Habt ihr als Jugendliche nach Anerkennung gesucht?

17 Antworten

Das tut nahezu jeder Teenager in der Findungsphase. Wir sind soziale Wesen, die Aufmerksamkeit brauchen. Mit der Zeit entwickelt sich das ganze aber und zunehmend gerät das (bei einigen, nicht allen) in den Hintergrund.

Mit 15, 16 war ich schon bemüht irgendwie meinen Platz in der Masse zu finden und möglichst mit vielen Leuten „cool“ zu sein. Über die Jahre bis ich dann 17, 18 wurde ging mir das dann auf den Sack und ich habe mich freiwillig aus der breiten Masse zurückgezogen und nach echter Freundschaft gesucht. Die findet man in der breiten Masse von Vollidioten meistens nicht wirklich.

Angel1112  22.11.2023, 05:26

👍👍👍👍

1

Nein und ich wurde deshalb als psychisch gestört bezeichnet. Mir wurde mangelndes Selbstwertgefühl unterstellt. Es war mir tatsächlich egal, was andere über mich dachten. Außerdem hatte ich keine Vorbilder, da ich trans bin und das zu meiner Jugendzeit sehr unerwünscht war. Man redete besser nicht darüber.

wer tut das nicht? Das tut jeder Mensch in jedem Alter. Allerdings ist es bei Jugendlichen auffälliger, da sie in einer extrem sensiblen, verletzbaren Altersphase sind und sich selbst erst finden müssen. Da sie selbst noch gar nicht wissen, wer sie nun eigentlich sind, sind sie sehr auf die Anerkennung anderer Menschen angewiesen.

"Keiner kann so gut Kartoffeln schälen wie du." - "Niemand kann so toll den Boden wischen wie du." - Ja, als Kind und als Jugendlicher braucht man Bestätigung und Anerkennung, ich habe allerdings rasch gelernt, dass das, worin ich so umwerfend gut war, lediglich der ganz normale Alltag ist. Mein damaliges Idol war Kermit der Frosch. Mit "Applaus-Applaus-Applaus" habe ich mir dann eben selbst zugejubelt. Alles ist gut. Alles ist okay. Mir geht's prima. Und wenn ich bejubelt werden möchte, na, jetzt kennt ihr ja mein Geheimrezept: "Applaus-Applaus-Applaus".

Angel1112  22.11.2023, 05:22

💐💐💐💐💐💐👍👍👍👍

1

Das tut in der Phase eigentlich jeder. Ich tat es auch - nicht penetrant und ich spielte mich auch nie in den Vordergrund, aber Anerkennung suchte ich schon auf meine eigene, eher unaufdringliche Weise - ich war nie so ein Angebertyp und nie so ein lauter Krakeeler und hatte keine Macho-Allüren, stamme aber aus eher problematischen Verhältnissen und musste mich schon im Kindergarten umso mehr beweisen als andere, weil es mitunter hieß, ich sei einer der Sorte "der taugt nix, der kann nix, guckt euch die Leute an". Ich hatte ein offen gesagt sehr schlechtes und niedriges Selbstwertgefühl, das lag an der Realschule mit ihrem schlechten Klima und merkwürdigen Leuten und an dieser Tristesse in meiner Heimatstadt, die ich vor Jahren auch verlassen habe, weil es mich so blockiert hat. Zuhause gab's auch nicht wirklich echte Anerkennung. Ich wurde zwar nicht gegängelt oder kontrolliert, aber es hieß, man müsse immer seriös, demütig, geduckt und am besten ziemlich durchschnittlich sein, aber doch besser als andere; man möge bloß nicht auffallen, immer seriös, immer klassisch, immer gediegen - ich hatte kaum Spielraum und war froh, dass ich zumindest meine Kumpels hatte und Musik, die ich nachhaltig als Musik für Jugendliche wahrnahm und in der ich ganz aufging.

