinlänglich bekannt. Mal steht das Verb am Anfang des Satzes, mal erscheint es irgendwo am Satzende. Begriffe, die in der Theorie eigentlich geschlechtsneutral sein sollten, haben bestimmte Artikel - etwa der Löffel, aber die Gabel. Wie schwierig eine Sprache tatsächlich zu erlernen ist, hängt zwar immer von der eigentlichen Muttersprache ab, jedoch gehört je nach Auflistung die deutsche Sprache immer wieder zu den zehn schwierigsten Sprachen, die man erlernen kann. Dabei ist es selbstverständlich einfacher, wenn die Lernende Person aus den Niederlanden kommt, als wenn sie aus einem weiter entfernten Land stammt.

Es lässt sich generell sagen, dass der Arbeitsaufwand, um Deutsch etwa auf Niveau B1 zu erlenen, bei circa 260 bis knapp 490 Lernstunden liegt. Zum Vergleich: Englisch bewegt sich im Bereich von circa 260 bis 300 Lernstunden.

Weiter ist seit Jahren immer wieder der Lehrkräftemangel in Deutschland ein Thema. Bereits an regulären Schulen für Kinder müssen Unterrichtsstunden teils entfallen oder gar Klassen zusammengelegt werden.
Im Bereich Deutsch als Fremdsprache gibt es diesen Mangel auch. Die Nachfrage an Sprachkursen ist zwar hoch, das Angebot mitunter aber sehr gering. Ein großes Problem für all diejenigen, die in Deutschland gerne eine Arbeit aufnehmen würden. Denn bezüglich der Sprachkenntnisse gibt es abhängig vom Arbeitsbereich strenge Vorschriften.

Zu sehen ist eine schwarze Wand mit einem weißen Fragezeichen darauf

Bürokratische Hürden für Geflüchtete

Es gibt immer wieder Geflüchtete, die dringend arbeiten möchten und auch über entsprechende Abschlüsse und Qualifizierungen verfügen. Nur eben leider nicht über die notwendigen Sprachkenntnisse.

Am Beispiel einer Ukrainerin, welche in Nürnberg lebt wird deutlich, wie kompliziert das Konstrukt zum Teil ist. Wie die Tagesschau berichtete, studierte sie in ihrer Heimat Pharmazie und arbeitete bereits mehrere Jahre als Apothekerin.
In Deutschland fand sie zwar eine Beschäftigung, jedoch nur in Teilzeit und als Apothekenhelferin. Ein Job, für den sie theoretisch überqualifiziert wäre - doch um in Deutschland als Apotheker tätig sein zu dürfen, muss ein Nachweis über entsprechende Sprachkenntnisse erbracht werden - dies gilt auch für etwaiges Wissen im spezifischen fachsprachlichen Bereich. In Bayern wird das im Falle des Apothekers von der Oberbayerischen Regierung geprüft.

Bis dahin kann zwar eine Tätigkeit aufgenommen werden, aber häufig eben in einem schlechter bezahlten und kleineren Umfang. Wie am Beispiel der Ukrainerin ist dann oft trotzdem eine staatliche Bezuschussung nötig. Sie bleibt Leistungsempfängerin, bekommt Miete und Heizung bezahlt, erhält Zuschüsse, da der Lohn nicht ausreicht.

Bis nämlich ausländische Abschlüsse anerkannt werden, dauert es nicht, wie in der Theorie festgelegt, drei Monate. Teils dauert es wesentlich länger, oftmals bis zu sieben Monate. Dazu kommt dann noch das Problem der Sprachbarriere und des mangelnden Angebots in diesem Bereich.
Eine psychisch belastende Situation, die langfristig auch zu Demotivation führen kann.  

Schild mit Privacy-Hinweis

Heils Pläne für einen "Job-Turbo"

Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil möchte an der aktuellen Situation etwas ändern. Rund 400.000 Menschen stehen zwar theoretisch, aber nicht praktisch für den Arbeitsmarkt zur Verfügung (weitere Infos gibt es dazu beispielsweise hier). Da Deutschland unter einem großen Fachkräftemangel leidet, handelt es sich dabei um viel ungenutztes Potential - ganz zu schweigen davon, dass, wie auch Heil es thematisiert, ein geregeltes Arbeitsleben einen wichtigen Teil zur Integration beitragen kann. Arbeitskollegen zu haben, mehr sprachliche Praxis und das Gefühl zurückbekommen, sich selbst versorgen zu können, sind nur einige Vorteile.

Entsprechend möchte Heil bewirken, dass die Geflüchteten schneller von der Schulbank der Integrationskurse in das Arbeitsleben vermittelt werden können.

Darum kümmern soll sich vor allem Daniel Terzenbach, welcher der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit ist. Arbeitsagenturen sollen von ihm auf die neuen Aufgaben und auf die engmaschigere Betreuung Geflüchteter vorbereiten. Außerdem soll er sich mit den Kommunen auseinandersetzen, um herauszufinden, wie der jeweilige Stand des Kinderbetreuungsangebotes ist, sodass gegebenenfalls auch Mütter besser in die Arbeitswelt integriert werden können.

