Warum ist die russische Armee so schwach?

18 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Gute Frage, stellen sich gerade viele, bist damit ja nicht allein. Was ich bisher an Erklärungsversuchen gesehen habe (wobei das aber vermutlich für Jahre thema bleiben wird und noch lange nicht final geklärt ist):

1. Moral. Moral ist schwer zu erfassen und zu bewerten, aber extrem wichtig. Die russische Moral ist schlecht. Die ukrainische Moral ist sehr gut. Der Faktor wurde komplett vernachlässigt.

2. Ausrüstung. Solche Bewertungen beruhten auf Aussagen wie "Russland hat 12.000 panzer". Das ist eine unglaubliche Menge panzer. Und auf dem Papier ist das auch so. Praktisch steht ein Großteil davon irgendwo im Sibirien buchstäblich in der Pampa und rostet vor sich hin. Ein Teil davon wird sich nie wieder aus eigener Kraft bewegen, ein weiterer Teil wird viel Reparatur brauchen.

3. Alter und Pflege der Ausrüstung. Das ist viel Zeug aus der sowjetzeit. Einschließlich handfeuerwaffen und Reifen und sowas. Und ja, ein 30 Jahre alter Reifen ist ungefähr so belastbar, wie du es dir gerade vorstellst.

4. Allgemein Logistik. Dazu muss man wissen, für jeden Kämpfer gibt es im Hintergrund drei Menschen, die dafür sorgen, dass er kämpfen kann. Ein Soldat braucht Nahrung, Treibstoff und Munition. Jeden Tag. Ein Krieg ist in erster Linie ein logistisches Problem. Das ganze hat mehrere Aspekte.

a. Russlands Armee ist in erster Linie auf Verteidigung ausgelegt. Das ist wichtig, weil Russland ein gewaltiges Land ist, das in erster Linie aus gar nichts besteht. Da ist in großen Gebieten einfach nichts. Entsprechend haben die sehr viel Eisenbahn, weil das die effizienteste Methode ist, Zeug durch viel nichts zu transportieren. Russlands Armee ist darauf ausgelegt, dieses eisenbahnnetz zu verwenden. In Russland ist das auch da. In der Ukraine eher weniger. Da fällt ein großes Standbein der Logistik weg. (side note, Russland hat ne andere spurbreite als zentral-und Westeuropa. Dieses Problem wäre in Europa noch viel gravierender, weil du russische Züge in Europa einfach nicht verwenden kannst)

b. Lkws. Armeen im Krieg schaffen endlos viel Material mit LKWs durch die Gegend. Dazu brauchst du eine gewaltige flotte an LKW, die gepflegt und unterhalten wird. Insbesondere weil die nicht pfleglich behandelt werden. Die Straßen werden im Krieg zunehmend schlecht und du nimmst keine Rücksicht auf getriebe oder Schlaglöcher oder irgendwas, wenn du gerade als rollende Zielscheibe Munition transportierst. Russlands Lkw sind, allen Anzeichen nach, schlecht gewartet.

c. Mechanisierung und automatisierung. Jeder, der mal nen Lkw beladen hat, wird dir sagen, Paletten, Gabelstapler und Ameisen sind integral wichtig. Es schont nicht nur das Personal, es verkürzt die benötigte Zeit dramatisch. Russland verwendet nichts davon. Es wird alles von Hand getragen. Ineffizient und braucht deutlich mehr Personal und Zeit.

5. Kommandostruktur. Russland hat immer noch die Struktur aus dem 2. Weltkrieg. Sehr top down. Der Soldat entscheidet nicht sondern wartet auf Befehl. Der Westen hat diesen Ansatz mittlerweile gekippt und mehr Verantwortung nach unten verlegt. Ein Stichwort wäre hier nco. Das führt dazu, dass lokal schneller reagiert werden kann. Zeit ist wichtig. Ein anderes wäre Anpassungsfähig. Beispielsweise kherson airfield.

6. Informationen. Die Nato versorgt die Ukraine mit sehr viel Intel. Gewaltiger Vorteil.

7. Strategisches versagen. Russland hat direkt zu Beginn des Krieges mehrere Entscheidungen getroffen, die strategisch fatal waren. Sie lassen sich in aller Regel darauf zurück führen, dass Russland keinen Krieg geplant hat, sondern wirklich eine militärische spezialoperation. Die Ukraine hat einen Krieg geplant. Hätte Russland sich an die eigene Doktrin gehalten was "wie führt man einen Angriff" angeht, wären die ersten vier Wochen möglicherweise weniger katastrophal gelaufen.

