Lateinische Texte-diktiert oder selbst geschrieben?

2 Antworten

"Verfassen" und "Diktieren" sind zwei unterschiedliche Sachen.

Ich habe einmal gehört, dass das Schreiben in der Antike mühsamer war als heute (immerhin gab es nur Großbuchstaben). Deshalb war es wohl in der Oberschicht üblich, die Texte einem Sklaven/Sekretär zu diktieren. Der Sekretät schrieb den Text auf, aber der Verfasser war imer noch der, der den Text diktiert hat.

Auch heutzutage diktieren die "ganz hohen Tiere" ihre Texte teilweise noch, vor allem wenn sie nicht so gut/so schnell tippen können. Es gib dazu auch Diktiergeräte.

Bei Cicero wird es noch etwas spezieller: Cicero hat seine Reden frei gehalten, also nicht abgelesen, auch wenn er sie vielleicht auswendig gelernt hatte. Die meisten Reden großer Redner aus der Antike sind verloren, da niemand sie aufgeschrieben hat. 

Deshalb hat Ciceros Sklave Tiro eine Kurzschrift (Stenographie) entwickelt, mit der er die Reden seines Herrn Cicero mitschreiben konnte, wenn er diese vor Gericht hielt. Daher sind heute viele Reden Ciceros überliefert und können fleißig übersetzt werden;)


habbit13 
Beitragsersteller
 14.09.2016, 22:14

Danke :) Dachte mir auch, dass Cicero seine Texte nicht selbst verfasst hat. Wie gesagt es war zu viel Mühe, die man auch Sklaven auftragen konnte :)

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Aufschreiben, diktieren und verfassen sind unterschiedliche Tätigkeiten, Aufschreiben ist die manuelle Arbeit. Diktieren geschieht mündlich und kann das Vorlesen einer schon vorhandenen Vorlage, die möglicherweise gar nicht von der diktierenden Person stammt, zum Zweck des Aufschreibens durch andere sein oder das Vorsprechen eines selbst geschaffenen Textes (der eventuell erst gerade im Moment des Diktierens entsteht) zur Niederschrift durch andere. Verfassen heißt abfassen/erstellen/herstellen, wobei dies sowohl auf gedankliches Entwerfen und Ausarbeiten beschränkt sein kann als auch das Niederschreiben umfassen.

Ein Autor eines Textes ist sein geistiger Urheber und der Text gilt als von ihm verfaßt, auch wenn er nicht selbst die Schreibarbeit verrichtet hat.

Eine Aussage, Caesar habe oft, Cicero so gut wie immer die Texte selbst verfaßt, ist ziemlich unverständlich, wenn nicht angegeben wird, an welche Texte gedacht wird. Sowohl Caesar als auch Cicero sind Autoren literarischer Werke gewesen. Es ist nicht in manchen Fällen statt ihrer eine andere Person Autor dieser Werke gewesen. Im sogenannten Corpus Caesarianum sind Schriften enthalten, deren Autor nicht Caesar ist, sondern in dem nur dessen Kriege dargestellt sind: das 8. Buch der Commentarii de Bello Gallico (von Aulus Hirtius geschrieben), das Bellum Alexandrinum, das Bellum Africanum und das Bellum Hispaniense.

Caesar hat sich für Ereignisse, bei denen er nicht selbst dabei, zum Teil auf Berichte seiner Unterfeldherren gestützt, wobei seine Darstellung aber nicht eine wörtliche Einfügung solcher Berichte ist.

Einige exkursartige Stellen in den Commentarii de Bello Gallico werden der Unechtheit verdächtigt, als spätere Zusätze (besonders 6, 25 – 28 über Tiere im Hercynischen Wald).

Anscheinend ist bei antiken Schriftstellern dieser Zeit das Diktieren häufiger gewesen als das eigenhändige Aufschreiben. Es gab Schreiber in den Privathaushalten der römischen Oberschicht und als Gehilfen bei öffentlichen Ämtern. Die etwas mühsame manuelle Tätigkeit konnte den Schreibern übertragen werden, die oft Sklaven oder Freigelassene waren.

