Kritik an Schopenhauers Theorie zu Willensfreiheit?

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Arthur Schopenhauer über Willensfreiheit

Arthur Schopenhauer hat insgesamt einen verwickelten Standpunkt. Denn einerseits bestreitet er empirische Willensfreiheit, andererseits behauptet er transzendentale Freiheit in einem intelligiblen Bereich. Außerdem gibt es von ihm Aussagen, nach denen in Ausnahmefällen in bestimmter Hinsicht (Verneinung des Willens zum Leben) doch Freiheit gelingt, was seine Theorie strenger ausnahmsloser Notwendigkeit im empirischen Bereich durchbricht.

Arthur Schopenhauer verneint die Existenz von Willensfreiheit (als moralische Freihet in der Bedeutung einer Indifferenzfreiheit verstanden) in seinem Werk „Ueber die Freiheit des menschlichen Willen“(1839 gekrönte Preisschrift; deutsch zuerst 1841 veröffentlicht). Der Mensch könne zwar grundsätzlich (wenn Handlungsfreiheit besteht) tun, was er wolle, aber vermöge nicht, eine andere Handlung auszuführen als die tatsächlich ausgeführte, weil die der anderen Handlung entgegensetzten Motive viel zu viel Gewalt über ihn haben, als daß er anders wollen könnte. Wenn er einen bestimmten anderen Charakter hätte, würde er es wollen können, aber auch nicht umhin kommen, es zu wollen, also es wollen müssen. Unter gegebenen Umständen sei nur eine Handlung möglich.

In der zeitlichen und räumlichen Erscheinungswelt gelte entsprechend dem Grundsatz vom zureichenden Grunde ein striktes, ausnahmsloses Kausalgesetz. Nach Auffassung von Arthur Schopenhauer ist der Satz vom zureichenden Grund (Nichts ist ohne Grund, warum es sei und nicht vielmehr nicht sei) ein Urgesetz des menschlichen Verstandes und der allgemeinste Ausdruck für die Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit von Bewußtseinsinhalten aller Art. Er drückt die apriorische (aller Erfahrung vorausgehende; dies greift Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, auf) Verbindung aller Vorstellungen des Subjekts aus. Alle Dinge, die uns auf irgendeine Art erscheinen (Objekte), sind Vorstellungen eines wahrnehmenden und denkenden Ichs (Subjekt).

Das Kausalgesetz gelte also apriori (vor aller Erfahrung). Denn es stelle die Möglichkeit von Erfahrung überhaupt dar. Bei Objekten der Außenwelt geschehe auf eine gegebene Ursache eine Folge mit zwangsläufiger Notwendigkeit. Wenn die Innenwelt betrachtet wird, gilt ebenso ein Kausalverhältnis. Das stärkste Motiv (der stärkste) Beweggrund setzt sich durch. Bei der Motivation liege nur eine besondere Ausformung eines allgemeinen Kausalprinzips vor.

Nach Schopenhauers Auffassung ist der empirische Charakter eines individuellen Menschen angeboren, gleichbleibend und unveränderlich (konstant).

Schopenhauer knüpft (mit einer gewissen Eigensinnigkeit, indem der Menschen bei ihm vorrangig ein wollendes, nicht aber ein denkendes Wesen ist und indem er das Ding an sich der intelligiblen Welt zuordnet und Aussagen über es zur Grundlage macht, während bei Kant das Ding an sich selbst eine Grenze der Erkenntnis darstellt ) an Immanuel Kant an, der zwischen einer empirischen Welt und einer intelligiblen Welt unterscheid. Beim empirischem Charakter gebe es keine Willensfreiheit, beim intelligiblen Charakter eine moralische Freiheit, indem Verantwortung sich darauf gründet, daß alles darauf ankommt, was einer ist.

Nach Schopenhauer liegt Freiheit nicht in einzelnen Handlungen, sondern im intelligiblen Charakter, dem ganzen Sein und Wesen (lateinisch: existentia et essentia) des Menschen selbst, das als freie Tat, als Werk seiner selbst gedacht werden müsse.

Schopenhauers Metaphysik unterscheidet die Welt als Wille (Ding an sich) und Vorstellung (Erscheinung). Die Welt als Ding an sich ist keine Erscheinungsform, nicht zeitlich-räumlich und auch nicht an Kausalität (als einer bloßen Form der Erscheinung) gebunden und ihren Gesetzen unterworfen. Der intelligible Charakter des Menschen, das heißt sein Wille als Ding an sich, außerhalb der Erscheinungswelt, ist frei.

