Wie erklärt sich das Phänomen Stockholm Syndrom?

7 Antworten

Ich finde deine Frage sehr interessant und sie bringt mich zum Nachdenken. Danke dafür.

Ich denke dass dieser psychologische Effekt evolutionäre Hintergründe hat. Zum einen war es früher üblich dass ein Stamm die Frauen eines anderen Stammes geraubt hat und diese Frauen mussten mit der neuen Situation umgehen können. Das Stockholm Syndrom erlaubt der geraubten, entführten, und missbrauchten Frau sich selbst einzureden freiwillig hier zu sein ind freiwillig alles zu erdulden. Es schützt die Psyche der Frau und ermöglicht gleichzeitig eine echte Integration in die neue Gruppe, die dadurch stärker wird.

Ein anderer Aspekt der mir einfällt ist, dass innerhalb einer Beziehung in der eine Frau schlecht behandelt/misshandelt/missbraucht wird, sie durch das Stockholm Syndrom an den Täter/Partner gebunden ist und so auch unter schwierigsten Bedingungen eine "funktionierende" Beziehung möglich ist. (Funktioniert aus Sicht der Evolution und des Überlebens der Gruppe)

In heutiger Zeit ist dieses Syndrom vermutlich der Grund dafür dass so viele Frauen so lange bei Männern bleiben, die diese misshandeln, anstatt sofort auszuziehen und sich zu trennen.

Oft ist es logisch nicht nachvollziehbar warum eine Frau sich das alles gefallen lässt und nicht erkennen will wqs für ein schlechter Mensch ihr Partner ist. Ich denke dass immer dann dieses Syndrom es der Frau unmöglich macht sich gegen ihren Peiniger zu stellen und ihn als Partner anzusehen.

Das sind alles nur Vermutungen meinerseits und ich wäre für konstruktive Kritik und Kommentare von Experten sehr dankbar.

Auch Menschen die etwas sinnvolles dazu schreiben möchten und meine Gedanken in eine andere Richtung lenken möchten, dürfen das gerne tun.

ZionsDaughter  30.03.2024, 08:58

Guter Kommentar, nur bedenke, dass das Stockholm-Syndrom auch Männer betreffen kann. Das fehlt in deiner Antwort.

Im Grunde sichert dieser psychische Ausnahmezustand unser Überleben - wer sich als Geisel kooperativ verhält, hat höhere Chancen, da unversehrt rauszukommen. Dazu kommt das Phänomen von Konditionierung: Wenn Geiseln oft zunächst sehr feindselig und unmenschlich behandelt werden und dann nach einer Weile eine Verbesserung der Lage eintritt (z.B. dürfen sie auf Toilette oder Misshandlungen hören auf), dann löst das starke Gefühle der Erleichterung oder auch Dankbarkeit aus. Negativer Reiz fällt weg -> positives Gefühl. Je stärker der negative Reiz war, umso positiver das Gefühl. Zusammen mit dem Phänomen, dass man oft die Peiniger als einzige Bezugsperson hat in der Zeit und somit alle Handlungen dem Peiniger zugeschrieben werden (und eben auch die positiven, während wir als empathische Wesen dazu neigen, besonders grausame, "unmenschliche(!) Dinge externen Gründen zuzuschreiben, z.B. unfaire Lebensbedingungen des Peinigers in der Vergangenheit), werden diese Gefühle dann schnell besonders stark.

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Ratgebbaer99  30.03.2024, 09:04
@ZionsDaughter

Vielen Dank für deine Erklärung. Dass es auch Männer betrifft ändert nichts an meinen Überlegungen, denn ich denke dass die Evolution bei der Erschaffung von derlei Verhaltensmustern nicht zwischen Geschlechtern unterscheidet. In einer von Frauen dominierten Welt wäre es genau so entstanden und hätte da dann eben überwiegend die Männer betroffen.

Deine psychologische Erklärung hat mir sehr weiter geholfen und schildert sehr gut wie das auf psychologischer Ebene funktioniert.