Es gibt bei weitem nicht zu allem antike Zeugnisse. Daher ist über das Thema nicht alles genau bekannt und es ist Vorsicht vor sehr starken Verallgemeinerungen angebracht.

Der ältere und der jüngere Plinius haben etwa ein Jahrhundert nach Cicero und Caesar einem Schreiber diktiert (Plinius, Epistulae 3, 5; 9, 36, 1 – 3; 9, 40, 2).

Tiziano Dorandi, Tradierung der Texte im Altertum; Buchwesen. In: Einleitung in die griechische Philologie. Herausgegeben von Heinz-Günther Nesselrath. Stuttgart ; Leipzig : Teubner, 1997 (Einleitung in die Altertumswissenschaft), S. 4:  

„Besondere Beachtung bei den Phasen, die ein literarisches Werk bei seiner Abfassung durchläuft, verdient das vielschichtige Bild, das sich aus dem Unterschied zwischen dem Diktat und der autographischen Niederschrift eines literarischen Textes, sei es Poesie sei es Prosa, ergibt. Eine Prüfung der direkten und indirekten Zeugnisse zeigt klar, daß in der Antike das Diktat stets eine größere Rolle als das eigenhändige Schreiben gespielt hat. Wenn man bisweilen eher dem eigenen Schreiben den Vorzug gegeben hat, so gilt dies vor vor allem bei der Abfassung von Dichtung. Die Prosaautoren, und unter ihnen besonders – aber keineswegs ausschließlich – die Gebildeten und die Fachschriftsteller, zogen es vor, ihre Werke Sekretären, seit der Kaiserzeit häufig Stenographen (notari) zu diktieren: So arbeiteten unter anderem die beiden Plini, Galen, Origines und Hieronymus. Es ist allerdings zu bedenken, daß in einem so weiten, oft von persönlichen, subjektiven Bedürfnissen und Situationen bestimmten Feld jede Art von undifferenzierter Verallgemeinerung zu Fehlschlüssen führen kann. Beide Systeme dürften zu manchen Zeiten sogar von ein und demselben Autor angewandt worden sein, und zwar nicht nur je nachdem, ob er gerade Poesie oder Prosa verfaßte, sondern auch bei den weiteren Arbeitsgängen, die zur allmählichen, stufenweisen Ausarbeitung eines Werkes vom Text zum Buch führten.“

Tiziano Dorandi, Den Autoren über die Schulter geschaut : Arbeitsweise und Autographie bei den antiken Schriftstellern In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 87 (1991), S. 11 – 33 = http://uni-koeln.de/phil-fak/ifa/zpe/downloads/1991/087pdf/087011.pdf

Tiziano Dorandi, Zwischen Autographie und Diktat: Momente der Textualität in der antiken Welt. In: Vermittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur. Herausgegeben von Wolfgang Kullmann und Jochen Althoff. Tübingen : Narr, 1993, S. 71 – 83

Vera Binder, Schreiber III. Griechenland und Rom. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam – Tal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 223 – 226

Spalte 225: „Für h. Vorstellungen ungewöhnlich ist die Beobachtung, daß auch hochgradig gebildete und literate Personen sich professionelle Vorleser (anagnṓstēs, lat. auch lector) und auch Schr. bedienten (zumeist Fklaven oder Freigelassene) und Schriftsteller ihre Werke diktierten (dt. »dichten« geht auf lat. dictare zurück). […]. Zahlreiche hHinweise auf das Vorhandensein fester Schr. in Haushalten der röm. Oberschicht finden sich bei Plinius d. J. In einem Brief an Sueton erwägt er, die Rezitation eigener Werke häufig von einem Sklaven vornehmen zu lassen (Plin. ep. 9, 34). Schon Cicero vermerkt aber in seiner Korrenspondenz an Atticus, er habe den vorliegenden Brief im Gegensatz zur Gewohnheit, private Briefe selbst zu schreiben, diktiert (Cic. Att. 2, 23, 1). Von Caesar und Origines [2] (Eus. HE 6, 23, 1) ist bekannt, daß sie mehrere Stenographen (tachyoigráphoi bzw. notarii) gleichzeitig beschäftigt hielten (→ Tachyographie), dazu kamen Bibliographoi, die daraus dann Reinschriften anzufertigen hatten.“