Nach Schopenhauer ist die Welt in ihrer Tiefenschicht ein blinder Wille, der als Ding an sich ohne Ziel, Sinn und Grund (ohne Beweggrund) wirkt und jeder Vorstellung zugrundeliegt. Jeder Willensakt sei ein Streben, aber einzelne individuelle Willensakte hätten einen Ursprung, eine Motivation. In seiner Mitleidsethik versteht Schopenhauer die moralisch wertvolle Tat als Verneinung der Grundtriebfeder Egoismus und Widerspiegelung einer Einsicht, die Trennung zwischen Ich und Du als Täuschung zu erkennen. Die Individuen seien alle Erscheinungen des Willens, Objektationen, mit denen eine Idee, ein Entwurf sich vergegenständlicht, in die Erscheinungswelt eintritt. Dies werde beim Mitleid durchschaut, der innere Widerstreit und die wesentliche Nichtigkeit des Willens der getrennten Individuen zum Leben erkannt. Die unmittelbare Teilnahme erkenne und empfinde intuitiv im Leidenden sich selbst, sein eigenes Wesen. Die Identifikation mit dem anderen, dessen Wohl und Wehe könne die Macht des Egoismus brechen. Schopenhauer tritt für die Verneinung des Willens zum Leben als Weg zur Erlösung ein (Zustand freiwilliger Entsagung). Wo der Wille sein Wollen verloren habe, sei auch die Macht der Natur außer Kraft gesetzt. Der Wille und seine Verneinung seien nicht dem Satz vom Grunde unterworfen, sie gehörten einer metaphysischen Wirklichkeit an. Die Verneinung des Willens führe aus dem Naturzusammenhang heraus.

Nach Schopenhauer kann der Mensch durch Erkenntnis doch (wenn auch nur in seltenen Ausnahmefällen) Willensfreiheit erreichen, nämlich durch eine besondere Einsicht, das Durchschauen des Prinzip der Individuation (principium individuationis), des Einzeldaseins alles Lebendigen. Er ändert dabei seinen Charakter nicht, sondern hebt ihn auf. Erkenntnis meint beim Mitleid einen vorbegrifflichen, vorrationalen Zustand, in dem der Mensch anders sieht und anders will.

Arthur Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften (2., verbesserte und vermehrte Auflage 1860). I. Ueber die Freiheit des menschlichen Willens. II. Der Wille vor dem Selbstbewußtseyn.  

„Das Selbstbewußtseyn eines Jeden sagt sehr deutlich aus, daß er thun kann was er will. Da nun auch ganz entgegengesetzte Handlungen als von ihm gewollt gedacht werden können; so folgt allerdings, daß er auch Entgegengesetztes thun kann, wenn er will. Dies verwechselt nun der rohe Verstand damit, daß er, in einem gegebenen Fall, auch Entgegengesetztes wollen könne, und nennt dies die Freiheit des Willens. Allein daß er, in einem gegebenen Fall, auch Entgegengesetztes wollen könne, ist schlechterdings nicht in obiger Aussage enthalten, sondern bloß dies, daß von zwei entgegengesetzten Handlungen, er, wenn er diese will, sie thun kann, und wenn er jene will, sie ebenfalls thun kann: ob er aber die eine so wohl als die andere, im gegebenen Fall, wollen könne, bleibt dadurch unausgemacht und ist Gegenstand einer tiefern Untersuchung, als durch das bloße Selbstbewußtseyn entschieden werden kann.“

„Also jene unleugbare Aussage des Selbstbewußtseyns „ich kann thun, was ich will“ enthält und entscheidet durchaus nichts über die Freiheit des Willens, als welche darin bestehen müsse, daß der jedesmalige Willensakt selbst, im einzelnen individuellen Fall, also bei gegebenen individuellen Charakter, nicht durch die äußeren Umstände, in denen hier der Mensch sich befindet, nothwendig bestimmt würde, sondern jetzt so und auch anders ausfallen könnte. Hierüber aber bleibt das Selbstbewußtseyn völlig stumm: denn die Sache liegt ganz außer seinem Bereich; da sie auf dem Kausalverhältnis zwischen der Außenwelt und dem Menschen beruht.“

„Die berichtigte Antwort auf sein Thema aber würde, wie ich im folgenden Abschnitt außer Zweifel zu setzen hoffe, lauten: „Du kannst thun, was du willst: aber du kannst, in jedem gegebenen Augenblicke deines Lebens, nur Ein Bestimmtes wollen und schlechterdings nichts anderes, als dieses Eine.““

