Nervt es euch auch, wenn Begriffe für politische Diskussionen einfach umgedeutet werden?

9 Antworten

Einerseits verstehe ich, was du meinst. Dein letztes Beispiel sollte man natürlich auch zur Diskussion stellen. Eine Freiheit, die man mal hatte, zurückzunehmen, wird natürlich als Einschränkung verstanden. Hätte es nie Pools in Privatgärten gegeben, weil das gesetzlich verboten worden oder schlicht mangels Angebot nicht möglich gewesen wäre, würde man sich natürlich nicht so eingeschränkt fühlen, als wenn eine seit Jahrzehnten bestehende Möglichkeit verwehrt wird.

Über Begriffe diskutieren kann und sollte man gerade in der Uni schon! Was verstehen Laien darunter, was (welche) Fachleute? Wie definiere ich den Begriff für mich auf welcher Grundlage, wie du, was sagen langjährige Experten dazu?

So etwas schärft natürlich einerseits das Bewusstsein für die Auslegungsmöglichkeiten des Begriffs und andererseits die Kompetenz in der Fachdiskussion (man beruft sich auf fachliche Grundlagen und Definitionen).

Ich würde allerdings immer fragen, was wir gerade diskutieren. Die Fachdefinition? Die Laiendefinition? Unsere eigene Auslegung? Unser persönliches Verständnis des Begriffes oder die Definition aus verschiedenen Fach-Warten? Bspw. könnte ein Jurist, ein Arzt/ Pfleger (Fixierung, Umgang mit Demenzpatienten etc.), ein Lehrer und Polizist diesen Begriff jeweils aus ihrer Warte sowohl fachlich als auch durch ihre Erfahrungen unterschiedlich definieren. Ein Philosoph noch mal ganz anders. Ein Historiker ebenso.

Begriffe sind im Wandel. Verständnis ändert sich. Wir lebten in den 70ern freier als in den 50ern, bezogen auf Möglichkeiten im Alltag.

Bei Verboten würde ich immer fragen: Von welchen persönlichen Rechten und welchem Freiheitsverständnis gehen wir aus? Wie ist die Grundhaltung? Ist die Grundhaltung, dass wir (Entscheidungsträger) Menschen "vor sich selbst schützen", also für sie entscheiden oder ist die Grundhaltung, Menschen größtmögliche Freiheit bei kleinstmöglichem Risiko zu geben? Wer würde von einem Verbot profitieren, sowohl Geschützte als auch Dritte, wer würde durch das Verbot leiden, wie genau?

Wenn man argumentiert "keiner braucht einen Pool für ein würdevolles Leben" würde ich genau DAS zur Diskussion stellen: Okay, was brauche ich denn für ein würdevolles Leben?

Ich persönlich fange da gern beim Pflegeheim an. Was kann ein Pflegeheimbewohner, der nur noch ca. 100 € "Taschengeld" pro Monat besitzt, von dem oft noch Hygieneartikel, einige nicht verschriebene Tabletten, Cremes gegen Juckreiz usw. gezahlt werden müssen, entscheiden vs. was kann ich (selbst als armer Student) entscheiden?

Punkte wären:

Nachtruhezeiten und -aktivitäten, Essenszeiten, Privatsphäre (Zimmer sind nicht abschließbar), Wahl des Essens und der Getränke, Möglichkeiten, das Haus zu verlassen (bei bestimmten Einschränkungen gesundheitlicher Art nur nach Absprache mit Begleitung, weil man es alleine nicht mehr schafft), Hobbys (Zimmer muss gereinigt werden können, Mitbewohner dürfen nicht belästigt werden, man kann also bspw. nicht Kontrabass üben) usw. Wenn man dann mal einen Tagesablauf durchgehen würde, Pflegeheimbewohner vs. Student in den Ferien, vs. arbeitender Erwachsener unter der Woche und am WE, findet man doch sehr viele Freiheitsbeschränkungen des Bewohners, die man selbst in seinem Leben nicht akzeptieren würde.

Und das wäre jetzt nur EIN Beispiel, es gibt sicher noch viele andere.

Ein anderes wären Kinder. Einige werden "vernünftig" erzogen, andere bekommen im Vergleich extreme Einschränkungen seitens der Eltern bezüglich Taschegeld, Freundesauswahl, Hobbyauswahl, Zimmergestaltung, Privatsphäre, Freizeitgestaltung, persönlicher Entfaltung, Sicherheit von Besitz, Aufgaben im Haushalt usw. Wie würde man als Erwachsener mit dieser Art Einschränkung umgehen?