Was die Verluste und übermacht angeht, dazu muss man auch sagen, bis zu einem gewissen Grad ist es normal, dass der Angreifer enorme Verluste hat. Man braucht für einen Angriff mindestens einen Vorteil von 3:1, um das auszugleichen. Und konventionelle kriege haben horrende Verluste auf beiden Seiten. Das ist unvermeidlich.

Edit, es ist früh, ich hab Korruption vergessen. Russland ist einer der korruptesten Staaten der Welt. Das hat Auswirkungen auf die Armee. Angefangen damit, dass Gelder für Wartung und Modernisierung irgendwo versickert sind. Weiter damit, dass das enorm teure neue sichere Kommunikationssystem(era) seinen Weg auf den Schwarzmarkt gefunden hat, sodass die Schwachstelle bekannt war (es braucht 3g und 3g braucht Netz. Verhindere den Aufbau des Netzes bzw zerstöre dein eigenes und nix da sichere Kommunikation im Angriff). Bis hin dazu, dass Kommandanten nicht existente Soldaten geführt haben, weil sie so deren Lohn einstreichen konnten.


PixelManuel  14.05.2022, 08:39

Gute Analyse und Zusammenfassung. Ich denke, der letzte Punkt ist besonders wichtig.

Putin hat von seinen Generälen eine einsatzbereite Armee versprochen bekommen. Doch die Gelder für Modernisierung und Instandhaltung sind die letzten Jahrzehnte in die Taschen der Generäle geflossen, die nicht mit einem Angriff gerechnet haben.

Nicht umsonst hat Putin kurz nach dem Angriff mehrere Generäle entlassen.

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OLDO1975  29.05.2022, 02:42
@PixelManuel
Doch die Gelder für Modernisierung und Instandhaltung sind die letzten Jahrzehnte in die Taschen der Generäle geflossen, die nicht mit einem Angriff gerechnet haben.

Aber dennoch hat Russland Geld genug gehabt um den U-BOOT- Torpedo POSEIDON, die Hyperschall-Atomwaffe KINSCHAL, und die Superrakete "SATAN2" mit mehreren Atomsprengköpfen aktuel zu besitzen.

Ich finde, die USA haben währenddessen schön geschlafen. Die USA geben so viel Geld für ihr Militär-Apparat aus, aber Russland hat das ultimative bessere Spielzeug?

Die USA müssen nun aber hurtig nachziehen. Jetzt wissen die Amerikaner bescheid woran sie arbeiten müssen.

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gonzo1233  14.08.2022, 19:33
@OLDO1975

Die USA steht doch bei Putins Angriff gar nicht zur Debatte.

Nach dem mißlungenen Angriff kommen Putin neue Waffen in die Pfandleihe um die Reparationen zu finanzieren.

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iIovemusic 
Fragesteller
 14.05.2022, 08:50

Dankeschön.Sehr schöner Beitrag.

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HALO77HALO  17.05.2022, 15:42

Kleine Korrektur zu Punkt 4: Mittlerweile wird ein kaempfende Soldat von 7-8 versorgt.

"Die Armee gewinnt die Schlacht, aber die Logistik gewinnt den Krieg!"

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ChaplainVarnus  01.07.2022, 06:44

Nein, es ist ein Stellvertreterkrieg

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palusa  01.07.2022, 06:55
@ChaplainVarnus

Na das erklärt dann alles, weil stellvertreterkriege ja noch nie verloren wurden...

Wäre die russische Armee auf dem Level, auf dem sie erwartet wurde, hätte sie die Ukraine platt gewalzt, mit oder ohne Unterstützung der Nato. Deswegen war die Unterstützung der Nato Anfangs so zögerlich. Man ging von "lohnt sich eh nicht" aus.

"es läuft alles so schlimm wegen der Nato" ist das russische narrativ, weil sie schlecht sagen können "upsi, wir haben mist gebaut, alles ist furchtbar, kommt ihr trotzdem kämpfen und sterben?"

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Ontario  06.12.2022, 06:57

Im Grunde sind deine Argumente nachvollziehbar. Putin hat für das Frühjahr 2023 eine Großoffensive in der Ukraine geplant.

Da gilt es abzuwarten, welche militärischen Mittel Putin zum Einsatz bringen wird.

Bisher wird der Krieg konventionell geführt. Putin hat leider auch andere Waffen mit denen er diesen Krieg von heute auf morgen beenden könnte. Das darf man nicht vergessen.