h. = heutige

lat. = lateinisch

Schr. = Schreiber

dt. = deutsch

röm. = römischen

d. J. = dem Jüngeren

Plin. ep. = Plinius, Epistulae

Cic. Att. = Marcus Tullius Cicero, Epistulae ad Atticum

Eus. HE = Eusebios, Ekklesiastike historia (Ἐκκλησιαστικὴ ἱστορία; lateinischer Titel: Historia ecclesiastica)

Wilhelm Kierdorf, Scriba. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam -Tal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 299 – 301

Cicero hatte Schreiber und hat manchmal Briefe diktiert, wobei der persönliche Briefe an vertraute Personen gewöhnlich selbst geschrieben hat. In seinem Briefwechsel gibt es einige Hinweise auf Diktieren der eigenhändiges Niederschreiben von Briefen, z. B. Marcus Tullius Cicero, Epistulae ad Quintum fratrem 2, 2, 1; 2, 16, 1; 3, 3, 1; Epistulae ad Atticum 2, 23, 1; 4, 16, 1; 5, 14, 1; 8, 15, 3; 16, 15,1 (16, 17, 1)

Einen Widmungsbrief für die Academia posteriora an Varro hat Cicero dem Schreiber Spintharius Silbe für Silbe diktiert, nicht Tiro, der ganze Abschnitte in einem Zug aufnehmen konnte (Marcus Tullius Cicero, Epistulae ad Atticum 13, 25, 3).

Tiro, ein Sklave, später Freigelassener Ciceros, war gebildet und hat anscheinend eine Oberaufsicht in dessen Sekretariat gehabt. Tiro hat sich eine Kurzschrift ausgedacht, mit der er Reden Ciceros mitschreiben konnte. Eine Rede des Marcus Porcius Cato im Senat am 5. Dezember 63 v. Chr. ist auch auf diese Weise aufgezeichnet worden. Die veröffentlichten Reden Ciceros sind allerdings keine stenographischen Aufzeichnungen der mündllich vorgetragenen Reden, sondern Überarbeitungen (wobei die Überbearbeitung auch eine nur geringe Änderung sein kann, die Rede für Milo ist allerdings gegenüber der tatsächlich gehaltenen, bei der Cicero aufgrund der Umstände nervliche Probleme hatte, wohl stark verändert).

Caesar hat sehr geschäftig einen umfangreichen Schriftverkehr geführt und dafür etwas eingesetzt, was mit einem späteren Wort als Kanzlei bezeichnet werden kann. Von Caesar wird berichtet, mehrere Schreiber auf einmal mit dem Diktieren von Briefen beschäftigt zu haben.

Plinius, Naturalis historia 7, 91:

animi vigore praestantissimum arbitror genitum Caesarem dictatorem, nec virtutem constantiamque nunc commemoro nec sublimitatem omnium capacem quae caelo continentur, sed proprium vigorem celeritatemque quodam igne volucrem. scribere aut legere, simul dictare et audire solitum accepimus, epistulas vero tantarum rerum quaternas pariter dictare librariis aut, si nihil aliud ageret, septenas.

C. Plinius Secundus d.Ä., Naturkunde : lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Joachim Hopp und Wolfgang Glöckner. Buch 7: Anthropologie. 2. Auflage. München ; Zürich : Artemis & Winkler, 1996 (Sammlung Tusculum), S. 69:  

„Mit Geistesstärke am hervorragendsten begabt ist meines Erachtens der Diktator Caesar zur Welt gekommen; ich will hier nicht von seiner Tapferkeit und Festigkeit sprechen, nicht von seiner erhabenen Fähigkeit, alles zu umfassen, was unter Himmel ist, sondern von der ihm eigenen Lebenskraft und der wie durch ein Feuer beflügelten Schnelligkeit seiner Gedanken. Zu schreiben oder zu lesen, gleichzeitig zu diktieren und anzuhören war er, wie wir vernommen haben, gewöhnt; Briefe aber soll er in so wichtigen Angelegenheiten vier auf einmal seinen Schreibern diktiert haben oder, wenn er nichts anderes zu zu tun hatte, sieben zugleich.“