Nun, Freiheit für alle ist ohne Verbote nicht möglich. Dann setzen sich Menschen durch, die die Freiheit Anderer unterdrücken. Somit sind bestimmte Verbote und Regeln zur Freiheitssicherung einfach notwendig. Wenn man danach geht, dass Freiheit heißt, dass es keine Regeln gibt, geht das in eine sozialdarwinistische Richting, weil es das Überleben des "Stärkeren" zur Folge hat.

dieser Hinsicht finde ich übrigens die Sendung "Die Anstalt" im ZDF gefährlich.

Die Anstalt scheint aktuell leider die einzige noch linke Satiresendung zu sein. Wundert mich nicht, dass du die "gefährlich" findest.

So haben wir z.B. darüber diskutiert, ob man Pools in Privatgärten verbieten sollte.

Wer diskutiert über solche irrelevante Themen?


10minmail1934  23.06.2022, 12:15

Es muss nicht unbedingt zum Recht des Stärkeren überlaufen. Es gibt z.B. den Anarchismus, wo der Gegenpol "Gegenseitige Hilfe" ist. https://de.wikipedia.org/wiki/Anarchismus

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SymphonyXFan666  23.06.2022, 12:20
@10minmail1934

Das ist aber nur eine Utopie. Ich kann mir das eigentlich nicht einmal in der Theorie richtig vorstellen.

Klar müssen wir noch einige hierarchische Strukturen abschwächen, insbesondere in der Wirtschaft, aber Freiheit muss durch die Legislative geregelt, und durch die Exekutive durchgesetzt werden. Anders geht das wohl nicht

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"Unsere Gesellschaft hat einen falschen Freiheitsbegriff."

Dem würde ich zustimmen, denn "die Gesellschaft" nimmt sich über die letzten Generationen zunehmend heraus, Resourcen schnellstmöglich auszubeuten, Energie zu verschleudern, Umwelt zu zerstören, Ökosysteme vor die Wand zu fahren.

Kurz, die Gesellschaft nimmt sich die Freiheit heraus, dafür zu sorgen, dass die Erde bald nahezu unbewohnbar ist - und fühlt sich im Recht.

Eine krasse Diskussion dazu...

Niko Paech über Post-Wachstums-Ökonomie, Barbarei & Nachhaltigkeit - Jung & Naiv: Folge 405

https://www.youtube.com/watch?v=9DKN_GRzLUY


woflx  23.06.2022, 12:30

Nein, es ist nicht der Freiheitsbegriff der falsch ist, sondern es sind die Grenzen des Liberalismus, die zunehmend deutlicher werden.

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woflx  23.06.2022, 12:47
@woflx

Um es mal mit einem Vergleich zu verdeutlichen: Wenn es an Mehl mangelt und Brot mit Sägemehl gestreckt wird, geht es nicht darum, den Begriff "Brot" neu zu definieren, damit alle genug Brot haben und satt und zufrieden sind.

Besonders gefährlich: Sollte die Notzeit einmal überwunden sein, denkt man dann noch daran, wieder den alten Brot-Begriff einzuführen, oder verkaufen die Bäckereien dann auch weiterhin das minderwertige Sägemehlbrot?

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Ja, dass kann man bei liberale gut beobachten, dass die gerne das Wort Freiheit so missbrauchen. Bevor ich mich mit dem Anarchismus befasst habe, hat mich das Wort "Freiheit" auch angepisst, z.B. hat man im Grundgesetz die Freiheit, dass man gehen kann wo man hin will, aber plötzlich gilt diese nicht mehr, sobald man eine Schulpflicht hat? Das ist doch Irrsinn!

https://anarchistischebibliothek.org/library/wolfi-landstreicher-das-netzwerk-der-herrschaft

In diesem Sinne kann ich dir auch Max Stirner empfehlen. https://anarchistischebibliothek.org/library/max-stirner-der-einzige-und-sein-eigentum , besonders das Kapitel wo es um das Konzept "Recht" geht. Ich fasse es wahrscheinlich sehr kurz, aber, der Staat nimmt dein Frei sein weg und gibt ohne Kompensation im Gegenzug "Rechte" zurück, die Teil deiner Entscheidungsmöglichkeiten einschränkt.