Doch dieser Vorschlag gefällt bei weitem nicht allen. Sowohl der Bundestagsabgeordnete der FDP, Jens Teutrine, als auch Kai Whittaker, Sozialpolitiker der CDU, sehen einige Probleme bei dem Vorschlag.

Für Teutrine ist klar, dass der Fokus viel mehr auf den Berufseinstieg gelegt werden muss. Außerdem wünscht er sich, dass an Geflüchtete von Jobcentern auch Arbeitsstellen vermittelt werden, für welche diese eigentlich überqualifiziert sind.

Ein anderes Problem sieht Whittaker: Erst kürzlich wurden die Gelder für die Jobcenter weniger. Dafür nun eine weitere Aufgabe zu übernehmen, sei kaum umsetzbar, so befürchtet er. Zudem wünscht er einen schnelleren Zugang zu Sprachkursen.

Zu sehen sind Euro-Geldscheine

Zu dem Thema bei der Meinung des Tages gibt es auch bei unserer Community unterschiedliche Meinungen

Der Nutzer Dadamien86908 begrüßt den Vorschlag, kritisiert aber die mangelnde finanzielle Unterstützung vom Bund dabei:

Das ist eine sehr sinnvolle Maßnahme.

Es werden Arbeitskräfte gebraucht und die Flüchtlinge erhalten so eine Perspektive und liegen nicht dem Staat auf der Tasche. Also win/win/win. Wer selbst für seinen Lebensunterhalt sorgt wird auch seltener kriminell.

Es ist natürlich jetzt wieder typisch dass für ein sinnvolles Vorhaben nicht genug Geld da sein soll. Wenn wir 400k Menschen in Arbeit bringen können holen wir diese Investition doch relativ schnell wieder raus. Gerade in heutigen Zeiten ist die Schuldenbremse enorm hinderlich. Es handelt sich eben um Invest.

Zur Antwort

tomaushamburg allerdings sieht das etwas anders, kritisiert die politische Sprache und ist für die Kürzung von Sozialleistungen in bestimmten Fällen:

Also zunächst mal stört mich die zunehmende Kindersprache bei den Politikern (Wumms, Doppel-Wumms, Gute-Kita-Gesetz, Job-Turbo), aber das entspricht vermutlich deren intellektuellem Niveau.

Auch der Ausdruck "Geflüchtete" ist reinstes Framing. Wer über ein europäisches Land zu uns kommt, ist kein Flüchtling mehr, oder wovor muss man z.B. aus Italien flüchten?

Die beste Möglichkeit, Einwanderer in Arbeit zu bringen, ist die Kürzung oder auch vollständige Streichung von Sozialleistungen. In Polen z.B. sind 60% der Ukrainer in Arbeit. Wer wirklich "geflüchtet" ist, der wird alles tun, um sich sein Leben hier aufzubauen, und der wird auch ein Interesse daran haben, Deutsch zu lernen.

Zur Antwort

Der Nutzer frezzehunter schreibt eine sehr ausführliche Antwort und bringt noch dazu wichtige Punkte wie die der Zusammenarbeit ein:

Die Idee eines "Job-Turbo" für Geflüchtete mit Bleibeperspektive ist lobenswert, da sie darauf abzielt, Menschen schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Allerdings gibt es einige Herausforderungen, die berücksichtigt werden müssen:

1. Sprachbarriere: Die Sprachkenntnisse sind oft ein entscheidender Faktor für die Arbeitsmarktintegration. Es ist wichtig, sowohl den Zugang zu Deutschkursen zu verbessern als auch die Anforderungen in bestimmten Fällen flexibler zu gestalten, insbesondere wenn die Qualifikationen der Bewerber vorhanden sind.

2. Anerkennung ausländischer Abschlüsse: Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen kann sich als zeitaufwändig und komplex erweisen. Hier besteht die Notwendigkeit, den Prozess zu beschleunigen und zu vereinfachen.

3. Zusammenarbeit und Ressourcen: Die Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit, den Arbeitsagenturen und den Kommunen ist entscheidend. Es ist wichtig sicherzustellen, dass ausreichende Ressourcen für eine engmaschige Betreuung zur Verfügung stehen.

4. Kritik und Anpassungen: Die Kritik von CDU und FDP zeigt, dass es unterschiedliche Ansichten gibt. Es ist wichtig, die Pläne flexibel zu gestalten und auf Feedback zu reagieren.

Insgesamt ist die Idee eines "Job-Turbo" eine gute Initiative, die das Potenzial hat, Geflüchteten den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen. Die Umsetzbarkeit hängt von einer effektiven Koordination und ausreichenden Ressourcen ab. Die Sprachbarriere sollte durch eine Kombination von besseren Kursen und flexibleren Anforderungen angegangen werden.

Zur Antwort

Sowohl in der Community als auch in der Politik lässt sich erkennen, dass das Thema Integration und Arbeitsvermittlung kein einfaches ist. Eine Erleichterung der Arbeitsaufnahme könnte unter Umständen jedoch mehrere Vorteile für Deutschland haben - einerseits weniger Bezieher von Sozialleistungen, andererseits mehr Fachkräfte und eine Stabilisierung der sozialen Situation für (einige) Geflüchtete.

Es bleibt spannend, ob und wie der Bund Heils Vorschläge unterstützen wird und welche Schritte konkret umgesetzt werden.

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