Sind wir Österreicher Deutsche?

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Bis zur Auflösung des Deutschen Bundes 1866 hätte wohl kaum ein Einwohner der Gebiete Österreichs, die ehemals zum Heiligen Römischen Reich gehörten, geleugnet, auch Deutscher zu sein. Über 1000 Jahre gemeinsamer Geschichte und weitestgehende Zugehörigkeit zu einem Reich lassen sich eben nicht so ohne weiteres leugnen.

Erst im Prozess der Herausbildung des deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert zeichnete sich die Trennung ab, was eher mit der Auflösung des deutschen Dualismus zugunsten Preussens zu tun hatte, als mit der Verselbständigung einer eigenen österreichischen Nation. Man kann jetzt spekulieren, dass es nicht zur Trennung gekommen wäre, wenn Österreich seine Vormachtstellung unter den deutschen Ländern hätte behaupten können.

So haben wir aber heute zwei Staaten, die, von regionalen Besonderheiten einmal abgesehen, über weite Teile eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Kultur haben. Natürlich betonen die 8,5 Mio. Österreicher ihre Eigenständigkeit, um im Schatten von 82 Mio. Deutschen wahrgenommen zu werden. Diese Abgrenzung macht es aber auch möglich, sich vom Dritten Reich zu distanzieren und sich gleichzeitig als erstes Opfer HitIers zu sehen. Nach dem Motto: Die Schuld haben die anderen und wir haben nicht mitgemacht, sondern wir waren Opfer.

Ich denke, dass viele Österreicher deshalb Wert darauf legen, sich explizit von Deutschen und Deutschland abzugrenzen. Und im Fußball gilt das ganz besonders.

Deutsche und Österreicher sind enge Verwandte, die alles in allem ein ganz gutes Verhältnis zueinander haben. Da taugen die Schluchtenjodler- und Piefkeklischees meistens nur noch als Grundlage für weitestgehend harmlose Frozzelei.

Und diese (!) deutsche Fußballnationalmannschaft, darfst du auch als Österreicher toll finden.


PeVau  25.06.2012, 21:11

Danke für den Stern!

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Was für eine Frage!

Österreichs habsburgische Herrscher waren für fast ein Dreivierteljahrtausend die "Heiligen Römischen" Kaiser. Und was anderes könnte man als "Deutschland" vor 1870 sehen als dieses Reich?

Wien war über diese ganze Zeit als Residenz sozusagen das Zentrum dieses merkwürdigen Gebildes.

Und niemand in der ganzen Welt sah die Österreicher als etwas anderes an als Deutsche. Einer von vielen "Stämmen". Wenn ein Österreicher kein Deutscher wäre, weil er ja Österreicher heisst, dann könnte genau so gut auch kein Brandenburger oder Westfale ein Deutscher sein, weil er ja kein Deutscher, sondern ein Brandenburger ist.

Weisst Du, was mir eine Bekannte mal erzähjlt hat? Sie hatte in der palästiennsischen Westbank einen israelischen Besatzungssoldaten angesprochen. Der erkannte ihren deutschen Akzent und fragte: "Bist Du aus Deutschland?", sie: "ja!" und er: "Ich auch! Aus Wien!"

Ist das nicht komisch?

Und weisst Du, wie die linken und demokratischen Freiwilligen organisiert waren, die 1936 in den Bürgerkrieg nach Spanien gingen? Die Österreicher gehörten zum Thälmann-Bataillon der Deutschen. Und alle fanden das ganz normal. Obwohl diese Linken sicherlich keine Nazis waren (hahaha).

Die "deutsche" Hymne kommt übrigens aus Österreich. Der habsburgische Hofkomponist Joseph Haydn komponiert sie um 1800 als "Kaiserhymne" für seinen heilig-römischen Kaiser Franz II. Das solltest Du als Österreicher eigentlich wissen!

Erstaunlicherweise waren die Österreicher immer stolz, Deutsche zu sein. Sogar 1938, als einer der ihren als deutscher Führer in Wien einzog. Erst als sich der 1945 wider Erwarten der grösste Loser der deutschen Geschichte heraus stellte, haben sie angeblich eigentlich schon immer nichts mit diesem Deutschland zu tun gehabt habt. Das ist eigentlich nur ganz armselig billig. Und da Du ja nach der deutschen Perspektive gefragt hast, gehört das auch hierher.