Nun, ich bin kein Rechtslibertärer, der meint, man müsste nur Freiheit haben und alles wäre wieder gut. Beim Anarchismus ist der Unterschied, dass man gegen jegliche Art von Herrschaft ist - der Staat, der Kapitalismus und je nach Gedankenströmung sogar die Gesellschaft, die Zilivisation (z.B. Städte).

Wie gesagt, ich denke Max Stirner könnte da ganz interessant sein zur Frage bezüglich Freiheit.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Nein. Es nervt mich nicht.

Das ist die Antwort auf Deine Frage.

Falls Du wissen willst warum: Weil ich gerade aus diesen Diskussionen für mich persönlich immer etwas mitnehme. Das kann sein, dass ich meine eigene Meinung reflektiere - das kann sein, dass ich feststelle die Diskussionspartner haben andere Wertevorstellungen als ich. Oder - das es ein Thema war, dass für mich keine Diskussion wert wäre.

Und Dein Beispiel finde ich spannend. Weil ich Dir da durchaus deutlich widerspreche. Warum?

Die Würde des Menschen definiert sich aber auch nicht über Fernseher, Radio, Kino oder Theater

In gewisser Weise definiert sich die Würde sehr wohl auch aus diesen Themen. Weil die Würde des Menschen eng mit dessen "persönlichen Freiheiten" verknüpft ist. Und wenn es Länder gibt in denen es eben kein "freies Fernsehen, Radio (etc.) gibt - schränkt das die Informationsmögichkeiten erheblich ein. Was wiederum dazu führt - das auch die Würde angegriffen sein kann.

Und die Frage nach dem Privatpool: Das Ergebnis der Diskussion ist mir persönlich völlig egal. Aber ich finde es einen spannenden Ansatz darüber zu diskutieren - weil eben genau ein solches Thema weiterführt.

Wie definierst Du denn für Dich (und für Andere) das Thema "Was bedeutet Freiheit"?


Hessen001 
Fragesteller
 23.06.2022, 21:27

Freiheit bedeutet für mich, dass der Staat den Bürgern weitestgehend keine Verbote macht. Was aber nicht heißt, dass man deshalb alles machen sollte. Aber es sollte eine Frage des Gewissens sein. Unser Klassenlehrer sagte immer: "Verbote, die nicht kontrolliert werden können, sind lächerlich."

Damals ging es darum, dass bei uns an der Schule Plastikflaschen verboten werden sollten und man Glasflaschen nutzen sollte. Die Lehrer haben sich allerdings geweigert deshalb Strafen zu verteilen, weshalb das Verbot nie zu stande kam.

Natürlich sollten Extremsachen wie Mord und Totschlag, usw. verboten sein.

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Fabienne0211  23.06.2022, 21:41
@Hessen001
Freiheit bedeutet für mich, dass der Staat den Bürgern weitestgehend keine Verbote macht.

Sondern? Ist es nicht die Angst vor dem Förster der die Wälder schützt?

Du würdest also nur "Extrem-Sachen" verbieten. Wer definiert den "Extrem"? Was für mich "extrem" ist - kann für Dich ja schon wieder anderes sein.

Nun - bleiben wir bei Deiner Defintion - die ich verstehen will.

Freiheit bedeutet für mich, dass der Staat den Bürgern weitestgehend keine Verbote macht.

Nun ist es ja so, dass in D es doch viele Verbote gibt. Bist Du der Meinung Du hast in D Freiheit?

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Hessen001 
Fragesteller
 23.06.2022, 21:43
@Fabienne0211

Viele Verbote sind sinnvoll, viele Verbote sind nicht sinnvoll. An viele hält man sich auch gar nicht, weil man gar nicht weiß, dass es verboten ist. Oder wusstest du z.B., dass man nur in bestimmten Monaten die Hecke schneiden darf oder dass man in Baden-Württemberg keine Äste im Wald auflesen darf?

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Fabienne0211  23.06.2022, 21:50
@Hessen001

Natürlich weiß man das. Sag jetzt nicht - Du kommst aus einer Bauernfamilie und kennst nicht mal die einfachsten Regeln 😁😁.

Und die beiden genannten Beispiele machen durch aus Sinn. Und mit ein bisschen nachdenken...weiß man auch warum (Stichwort: Vögel die in Hecken nisten...)

Und bei vielen Verboten gilt ja auch wieder das 11. Gebot 😉

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