Er könnte darauf verzichten das Land in die Russische Föderation einzugliedern, weil ihm bewusst wird, diesen Krieg nicht gewinnen zu können. Dann könnte er mit Atomwaffen das Land zerstören und es auf viele Jahre hinweg, unbewohnbar machen.

Russland verfügt über das größte Atomwaffenarsenal in der Welt. Warten wir ab, ob es zu einer Großoffensive der Russen kommt, sich die Sache aber ganz anders entwickelt, als derzeit angenommen wird.

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palusa  06.12.2022, 07:25
@Ontario
Putin hat für das Frühjahr 2023 eine Großoffensive in der Ukraine geplant.

Blenden wir mal aus, dass Frühling schlammzeit ist und das entsprechend eine sehr ungünstige Zeit für eine offensive, weil alles, naja, im Schlamm steckt:

Mit was?

Da gilt es abzuwarten, welche militärischen Mittel Putin zum Einsatz bringen wird.

In der Tat. Vom gespannt, ob sie dann noch Raketen haben oder ob die Stocks bis dahin völlig erschöpft sind. Die letzte Salve der Russen war ohne iranische Drohnen, wenn der Iran nicht weiter liefert, wird das möglicherweise ein Problem..

Putin hat leider auch andere Waffen mit denen er diesen Krieg von heute auf morgen beenden könnte. Das darf man nicht vergessen.

Technisch richtig, da das Erscheinen der Nato in der Ukraine ziemlich sicher sehr schnell das Ende des Krieges wäre.

Er könnte darauf verzichten das Land in die Russische Föderation einzugliedern, weil ihm bewusst wird, diesen Krieg nicht gewinnen zu können.

Kann er tatsächlich nicht, weil er das schon getan hat und das im russischen Recht wohl aktuell nicht rückgängig zu machen ist.

Dann könnte er mit Atomwaffen das Land zerstören und es auf viele Jahre hinweg, unbewohnbar machen.

Da überschätzt du sowohl das, was Atomwaffen wirklich sind, als auch den Spielraum Russlands. Russland existiert nicht im Vakuum. Insbesondere ist Russland sehr, sehr abhängig von China. Und China hat überhaupt kein Interesse an einem nuklearen Krater mitten in ihrer hübschen Seidenstraße.

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Die russische Armee ist ein Sammelbecken der Ärmsten der Gesellschaft. Die Bezahlung ist schlecht und die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Soldaten sind (schon in Friedenszeiten) katastrophal. Niemand unterschreibt da einen Zeitvertrag, wenn er Aussicht auf eine andere Arbeit hat. Wer genug Geld hat nutzt sogar die weit verbreitete Korruption, um sich von der Wehrpflicht frei zu kaufen.

Das Ergebnis ist eine unmotivierte Armee, die sich aus Leuten zusammensetzt, die nur dabei sind, weil sie keine andere Arbeit gefunden haben.

Zu den schlechten Voraussetzungen kommt schlechte Führung. Die russische Armee kennt keine innere Führung, sie wird strikt hierarchisch von oben herab geführt. Es gibt keine Flexibilität, es wird an festen Abläufen festgehalten statt neues auszuprobieren. Statt die Erfahrung und das Wissen länger gedienter Soldaten aller Dienstgrade zu nutzen, herrscht Kadavergehorsam. Befehle werden grundsätzlich nicht hinterfragt, Verbesserungsvorschläge von unten werden grundsätzlich nicht beachtet oder gar aktiv bekämpft. Die Armeeführung ist aus systemtreuen Jasagern und Karrieristen zusammengesetzt, die die Lügen der eigenen Propaganda glauben und an Strukturen festhalten, die ihre eigene Position sichern. Dadurch sind die Strukturen veraltet, unflexibel und ineffizient.

Zu diesem Strukturproblem kommt ein riesiges Korruptionsproblem in der Armee. Da versickert mehr Geld als am Ende tatsächlich für die Ausrüstung ausgegeben wird. Das Ergebnis ist, dass viele Ausrüstungsgegenstände entweder ganz fehlen oder in schlechtem Zustand sind.

Das Ausrüstungsproblem wird verstärkt, weil Russland es sich eigentlich garnicht leisten kann, eine so riesige Armee zu betreiben. Russland hat 144 Millionen Einwohner, seine Wirtschaftsleistung ist schwach. Trotzdem betreibt es fast 13000 Kampfpanzer (1 Panzer pro 11000 Einwohner). Westdeutschland hatte während des Kalten Krieges 2000 Kampfpanzer bei etwa 60 Millionen Einwohnern und guter Wirtschaftsleistung (1 Panzer auf 30000 Einwohner). Panzer sind nur ein Beispiel, die ganze Armee ist für Russland zu groß und zu teuer. Das kann sich Russland nur leisten, weil an allem Ecken und Enden gespart wird. Der Qualität der Ausrüstung tut der Sparzwang auch nicht gut. Auch ohne die Korruption wäre die Ausrüstung nur mittelmäßig.