„Bei einem solchen succesiven Vorstellen verschiedener einander ausschließender Motive unter steter Begleitung des inneren „ich kann thun was ich will“ dreht sich gleichsam der Wille, wie eine Wetterfahne auf wohlgeschmierter Angel und bei unstätem Winde, sofort nach jedem Motiv hin, welches die Einbildungskraft ihm hinhält, succesiv nach allen als möglich vorliegenden Motiven, und bei jedem denkt der Mensch, er könne es wollen und also die Fahne auf diesen Punkt fixieren; welches bloße Täuschung ist. Denn sein „ich kann dies wollen“ ist in Wahrheit hypothetisch und führt den Beisatz mit sich „wenn ich nicht lieber jenes Andere wollte:“ der aber hebt jedes Wollenkönnen auf.“

„Ich kann thun, was ich will: Ich kann, wenn ich will, Alles, was ich habe, den Armen geben und dadurch selbst einer werden, - wenn ich will! - Aber ich vermag nicht, es zu wollen; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als daß ich es könnte. Hingegen wenn ich einen anderen Charakter hätte, und zwar in dem Maaße, daß ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können, dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also thun müssen."

„Es ist durchaus weder Metapher noch Hyperbel, sondern ganz trockene und buchstäbliche Wahrheit, daß, so wenig eine Kugel auf dem Billard in Bewegung geratken kann, ehe sie einen Stoß erhält, ebenso wenig ein Mensch von seinem Stuhle aufstehen kann, ehe ein Motiv ihn weg zieht oder treibt; dann aber ist sein Aufstehen so nothwendig und unausbleiblich, wie das Rollen einer Kugel nach dem Stoße.“

Arthur Schopenhauers, Die Welt als Wille und Vorstellung I 4 § 53 – 70 enthält Darlegungen, wie sich Schopenhauer die Begründung von Verantwortung denkt.

§ 55: „Daß der Wille als solcher frei sei, folgt schon daraus, daß er, nach unserer Ansicht, das Ding an sich, der Gehalt aller Erscheinung ist. Diese hingegen kennen wir als durchweg dem Satz vom Grunde unterworfen, in seinen vier Gestaltungen: und da wir wissen, daß Nothwendigkeit durchaus identisch ist mit Folge aus gegebenem Grunde, und Beides Wechselbegriffe sind; so ist Alles was zur Erscheinung gehört, d.h. Objekt für das als Individuum erkennende Subjekt ist, einerseits Grund, andererseits Folge, und in dieser letztern Eigenschaft durchweg nothwendig bestimmt, kann daher in keiner Beziehung anders seyn, als es ist. Der ganze Inhalt der Natur, Ihre gesammten Erscheinungen, sind also durchaus nothwendig, und die Nothwendigkeit jedes Theils, jeder Erscheinung, jeder Begebenheit, läßt sich jedesmal nachweisen, indem der Grund zu finden seyn muß, von dem sie als Folge abhängt. Dies leidet keine Ausnahme: es folgt aus der unbeschränkten Gültigkeit des Satzes vom Grunde. Andererseits nun aber ist uns diese nämliche Welt, in allen ihren Erscheinungen, Objektität des Willens, welcher, da er nicht selbst Erscheinung, nicht Vorstellung oder Objekt, sondern Ding an sich ist, auch nicht dem Satz vom Grunde, der Form alles Objekts, unterworfen, also nicht als Folge durch einen Grund bestimmt ist, also keine Nothwendigkeit kennt, d.h. frei ist. Der Begriff der Freiheit ist also eigentlich ein negativer, indem sein Inhalt bloß die Verneinung der Nothwendigkeit, d.h. des dem Satz vom Grund gemäßen Verhältnisses der Folge zu ihrem Grunde ist.“

