Wieso ist die freie Standardbildungsenthalpie für Elemente = 0?

2 Antworten

Standardbildungsenthalpie:

Man hat dem bei T = 298 K stabilsten Zustand der Elemente definitionsgemäß die Standardbildungsenthalpie 0 kJ/mol zugewiesen.

Entropie eines Systems:

Gibt ein System Wärme ab, dann verringert sich seine Entropie. Am absoluten Nullpunkt (T = 0 K) ist die Entropie S = 0 J/(K·mol), denn es gibt keinen Vorgang, der die Entropie dieses Systems weiter verringern könnte.

Deine Frage ist etwas konfus gestellt. Ich vermute, daß Du folgendes fragen willst:

Um Reaktionsenthalpien oder -entropien zu berechnen, greift man ja auf Ta­bel­len­wer­te zurück. Diese Tabellen geben Standardbildungsenthalpien Δ fHᵒ und freie Stan­dard­­bildungs­enthalpien Δ fGᵒ an; beide haben ihren Nullpunkt bei den Ele­ment­­pha­­sen. Außer­dem stehen dort irgendwelche Entropien Sᵒ, und die sind für die Ele­mente ≠0. Warum ist das so, und wie paßt das zur Gleichung G=H−TS?

Dazu muß man als erstes einmal verstehen, was die Größen H und G (auch E und U) (die sog. „thermodynamischen Potentiale“) eigentlich sind. Es sind energieartige Zu­stands­größen, d.h., sie erfüllen den Heßschen Stufensatz und hängen nur von An­fangs-und Endzustand eines Prozesses ab, nicht vom Weg. Das heißt aber auch, daß sie prinzipiell nicht meßbar sind; man kann nicht sagen, daß irgendeinen Zu­stand (z.B. 1 mol Al₂O₃) eine Enthalpie von blabla habe, sondern man kann nur sa­gen, daß bei der Zustandsänderung 2 mol Al + 1½ mol O₂ ⟶ 1 mol Al₂O₃ ein En­thal­pie­um­satz von −1676 kJ auftritt. Man kann auch sagen, daß Al₂O₃ eine Enthalpie von −1676 kJ/mol relativ zu den Elementen habe.

Es gibt also keine absoluten Enthalpien (etc), sondern nur relative. Um Tabellen zu ma­chen, muß man sich willkürlich einen Nullpunkt suchen. In verschiedenen Feldern der Chemie werden verschiedene Nullpunkte benutzt, aber der einzige, der Dir in der Schu­le (und in frühen Phasen des Studiums) unterkommen wird, sind die Standard­bil­dungs­enthal­pien. Die wählen den Nullpunkt beim Element (in der bei 25 °C stabil­sten Form, außer beim P). Aber egal, wie der Nullpunkt gewählt ist, man bekommt die Reak­ti­ons­enthal­pien durch simple Differenzbildung (mal stöchiometrische Koef­fi­zi­en­ten, na­türlich)

Bei der Entropie ist es anders, denn die hat einen absoluten Nullpunkt, nämlich per­fek­te Ordnung in einem fehlerlosen Kristall bei Null Molekülbewegung, also 0 K; für reale Ma­terialien gilt dann die Boltzmann-Formel S°=k⋅lnΩ, wobei Ω die kombinato­ri­sche Zahl der „Anordnungsmöglichkeiten“ ist. Die Details sind etwas verzwickt, aber für einen perfekten Kristall bei 0 K gilt offenbar Ω=1, weil man den nur auf eine ein­zi­ge Art bau­en kann, daher stimmt die Gleichung (ln(1)=0).

Diese absoluten Entropien sind das Liebkind aller Theoretiker, weil sie sich aus der Kenntnis der Struktur (incl. thermischer Bewegung) eines Stoffes direkt berechnen las­sen; leider lassen sie sich auch nicht wirklich messen, da ein Experiment wie bei den ther­mo­dyna­mi­schen Potentialen nur Differenzen sehen kann. Wenn man kein Theo­re­ti­ker ist und sich nur für Differenzen interessiert, dann kann man also wieder den Null­­punkt frei wählen, z.B. mit Standardbildungsentropien, die für die Elemente Null ist. Die meis­ten Tabellen geben aber trotzdem die absoluten Entropien an, weil da eine Spur mehr In­for­ma­tion drinsteckt und es den Anwendern in der Regel ja egal ist, welche Zah­len sie zur Dif­fe­renz­bil­dung heranziehen.