Ich habe zum Beispiel versucht, mich, unterlegt von typischer 90er Jahre Eurodance Musik, aktuellen Popsongs à la carte und den Liedern von Dieter Bohlen und mit "guter" Kleidung für jedermann ersichtlich in der Nähe "guter" Autos (das war als Jugendlicher so ein Hobby von mir) zu präsentieren und legte Wert auf Fotos damit, die ich anderen zeigen konnte. So hatte ich mit ca. 16/17 Jahren bei Partyfans (ein primitiver Chatroom aus den frühen 2000ern) ein Foto von mir online, das zwar nciht bearbeitet war, in dem ich jedoch ein Sakko trug und in einem malachitgrünen 3er-BMW E30 saß, der mir natürlich nicht gehört hatte weil ich da noch keinen Führerschein hatte, den ich aber cool fand. Es gab auch ein Foto von mir an einem silbernen 5er-BMW E34 mit Alufelgen und Schiebedach, wo ich sogar einen kompletten Anzug trug - ich sah aus wie eine Art Chauffeur. Ich versprach mir davon damals ... ja, dass es halt stark ist und dass ich damit "gewandter" wirke und andere sehen, ouh, sieh mal her, der hockt in einem BMW oder steht davor, also kann es nicht der letzte A.... sein und eigentlich er ja offenbar doch ganz okay und "hat es auch drauf". Mein erstes Auto war dann ein gebrauchter Audi 100. Heute würde ich das nicht mehr machen, aber in "jungen Jahren" steht man da oft noch nicht drüber.

Als Jugendlicher hatte ich wie so viele meiner Freunde irgendwie schon den Wunsch, Popsänger zu sein, reich, berühmt, einflussreich, gut angezogen, erfolgreich und beliebt. Da mischte aber was anderes mit als die Sucht nach Aufmerksamkeit: Ich war ein Ausländerkind nach dem Motto "born on the wrong side of town". Da zählen andere Werte als in einer bürgerlichen gepflegten Reihenhaussiedlung. Da will man immer "besser sein" und hat "Sehnsucht nach was Besserem" und würde davor fast jedes Hindernis in Kauf nehmen wenn man wüsste, es wird danach tatsächlich endlich gut. Ich habe es mir wie nicht wenige meiner Freunde (meist Russlanddeutsche) auch mal gewünscht, wie Dieter Bohlen/Blue System (das war in den 90ern so unser Held) geachteter Popsänger in einem schicken Anzug zu werden, viel Geld zu verdienen, Geld für Anzüge und Schmuck und Krawatten und Autos zu haben - oder zumindest den Leuten zu zeigen, was ich kann und dass ich nicht dieser Ausländer bin, sondern ein Typ, der auch was kann und jemand ist.

Ich wünschte mir als Jugendlicher so mit 16/17 wie gesagt ein fettes Auto und stellte mir vor, in einem Mercedes W124 (damalige E-Klasse, richtig teuer; die fuhren vor allem ältliche Bürgermeister oder so) mit den schönen originalen Alufelgen und schwarzen Rücklichter und dunkel abgeklebten hinteren Fenstern rumzufahren und das in einem Anzug, schön laut Dieter Bohlen Musik und irgendeinen 90er Eurodance zu hören und alle lägen mir zu Füßen. Das ist natürlich hirnrissig, aber viele dachten damals so. Mir ist das auch nicht peinlich!