„Der Mensch ist, wie jeder andere Theil der Natur, Objektität des Willens: daher gilt alles Gesagte auch von ihm. Wie jedes Ding in der Natur seine Kräfte und Qualitäten hat, die auf bestimmte Einwirkung bestimmt reagiren und seinen Charakter ausmachen; so hat auch er seinen Charakter, aus dem die Motive seine Handlungen hervorrufen, mit Nothwendigkeit. In dieser Handlungsweise selbst offenbart sich sein empirischer Charakter, in diesem aber wieder sein intelligibler Charakter, der Wille an sich, dessen determinirte Erscheinung er ist. Aber der Mensch ist die vollkommenste Erscheinung des Willens, welche, um zu bestehn, wie im zweiten Buche gezeigt, von einem so hohen Grade von Erkenntniß beleuchtet werden mußte, daß in dieser sogar eine völlig adäquate Wiederholung des Wesens der Welt, unter der Form der Vorstellung, welches die Auffassung der Ideen, der reine Spiegel der Welt ist, möglich ward, wie wir sie im dritten Buche kennen gelernt haben. Im Menschen also kann der Wille zum völligen Selbstbewußtseyn, zum deutlichen und erschöpfenden Erkennen seines eigenen Wesens, wie es sich in der ganzen Welt abspiegelt, gelangen. Aus dem wirklichen Vorhandensein dieses Grades von Erkenntniß geht, wie wir im vorigen Buche sahen, die Kunst hervor. Am Ende unserer ganzen Betrachtung wird sich aber auch ergeben, daß durch die selbe Erkenntniß, indem der Wille sie auf sich selbst bezieht, eine Aufhebung und Selbstverneinung desselben, in seiner vollkommensten Erscheinung, möglich ist: so daß die Freiheit, welche sonst, als nur dem Ding an sich zukommend, nie in der Erscheinung sich zeigen kann, in solchem Fall auch in dieser hervortritt und, indem sie das der Erscheinung zum Grunde liegende Wesen aufhebt, während diese selbst in der Zeit noch fortdauert, einen Widerspruch der Erscheinung mit sich selbst hervorbringt und gerade dadurch die Phänomene der Heiligkeit und Selbstverleugnung darstellt.“

§ 70: „Der Schlüssel zur Vereinigung dieser Widersprüche liegt aber darin, daß der Zustand, in welchem der Charakter der Macht der Motive entzogen ist, nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern von einer veränderten Erkenntnißweise. So lange nämlich die Erkenntniß keine andere, als die im principio individuationis befangene, dem Satz vom Grunde schlechthin nachgehende ist, ist auch die Gewalt der Motive unwiderstehlich: wann aber das principum individuationis durchschaut, die Ideen, ja das Wesen der Dinge an sich, als der selbe Wille in Allem, unmittelbar erkannt wird, und aus dieser Erkenntniß ein Quietiv des Wollens hervorgeht; dann werden die einzelnen Motive unwirksam, weil die ihnen entsprechende Erkenntnißweise, durch eine ganz andere verdunkelt, zurückgetreten ist. Daher kann der Charakter sich zwar nimmermehr theilweise ändern, sondern muß, mit der Konsequenz eines Naturgesetzes, im Einzelnen den Willen ausführen, dessen Erscheinung er im Ganzen ist; aber eben dieses Ganze, der Charakter selbst, kann völlig aufgehoben werden, durch die oben angegebene Veränderung der Erkenntniß."


Albrecht  29.09.2017, 08:24

Gegenargumentation

1) Abhängigkeit der Theorie Schopenhauers von zweifelhaften, nicht bewiesenen metaphysischen Annahmen: Insbesondere gehören dazu eine vor jeder Erfahrung geltende durchgängige Kausalität in der Art einer zwangsläufigen Notwendigkeit und ein blinder, unvernünftiger Wille ohne Bewußtsein als Tiefenschicht der Welt, wobei jedes Individuum im Grunde als die Verwirklichung eines einzigen der Welt zugrundlegenden, nicht von Vernunft geleiteten oder mit ihr verbundenen Willens ist. Diese nicht nachgewiesenen Annahmen können nicht als selbstverständliche Voraussetzungen zugrundegelegt werden.

2) falsche Gleichsetzung von Kausalprinzip und Determinismusprinzip: Schopenhauer vertritt für den empirischen Bereich ein Prinzip strikter (strenger und ausnahmsloser) Determiniertheit, eine zwangsläufige Notwendigkeit.

Er beruft sich auf den Satz vom zureichenden Grund. Daraus, daß notwendigerweise jedes Ereignis eine Ursache/einen zureichenden Grund hat, kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß jedes Ereignis unausweichlich notwendig ist.

Es gibt eine weitergehende (und daher zu begründende) Zusatzbehauptung, jedes Ereignis unterliege ausnahmslosen Gesetzen, die es mit strikter Notwendigkeit festlegen. Dabei ist offenbar an Naturgesetze gedacht (wobei nicht jede Art von Naturgesetzen für die These herangezogen werden kann, sondern nur Sukzessionsgesetze [Verlaufsgesetze]). Der Ablauf des Geschehens unterliegt angeblich ausnahmslosen Verlaufsgesetzen, die vereinfacht ausgedrückt Sätze der Form „immer wenn etwas der Art A geschieht, dann geschieht danach etwas in der Art B“ sind. Ein universaler Universalismus dieser Art, der darauf hinausläuft, der gesamte Weltlauf sei durch Anfangsbedingungen und Naturgesetze ein für alle Mal alternativlos festgelegt, kann nicht empirisch überprüft werden. Denn das Universum können wir nicht zweimal in den genau gleichen Zustand bringen, sozusagen mit einer Neustarttaste für den Weltlauf. Verlaufsgesetze für einen universalen Determinismus sind auch nicht angegeben worden.

