Unterschied zwischen Poetischer Realismus und Naturalismus?

3 Antworten

Im poetischen Realismus wird zwar die Realität der Epoche dargestellt, aber es handelt sich in erster Linie um Probleme des Bürgertums, wenn man so will, um "Oberschichtenprobleme" (eheliche Treue und andere gesellschaftliche Zwänge). Die Protagonisten haben im Allgemeinen keine materiellen Probleme (na ja, eventuell Schulden), aber sie können ihre Grundbedürfnisse (Nahrung und Wohnung) befriedigen. Sie haben ein leichteres Leben als es die Mehrheit der Menschen dieser Zeit in Wirklichkeit hatte.

Der Naturalismus zeigt das Elend der arbeitenden Bevölkerung und der Unterschichtler, die trotz schwerer Arbeit Mühe haben, sich satt zu essen.

Die wichtigsten Repräsentanten der beiden Literaturepochen (Fontane ; Hauptmann) wurden bereits genannt.

Auch sprachliche Unterschiede kann man feststellen. Die Autoren des poetischen Realismus drücken sich eben poetisch aus, mit wohl geformten Sätzen und geschliffener Ausdrucksweise der Personen, im Naturalismus wird auch Dialekt gesprochen, oft werden auch grammatisch unkorrekte Sätze verwendet.

Im Naturalismus wird die Realität schonungslos und „unverblümt“ dargestellt, das Hässliche, Gemeine bleibt nicht ausgespart; es handelt sich sozusagen um einen photographischen, d.h. die Wirklichkeit genau nachahmenden Realismus; siehe das Drama „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhard Hauptmann, ein typisches Werk des Naturalismus: Der reich gewordene Bauer Krause torkelt besoffen über die Bühne, brüllt: „Hab ich net e paar scheene Techter...“; er stellt ihnen nach; seine Frau betrügt ihn, die älteste Tochter ist ebenfalls alkoholsüchtig. Viele Personen reden im schlesischen Dialekt.


In den Werken des poetischen Realismus, z.B. bei Theodor Storm, Gottfried Keller und Theodor Fontane, wird die Realität gefiltert, „poetisiert“, d.h. die hässlichen Seiten der Realität, das Niedrige, Gemeine, bleiben ausgespart.  Die Personen reden meist  Hochdeutsch, manche einfachere Leuten  verschlucken Konsonanten (un statt und, gar nich, is statt ist u.a.m. - so bei Fontane).





Francescolg  01.07.2017, 15:21

Das sehe ich leider anders. Der Realismus zeigt z.B. ein winziges Detail (aus dem Leben eines Bauerns) und zwar völlig ungefiltert, auch wenn es ein häßliches Detail ist (Tod, Armut, abgemagerte Kinder). Aus diesem winzigen Detail kann man und das ist das Kennzeichnende am Realismus, auf den Gesamtzustand deuten. Wie ein kleines Puzzlestück, ist das (realistische, unveblümte) Detail teil eines großen Musters. Sehe ich also ein armes Arbeiterkind, dann kann ich mir trotzdem die gesamte Gesellschaft, das Drumherum, gut vorstellen.

Siehe: Industrielle Revolution, Realismus-Fotografie aus NY.

https://de.wikipedia.org/wiki/Realismus\_(Kunst) 

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Francescolg  01.07.2017, 15:27
@Francescolg

ok, es geht um Poetik.. Meine Antwort war eher auf Kunst, Fotografie und klassische Literatur um 1850+ bezogen.

Realismus allein in der Lyrik, ist aber bestimmt nicht viel anders, als wie er allgemein in der Kunst, oder auch in der Literaturwissenschaft gelehrt wird, zumindest auf dem Einführungsniveau. Viel mehr würde ich bei GF.net auch nicht wollen ;-)

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Haldor  01.07.2017, 18:17
@Francescolg

Das ist die Art des Realismus in der naturalistischen Form; dieser Realismus spart das Elend, das Brutale und Hässliche des gesellschaftlichen Lebens und des menschlichen Charakters nicht aus. Siehe auch die weiteren Dramen von G. Hauptmann (Rose Bernd, Die Weber, Die Ratten, Fuhrmann Henschel) oder Arno Holz, Familie Selicke, Hermann Sudermann, Stein unter Steinen). Die Lyrik des deutschen Naturalismus ist eher unbedeutend.

Der poetische Realismus, auch bürgerlicher Realismus genannt, verzichtet auf die Darstellung der hässlichen, abscheulichen Seiten des gesellschaftlichen Lebens. "Bürgerlich" wird er deshalb genannt, weil die Romane, Erzählungen in der groß- und kleinbürgerlichen Sphäre spielen; für die Menschen war hier das Leben sicher nicht leicht, sie erfuhren hier aber das Schicksal eher auf der psychologischen Ebene (Liebeskonflikte, Vater-Sohn-Konflikt, enttäuschte Hoffnungen u.a.m) und nicht durch die soziale Härte, welche Armut, Ausbeutung und Wohnungselend mit sich brachten. Auch Konflikte, die der gemeine, primitive Charakter eines Menschen auslöst, ist hier eigentlich nur selten zu finden (Beispiele: die Novellen von Th. Storm).

Anm.: Die Fotographie fand um 1850 in der Form der Daguerreotypie statt und war - jedenfalls in Amerika - sofort naturalistisch (tote Kinder auf dem Sterbebett).

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Hi,

Beim Realismus hatte man generell keine Lust mehr auf diesen ganzen Kitsch aus der Romantik. Man wollte wieder die "Realität" darstellen und nicht mehr irgendwelche unwirklichen mystischen oder romantischen Traumszenarien. Trotzdem blieben einige Elemente der Romantik (wenn auch abgeschwächt) bestehen. Die Autoren neigten noch zum "verklären" der Realität und sahen sich in der Position die "Realität" zu deuten und darzustellen. Deshalb wurde sich meist nur mit dem Adel befasst und die "Realität" war eigentlich nur eine Phantasiewelt mit klaren Strukturen

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Der Naturalismus bricht mit dem Ganzen. Es steht nun die ganze Natur im Vordergrund. Das Schöne und das Hässliche. Das Beachtete und das Vergessene. Man interessierte sich nun z.B. auch für die Arbeiter und ihre Sorgen und war damit eigentlich erst in der Wirklichkeit angekommen.