Vielen Dank nochmals dafür.

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Männer entwickeln auch ein sog. Stockholmsyndrom.

Es ist auch kein Syndrom im medizinischen Sinne, sondern ein populäre Bezeichnung, die wissenschaftlich nicht klar abgesteckt, geschweige denn bestätigt ist.
Es geht auch nichts um Verlieben, sondern darum, Symphatie für die Täter/Täterinnen und deren Motivation zu bekommen.

Da spielt dann eine Wahrnehmungsverzerrung unter grossem psychischen Druck und sicher die Hauptrolle. Ob es tatsächlich etwas mit Selbstschutz zum tatsächlichen Überleben zu tun hat, weiss man nicht, weil wie gesagt: Die Forschungslage dazu dünn und wiedersprüchlich ist - es kann auch ein Ausweg aus dem grossen psychischen Druck sein.

Ganz nebenbei, es geht auch umgkehrt - das sog. Lima-Syndrom

akirschenhoffer 
Fragesteller
 30.03.2024, 09:14

Vielleicht aus dem langweiligen Alltag befreit

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ZiegemitBock  30.03.2024, 14:47
@akirschenhoffer

Nein, jede Geisel kann gerne auf dieses "Abenteuer" verzichten. Aber es ist so wie LastDayof Eden beschreibt: Entführer und Entführte sitzen, wenn auch unfreiwillig, im selben Boot.

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Ganz einfach: Täter und Opfer sitzen bei Entführungen zu einem gewissen Grad im selben Boot. "Gute" Entführer tragen ihren Opfern Sorge - schliesslich wollen sie sie ja gegen Bares eintauschen. Die Opfer umgekehrt sind abhängig vom Goodwill der Entführer - sie tun also gut daran, sich mit diesen gut zu stellen.

Beide Parteien haben zudem gemeinsam, dass sie ängstlich und nervös auf den Ausgang der Entführung warten. Bezahlen die Erpressten? Ist die Polizei schneller? Auch für die Entführten kann es gefährlich werden, wenn die Polizei eingreift, weil dann die Entführer zu Kurzschlusshandlungen neigen könnten.

Es ist also gar nicht so abwegig, dass sich Opfer mit Entführern solidarisieren können.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Das evolutionär zu begründen ist nicht sonderlich einfach, aber ich denke es wäre möglich. Nur kann es dafür mehrere Gründe geben, man muss sich nicht auf eines beschränken.

Generell merkt man aber auch an unserer Moderne, dass Mann und Frau sich aktuell nicht gerade Evolutionärkonform verhalten.

Wie begründet man transexualität evolutionär? Oder Homosexualität? Überhaupt nicht (was natürlich kein Problem ist)

Es heißt nicht ganz umsonst syndrom.

ZiegemitBock  30.03.2024, 08:34

Evolution braucht keine Begründung. Evolution passiert einfach. Wenn etwas das Überleben einer Spezies nicht schädigt, dann wird es oft beibehalten. Evolution ist nicht zielgerichtet.

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BlackyD961  30.03.2024, 08:35
@ZiegemitBock

Stimmt absolut. Habe mich etwas falsch ausgedrückt, mit "evolutionär begründen" meine ich Verhalten, welches auf vergangene Evolution zurückzuführen ist und man dieses Verhalten dadurch begründen kann. Halt "Evolutionspsychologie"

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Zum einen ist es natürlich eine Art Selbstschutz, denn wer sich unkooperativ verhält, wird schnell mal dahingemeuchelt.

Zum anderen ist es aber auch so, dass wir Menschen normalerweise anderen Menschen gegenüber empathisch sind, wenn wir sie näher kennenlernen. Und in einer solchen Extremsituation lernt man sich oft sehr schnell sehr gut kennen. Und merkt dann u.U. dass der Täter auch nur ein Mensch ist, mit Problemen, mit eigener Motivation und manchmal auch sehr verzweifelt.

Ein brillianter Film übrigens, einer meiner all time favourites.