Damit haben wir also einmal eine Antwort auf den größeren Teil der Frage: Die Ta­bel­len geben H, G etc. notwendigerweise mit einem willkürlichen Nullpunkt (den Ele­men­ten) an; das heißt dann „Standardbildungethalie“ etc. Bei der Entropie wäre das zwar auch mög­lich, aber weil es da einen theoretisch fundierten Nullpunkt gibt (näm­lich 0 K), wird meis­tens der genommen („absolute Entropie“).

Wie das mit der Gibbs–Helmholtz-Formel G=H−TS zusammenhängt, sieht man am besten, wenn man ein x-beliebiges Beispiel durchrechnet. Die Zahlen sind von Wiki­pedia; dort habe ich aber kein Sᵒ(O₂) gefunden, also habe ich mir diese Zahl vom NIST geklaut.

Al₂S₃ + 4½ O₂ ⟶ Al₂O₃ + 3 SO₂

Al₂S₃: Sᵒ=116.9 J mol⁻¹ K⁻¹, ΔfHᵒ=−724 kJ/mol
O₂: Sᵒ=205.15 J mol⁻¹ K⁻¹
Al₂O₃: Sᵒ=50.92 J mol⁻¹ K⁻¹, ΔfHᵒ=−1675.7 kJ/mol
SO₂: Sᵒ=248.223 J mol⁻¹ K⁻¹, ΔfHᵒ=−296.81 kJ/mol

Daraus können wir sofort die molare Standardreaktionsenergie ΔrSᵒ=−244.5 J mol⁻¹ K⁻¹ ausrechnen und ebenso die molare Standardreaktionsenthalpie ΔrHᵒ=−1842 kJ/mol. Die freie molare Standardreaktionsenthalpie ist dann
ΔrGᵒ = ΔrHᵒ−T⋅ΔrSᵒ = −1769 kJ/mol
(und in Zukunft schreib ich wieder kurze Namen für das ganze ΔrXᵒ-Gedöns)

Wir können uns aber auch Bildungsentropien für die einzelnen Substanzen berech­nen. Dazu brauchen wir noch Sᵒ(Al)=28.3 J mol⁻¹ K⁻¹ und Sᵒ(S)=32.054 J mol⁻¹ K⁻¹ (wieder beides von NIST). Die Bildungsentropie von Al₂S₃ ist dann natürlich
ΔfSᵒ(Al₂S₃) = Sᵒ(Al₂S₃) − 2⋅S⁰(Al) − 3⋅Sᵒ(S) = −35.862 J mol⁻¹ K⁻¹
und für die anderen Vögel funktioniert das ganz gleich. Mit dieser Bildungsentropie kann ich dann auch die freie Bildungsenthalpie des Al₂S₃ ausrechnen
ΔfGᵒ(Al₂S₃) = ΔfHᵒ(Al₂S₃) − T⋅ΔfSᵒ(Al₂S₃) = −713 kJ/mol
usw. für alle anderen Vögel.

Insgesamt erhält man dann eine konsistente Tabelle

Bild zum Beitrag

  • Die Reaktionsgrößen bekommst Du, indem Du entsprechend der Stöchiometrie spaltenweise die Einträge mal den stöchiometrischen Koeffizienten aufsummierst
  • Die Bildungsentropien kriegst Du aus den absoluten Entropien der Substanz und der Elemente, wie oben für Al₂S₃ gezeigt
  • Innerhalb jeder Zeile gilt G=H−TS für die Spalten 1–3 (also die Bildungsgrößen)
  • Die Bildungsentropien und die absoluten Entropien geben dieselbe Reaktions­entropie. Deshalb braucht man die ΔfSᵒ-Spalte in der Praxis nicht, und deshalb wird sie auch so selten angegeben.
Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik
 - (Physik, Chemie, Hausaufgaben)