Letztlich geht es um die Frage, woraus Satanismus besteht und ob dabei eine Zentralgestalt im Mittelpunkt steht, ähnlich dem Gott der Monotheisten, oder ob es eben keine zentrale Figur von der Art eines "Anti-Demiurgen" gibt. Zum Verständnis hilft ein Blick in die Geistesgeschichte der westlichen Religionen und des Satanismus. Hier nur ganz grob:
Ursprünglich war der Satanismus im Kern tatsächlich eine Art mehr oder weniger direkte Umkehrung des Monotheismus (vor allem des christlichen und des jüdischen Glaubens) und hat seine Ursprünge einerseits in frühgeschichtlichem Polytheismus vorderasiatischer Kulturen (Sumer, Babylon), andererseits in der Hermetik. In der babylonischen Gefangenschaft adaptierte das Judentum die vorderasiatische Dämonologie als "schattenseitige" Umkehrung zur Hierarchie der Engel, wie sie die Bibel kennt. Später übernahm das Christentum diese Lehre unmittelbar, und im hermetischen Glauben wurde das Analogieprinzip von "Wie oben so unten" sowie das Polaritätsprinzip von Beginn an gepflegt. Dieses Denken/Glauben hatte einen festen Platz im Weltbild des Mittelalters sowie in Praktiken des Okkultismus und der Magie/Alchemie. Die Esoterik ist mithin auch der Boden, aus dem der moderne Satanismus erwachsen ist.
Im 19. Jahrhundert zeichnete der Okkultist und Kabbalist Eliphas Levi in der Gestalt des "Baphomet" die Verkörperung (sowie Vereinigung) einer Vielzahl von hermetischen Bezügen und Gegensätzen, die in der darauf folgenden Rezeption von vielen als "Teufel" interpretiert wurde. Die Figur des Baphomet lässt indessen viele Interpretationen zu. Aleister Crowley, der als Begründer des "Satanismus" im 20. Jahrhundert gilt, baute unmittelbar darauf auf. Auf seine Prinzipien gehen viele Grundregeln des modernen Satanismus zurück, u.a. das "Tu, was du willst".
Erst im 20. Jahrhundert verselbständigte sich der Satanismus so weit, dass er nun nicht mehr aus dem Wechselspiel mit theistischen Religionen seine Identität bezieht. Als populäre Bewegung emanzipierte er sich (vor allem an der Oberfläche) außerdem intensiv von seinen ursprünglich zutiefst esoterischen Wurzeln. Führende Varianten satanistischen Glaubens praktizieren heute auch ohne die Figur eines "Anti-Demiurgen" und rücken Szientismus sowie rational begründete Moralvorstellungen als Lebens- und Verhaltensregeln in den Mittelpunkt.
Um also auf die Frage zurückzukommen: "Beten" können vor allem diejenigen Satanisten, die auch eine Satansfigur in Form eines "Anti-Demiurgen" anerkennen. Dann kann auch das "Gebet" analog zum theistischen Gebet praktiziert werden. Im hermetischen Sinn erlaubt (und kennt) der traditionelle Satanismus gemäß seiner erosterischen Wurzeln zudem auch viele verschiedene Praktiken von "Meditation". In seiner modernen Form als subjektiver Szientismus dürfte er Gebetspraktiken weitgehend als erklärten Humbug ausklammern.