Plutarch, Caesar 17, 4 – 8:

ἐκοιμᾶτο μὲν γὰρ τοὺς πλείστους ὕπνους ἐν ὀχήμασιν ἢ φορείοις, εἰς πρᾶξιν τὴν ἀνάπαυσιν κατατιθέμενος, ὠχεῖτο δὲ μεθ’ ἡμέραν ἐπὶ τὰ φρούρια καὶ τὰς πόλεις καὶ τοὺς χάρακας, ἑνὸς αὐτῷ συγκαθημένου παιδὸς τῶν ὑπογράφειν ἅμα διώκοντος εἰθισμένων, ἑνὸς δ’ ἐξόπισθεν ἐφεστηκότος στρατιώτου ξίφος ἔχοντος. συντόνως δ’ ἤλαυνεν οὕτως, ὥστε τὴν πρώτην ἔξοδον ἀπὸ Ῥώμης ποιησάμενος ὀγδοαῖος ἐπὶ τὸν Ῥοδανὸν ἐλθεῖν. τὸ μὲν οὖν ἱππεύειν ἐκ παιδὸς ἦν αὐτῷ ῥᾴδιον·εἴθιστο γὰρ εἰς τοὐπίσω τὰς χεῖρας ἀπάγων καὶ τῷ νώτῳ περιπλέκων ἀνὰ κράτος ἐλαύνειν τὸν ἵππον. ἐν ἐκείνῃ δὲ τῇ στρατείᾳ προσεξήσκησεν ἱππαζόμενος τὰς ἐπιστολὰς ὑπαγορεύειν καὶ δυσὶν ὁμοῦ γράφουσιν ἐξαρκεῖν, ὡς δ’ Ὄππιός φησι, καὶ πλείοσι. λέγεται δὲ καὶ τὸ διὰ γραμμάτων τοῖς φίλοις ὁμιλεῖν Καίσαρα πρῶτον μηχανήσασθαι, τὴν κατὰ πρόσωπον ἔντευξιν ὑπὲρ τῶν ἐπειγόντων τοῦ καιροῦ διά τε πλῆθος ἀσχολιῶν καὶ τῆς πόλεως τὸ μέγεθος μὴ περιμένοντος.

Plutarch, Fünf Doppelbiographien : Teil 1: Alexandros und Caesar. Aristeides und Marcus Cato. Perikles und Fabius Maximus. Teil 2: Gaius Marius und Alkibiades. Demosthenes und Cicero. Anhang. Griechisch und deutsch. Zürich ; München : Artemis & Winkler, 1994 (Sammlung Tusculum), S. 233/235:  

„Er schlief meistens im Wagen oder in der Sänfte, um auch während der Ruhezeit tätig zu sein, und wenn er unter Tags durch das Land fuhr zu Festungen, Städten oder Lagern, dann saß ein Sklave neben ihm, der gewohnt war, während der Reise nach seinem Diktat zu schreiben; hinter ihm aber stand ein einziger Soldat, mit dem Schwerte bewaffnet. Er reiste so schnell, daß er das erstemal den Weg von Rom an die Rhone in nur acht Tagen zurücklegte. Schon als Knabe war Caesar ein guter Reiter gewesen. Er hatte sich daran gewöhnt, die Hände auf dem Rücken zu verschränken und das Pferd dabei in raschem Trab laufen zu lassen. Auf jenem Feldzug brachte er es durch dauernde Übung so weit, daß er im Reiten Briefe diktieren und zwei, nach Oppius' Zeugnis' gar noch mehr Schreiber gleichzeitig beschäftigen konnte. Caesar soll auch als erst erster auf den Gedanken gekommen sein, mit seinen Freunden brieflich zu verkehren, wenn die Ereignisse sich drängten und die Fülle der Geschäfte sowie die Größe der Stadt ihm keine Zeit zu einer persönlichen Begegnung ließen.“