Und übrigens: ich bin kein Nazi, nicht mal konsaervativ. Ich bin auch für keinen "Anschluss" Österreichs. Nach meinem Gusto kann alles so bleiben, wie es ist. Das stört mich nicht. Aber heuchlerische Geschichtsmythen und Verdrehungen konnte ich noch nie leiden.


derdorfbengel  24.06.2012, 14:15

PS: noch eine Anmerkung

Ich sehe gerade, dass @Pevau im Grund ja schon in dieselbe Richtung geschrieben hat wie ich. Ich möchte aber noch einen Punkt etwas verstärken oder klarer machen: er schreibt, dass Österreich weitgehend zu Deutschland gehört habe.

Diese Einschränkung ist m.E. nicht sachlich. Zwar mögen Teile des Habsburgerreichs nicht zum Heiligen Römischen Reich gehört haben. Jedoch waren dies nur Landesteile, die ohnehin nicht von Deutschen besiedelt waren wie z.B. Ungarn. Die Mark Österreich gehörte zum Reich.

Und wenn man diesen Umstand, dass Teile nicht zum Reich gehört haben, als Beleg dafür nehmen wollten, dass ein Stamm nur "weitgehend", aber nciht vollständig zu Deutschland gehört habe, dann würde Preussen auch nicht mehr zu Deutschland gehört haben. Dann wäre derjenige Teilstaat, der die Einigung von 1870 betrieben hatte nur "weitgehend" deutsch.

Dann wären Bismarck und der Kaiser Wilhelm I, der Kaiser Wilhelm II, ja überhaupt 60 Prozent aller Deutschen um 1900 keine richtigen Deutschen gewesen!

Nein, Österreich ist für 1.000 Jahre nicht nur "weitgehend" deutsch gewesen, sondern ganz genauso und kein bisschen wenier als Westfalen oder Württemberg oder Brandenburg, ok?

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PeVau  24.06.2012, 17:29
@derdorfbengel

Mit "weitestgehend" wollte ich eigentlich nur vermeiden, dass plötzlich die Ungarn mit "eingemeindet" werden. Aber du hast recht, das nächste Mal drücke ich mich präziser aus.

Trotz Klugschieterei ;-)) DH!

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derdorfbengel  24.06.2012, 17:48
@PeVau

War nicht als Klugscheisserei gemeint. Versuche nach Möglichkeit, davon die Pfoten zu lassen. Ich wollte nicht, dass der Frager mit einer Antwort aus seiner Identitätssuche geht, die bestenfalls "Ja, aber", "Ja, vielleicht", "Ja, allerdings nicht" uä. hinaus geht.

Dass Österreich irgendwas mit Deutschland zu tun hat, hat er sicher auch aus dem Geschichtsunterricht mitgenommen, den es sicher auch in A gibt. Nur scheint man sich da auch um klare Aussagen zu drücken. Wir scheinen alle etwas unsicher zu sein und eine Tendenz zum Ausweichen zu haben. Ich hab mal versucht, es so auszudrücken: Österreich ist kein Teil der deutschen Nation mehr. Aber die Österreicher sind neben dem Staatsvolk, das auch den Namen trägt, genauso Teil des deutschen Volkes.

Zum Glück sind die Zeiten des Nationalismus (ausser beim Fussball offenbar ^^) ziemlich vorbei und das ist nicht mehr von grosser Bedeutung.

Deine Antwort ist aber fachlich natürlich völlig richtig. Du bist einer der wenigen ohne Einschränkung kompetenten Experten in unserem Geschichtsbereich.

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Als ehemaliger Perry Rhodan Fan:

Sind wir nicht alle Terraner?

Zum Thema Fußball: ich als Deutscher würde auch für Österreich jubeln, wenn Deutschland mal nicht bei einer EM oder WM dabei wäre, aber dafür Österreich. Nur wird das ja nicht so schnell passieren. :)

Da ich in Bayern wohne, fühle ich mich auch eher mit Österreich verwandt als mit Norddeutschland. Es liegt halt eine Grenze, wenn auch schon ziemlich aufgeweicht, zwischen uns.

"fußballerisch" wird -glaube ich- österreich von den deutschen fans wohl wie ein kleiner bruder, ähnlich wie früher die ddr gesehen: wir können verstehen, was die reden, aber ganz ernst nehmen wir die nicht und abgesehen von dem eher gruseligen teil unserer geschichte, sollten wir als europäer nach vorn gucken.

Ich denke das unsere Länder beide Unabhängig von einander sind,obwohl die Kultur und Sprache sehr nah sind.

Somit fühle ich als Deutscher mich nicht mit den Österreichern Verwandt, doch ich sehe das Verhältnis als sehr freundschaftlich an. Die Österreicher und Deutschen habe sich in der Vergangenheit immer Ünterstützt und so wird es in Zukunft hoffentlich auch weiterhin sein.