Dahinter steckte ein Komplex: Ich als oft diffamierter Ausländer, über den sich sogar eine Lehrerin immer lustig machte bis ich mal während des Unterrichts aufstand, vorging und ihr sagte, dass sie erstmal ihre eigenen Probleme lösen soll bevor sie sich über die Probleme anderer belustigt, hätte es mir gewünscht dass man als Star oder als Fahrer einer fetten Karre, die auf Wohlstand schließen lässt, endlich ernstgenommen wird, was man im realen Leben oft nicht wird, wenn irgendwas nicht "passt", mal so gesagt. Ich glaube dass typische "deutsche Jugendliche" aus der Einfamilienhausfamilie mit christlich orientierter Vorzeigefamilie, soliden Berufschancen und mit "solidem" Leben, die geliebt und geschätzt werden und arriviert sind und keine Sorgen haben und wo der Vater ihnen eine Lehrstelle sowieso organisiert, sich solche Wünsche gar nicht einreden, weil sie das nicht brauchen und sich auch so angenommen fühlen. Die träumen eher von Studium, Beamtentum oder großes Haus auf der grünen Wiese und eigenem Pferd auf der Koppel und drei Kinder, die auch alle bestimmt mal Abi machen werden und tolle Partner anschleppen aus vergleichbar soliden Familien - als davon, bei Dieter-Thomas Heck am Samstagabend in "Musik liegt in der Luft" tanzbare Popsongs zum Mitklatschen zu präsentieren und bunte Sakkos zu tragen, eine fette glitzernde Rolex zu besitzen und einen Mercedes zu fahren. Die sind von Haus aus erfolgsverwöhnt und gefestigt genug. Wir aber fühlten uns von anderen vernachlässigt und abgehängt, nicht gewollt und nicht akzeptiert und nicht wertgeschätzt - wir wollten da einfach nur raus. Fette Autos sind ein Symbol, das Erfolg und den Ausweg verspricht.

Das alles hat aber ein schönes Ende: Heute fahre ich nach der Arbeit (ich bin durch viel Fleiß erfolgreich geworden und habe eine sehr schöne Stelle bekommen, in der ich ganz aufgehe und bin ein nachhaltig als kompetent und nett wahrgenommener Mann geworden) manchmal echt in meiner Mercedes E-Klasse rum und höre mit breitem Grinsen die alten Lieder von Dieter Bohlen, fühle jeden Akkord mit, kann diese Nonsens-Texte von Dieter alle auswendig ... und wenn der "Chor" in diesem Lied kommt playbacke ich den auswendig mit und fühle mich, als wäre ich der Sänger selbst oder Mitglied des Chors vor diesem Publikum, finde es einfach Klasse und denke mir ... ach ja!

https://www.youtube.com/watch?v=BAhhKIUCl_A

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
SerenSaethu  21.11.2023, 12:19

Das ist großartig geschrieben! Und herzlichen Glückwunsch, dass das Lebensglück Dich gefunden hat.

1
rotesand  21.11.2023, 16:36
@SerenSaethu

Vielen Dank! Ich freue mich auch sehr darüber und weiß es zu schätzen sowie zu genießen. Das ist alles kein Grund zum Abheben und Wegfliegen, aber es ist ein Grund für innere Ruhe - ich bin ein zutiefst zufriedener Mensch und habe so gesehen keine nennenswerten materiellen Wünsche mehr.

Damals war ich der bildungsferne Loser, dem man seine provinzielle und einfache Herkunft anmerkte, der die angesagten Kleidungsmarken nicht mal dem Namen nach kannte, der in der Hauptsache mit der Familie oder Freunden verkehrte, der nie einen Fuß in die teuren Hotels auf den Dörfern gesetzt hatte, der nie im Ausland oder im Skiurlaub war und zur bekannten Keksmischung "Belvedere" nicht "Bell-we-der", sondern in Lautschrift "Bel-ve-de-re" gesagt hat, weil ich nicht wusste, wie man das ausspricht und alle lachten im Chor. Ich höre heute noch die beleidigenden Spottreime in mir.