Ein anderer Faktor ist, dass Verteidiger immer motivierter sind als Angreifer.


iIovemusic 
Fragesteller
 14.05.2022, 08:55

Danke für deine Antwort.

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ChaplainVarnus  01.07.2022, 06:48

Nein falsch. Es herrscht Stellvertreterkrieg

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Ist ja interessant dass niemand die westliche Unterstützung erwähnt. Es ist was anderes wenn Russland nur mit der Ukraine Krieg führt oder mit dem ganzen Westen. Von Anfang an habe ich gesagt, dass die Ukraine auch durch Geheimdienstinformationen und Aufklärung unterstützt werden. Und in den letzten Wochen kamen die Meldungen dazu. Was ist mit Satellitenbildern? Auch wieder die Unterstützung durch den Westen, sowie die Ausbildung und die Waffenlieferung.

Die Taktik und Strategie wie man im Krieg vorgeht ist einer der wichtigsten Punkte, die genau der Westen damit hilft.

Sie haben wohl tatsächlich Probleme.

Ich denke, russische Soldaten sehen nicht ein, warum sie die Ukraine angreifen sollen. Sie tun ihren Dienst lustlos. Warum sterben für das Donbass oder Odessa?

Das russische Volk insgesamt ist von Haus aus nicht auf Aggression und Eroberung eingestellt, so tickten sie noch nie.

Ich vermute, dass sie ganz anders kämpfen würden, wenn sie Russland verteidigen müssten. Dann gäben sie alles, das haben sie 1812 und v. a. 1941 bis 1945 gezeigt.


Clownfisch3  20.08.2022, 16:17

Russland ist hier der Aggressor. Bitte nichts durcheinader bringen

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Je größer eine Armee, desto schwieriger ist es, diese zu verwalten.

Immer wieder wird hier der mutmaßlich schlechte Zustand der Bundeswehr thematisiert. Bei derartigen Beiträgen wurde unzählige Male darauf hingewiesen, dass nahezu jedes Militär der Welt diese Probleme kennt, natürlich auch das russische.

Das russische Militär ist auf dem Papier groß, jedoch gibt es eklatante Mängel.

In weiten Teilen unzureichende bis schlechte Ausbildung, u.a. einem dysfunktionalem Führungsprinzip geschuldet. Es gibt keine übergreifenden, einheitlichen Ausbildungen, wesentlicher Faktor weiterhin; es gibt nach wie vor kein Unteroffizierkorps, wie es in vielen Armeen des Westens der Fall ist. Hier fehlen die unterschiedlichsten Fachsoldaten, die Uffz. haben lediglich die Aufgabe, Befehle umzusetzen. Das wirkt sich u.a. negativ auf die Ausbildung der unteren Dienstränge aus.

Keine Moral und Werte, jahrzehntealte Ausrüstung, die zwar z.T. modifiziert wurde aber neueren Waffensystemen nicht gewachsen ist, sind zusätzliche Aspekte.

Beim Einsatz der verschiedenen Komponenten, wie Luftwaffe, Heer usw. mangelte es von Beginn an Koordination und Kommunikation.

Ein weiterer, wesentlicher Faktor ist, dass Angriff meistens schwieriger als Verteidigung ist.

Die Ukraine hat sich jahrelang darauf vorbereitet, Gebiete, Städte, Orte zu verteidigen, bei den Russen wurden viele Soldaten im Unklaren darüber gelassen, dass man einen Angriff auf die Ukraine plant. Selbst nach dem Beginn des Angriffs war dies längst nicht allen russischen Soldaten klar. Dazu kommt, dass Viele bereits wochenlang im Feld waren, auch das beeinflusst die Moral der Soldaten.

Nichtsdestotrotz sollte man die russischen Streitkräfte nicht unterschätzen.


iIovemusic 
Fragesteller
 14.05.2022, 08:44

Dankeschön. Guter informativer Beitrag.

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BVBDortmund  14.05.2022, 09:13
 "Erscheine schwach, wenn du stark bist, und stark, wenn du schwach bist." - Sun Tzu.

Es gibt andere Erklärungen.

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ChaplainVarnus  01.07.2022, 06:45

Nein, es ist ein Stellvertreterkrieg

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