Ganz vergessen habe ich das nie; ich war der einfache Typ, der deutsche Schlager gemocht hat und lustige Kinderlieder, der gern Zeichentrickserien, Astrid Lindgren Filme und "Forsthaus Falkenau" und "Unser Charly" sah, sonntags mit dem Opa in den Wald ging und in normaler Kleidung von Aldi usw. rumlief - und die anderen waren die "Coolen" mit ihren Superfamilien mit fetten Häusern in der Siedlung am Berg über dem Kreiskrankenhaus, wo zwei neuwertige große Autos vor den Häusern standen, und wir hatten "nur" einen Opel Senator, der schon knappe zehn Jahre alt war. Wenn wir essen gingen, dann im Kaiser oder im Grünen Baum, es gab Schnitzel und für mich das kleinere Kinderschnitzel, aber so oft gingen wir nicht essen, weil wir lieber daheim aßen und in der Familie waren. Die anderen gingen sonntags geschlossen in die Kirche und die coolen Supermütter bedienten dann beim Kuchenverkauf der Frauengemeinschaft und dann ging es in ein feines Restaurant, wir aßen daheim und waren nicht in der Kirche und die Frauengemeinschaft ... ich glaube, wir wussten gar nicht, dass es so was überhaupt gibt, weil es so unwichtig war.

Ich bekam immer gezeigt, dass ich provinziell und bildungsfern sei, auch von Lehrern, obwohl meine Noten gut waren. Erst ab der achten Klasse wurde ich selbstbewusster, wahrscheinlich auch durch meine erste Freundin Katja und ein paar gute Lehrer und meinen besten Kumpel, dessen Einfluss dann immer stärker wurde - aber ich habe heute den Eindruck, ich blieb mir treu.. nur zur Info ----> eben höre ich bewusst einen alten Song von Andreas Martin. Den Sänger kannte ich schon in meiner Kindheit und ich finde ihn immer noch gut.

Bei den Mädchen bin ich damals sehr gut angekommen, sogar bei den "Coolen", das wunderte mich immer, aber ich war halt wirklich der Typ, mit dem man immer reden konnte, keinen Dünkel hatte und niemanden wegschickte, ich war kein Angeber. Eine hat es dreimal versucht und sogar nochmal probiert bei mir zu landen, als wir schon in der Ausbildung waren. Die war auch nett und hübsch, aber das war so ambivalent, es war suspekt.

Heuer war ich beim Klassentreffen dennoch der gute solvente Typ, der was Solides aufgebaut hat und sich alle Jugendträume erfüllt hat gegen sehr rauen Wind. Ich hatte keinen Fürsprecher, keinen reichen Onkel und keinen, der mir jeden Weg ebnete - ich musste mir fast alles selbst erarbeiten. Und darauf war ich irgendwie fast stolz, obwohl es mir indirekt unangenehm war, weil ich immer der ganz einfache Typ von nebenan sein werde, der gern in den Wald geht, am liebsten Schnitzel mit Pommes isst wie damals im Kaiser oder im Grünen Baum (die es beide nicht mehr gibt), der gern Schlager hört, an Weihnachten die Astrid Lindgren Filme sehen will wie früher und coole Supermütter aus der Frauengemeinschaft heute noch selbst aus der Distanz betrachtet einfach nur falsch, anstrengend und nervig findet, obwohl mich das Thema jetzt erst recht nicht mehr betrifft.

1
SerenSaethu  22.11.2023, 15:02
@rotesand

Ich grüße Dich, Rotesand, herzlichen Dank für Deine offenen und zutreffenden Worte. Mein gestriger Kermit-Kommentar passt jetzt zwar keineswegs zu Deinem heutigen Kommentar, aber lassen wir das positiv so stehen wie's steht, Rotesand, man lernt ganz einfach, "wichtig & richtig" von "unwichtig & unrichtig" zu unterscheiden und lässt individuell jedem alle Entfaltungsmöglichkeiten & Freiheit. Du fühlst Dich rundum wohl - und mir geht es auch so. Viele liebe Grüße und weiterhin so ein herrlich schönes Wohlgefühl! Es gibt doch echt nichts Besseres.

0
SerenSaethu  21.11.2023, 12:21

Ah, das habe ich vergessen = mein "Idol" (früher) war Kermit der Frosch. Applaus-Applaus-Applaus = damit ging ich ausnahmslos jedem auf die Nerven.

1