Wer die Existenz von Willensfreiheit bejaht, ist nicht gezwungen, das Kausalprinzip aufzugeben und „frei“ als „unverursacht“ zu deuten. Der Begriff »Ursache« führt nicht als logisch einzige Möglichkeit zu einer Verursachung, die Zwangsläufigkeit alles Geschehens bedeutet und keinerlei Spielraum offenhält. Auch andere Auffassungen sind denkmöglich (und Anzeichen für komplexe, dynamische, nicht-lineare Systeme deuten auf so etwas in der Wirklichkeit). Auch Selbstbestimmung, bei der sich Menschen nach Überlegung in einer Wahl aus Gründen entscheiden, kann eine Verursachung ein. Einflüsse, die es bei der Willensbildung gibt, sind mit Freiheit vereinbar, wenn sinnvollerweise mit Freiheit nicht eine absolute, völlig losgelöste unbedingte Freiheit gemeint ist.

3) unzutreffende Annahme eines angeborenen unveränderlichen Charakters, der ohne Spielraum festgelegt ist: Nach Schopenhauers Auffassung ist der empirische Charakter eines individuellen Menschen angeboren, gleichbleibend und unveränderlich (konstant). Dies beruht auf seiner metaphyischen Theorie. In Wirklichkeit sind Menschen zwar nicht beliebig in ihrem Charakter formbar, aber dieser kann sich durch äußere Umstände oder neue Gedanken, Gefühle und Wertungen auch verändern. Es gibt ein komplexes Wechselspiel zwischen Veranlagung (genetisches Erbe), Umwelt und Ich.

4) Stärke der Motive ist keine fest vorgegebene Angelegenheit: Im Rückblick kann gesagt werden, das Motiv, das sich durchgesetzt hat/handlungswirksam geworden ist, sei das stärkste gegeben. Aber welches Motiv bei einer Entscheidung am stärksten ist, kann nicht einfach als fest vorgegebene Angelegenheit angenommen werden. Denn es hängt auch von einer Bewertung der Handelnden in einer bestimten Lage ab, welches Gewicht sie dabei einem Motiv genau geben.

5) mangelnde Berücksichtigung der menschlichen Fähigkeit zu rationaler Überlegung und zum Innehalten und Abstand-Einnehmen zu Impulsen: Zum Denken gehört als Grundhandlung ein Unterscheiden. Daraus ergibt sich ein Raum für Bejahung und Verneinung (A und Nicht-A). Denken kann daher nicht bis zur Wurzel unfrei, ohne die Möglichkeit einer Wahl sein. Das Wollen steht an einer Schnittstelle zwischen Denken und Handeln. Rationales Überlegen ist tragfähig, eine Wahl zu vollziehen. Impulse setzen sich bei Menschen nicht mit automatischer Zwangsläufigkeit in Handlungen um. Sie können bei solchen Regungen innehalten, Abstand einnehmen, prüfen, sich etwas anderes vorstellen. Menschen haben eine Fähigkeit, in einem Abstand etwas vorerst in der Schwebe zu lassen (Suspensionsfähigkeit/ Suspensionsvermögen).

2
Albrecht  29.09.2017, 08:26

Geert Keil, Willensfreiheit. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin ; Boston : de Gruyter, 2013 (Grundthemen Philosophie). ISBN 978-3-11-027947-4

S. 2 - 3: „Wenn Handlungsfreiheit die Freiheit ist, zu tun, was man will, könnte Willensfreiheit analog die Freiheit sein, zu wollen, was man will. Willensfreiheit zu besitzen müsste dann die Fähigkeit einschließen, etwas anderes zu wollen, als man tatsächlich will. […]. Ist gemeint, ob man sich aussuchen kann, was man will? Ein solcher Begriff der Willensfreiheit ist von vielen Philosophen kritisiert worden. Leibnitz führt an, der Wille könne sich nur auf das Handeln richten, nicht auf das Wollen: […].

Nach Schopenhauer kann der Mensch tun, was er will, nicht aber wollen, was er will. Hobbes, Locke und Russell argumentierten ebenso. Der Regresseinwand allein ist allerdings nicht stichhaltig, denn das Phänomen des höherstufigen Wollens existiert durchaus und zieht nicht zwangsläufig einen Regress nach sich. Ein Drogensüchtiger kann wollen, das Verlangen nach Drogen, das er tatsächlich hat, nicht zu haben. Daraus folgt nicht schon, dass er auch einen Willen dritter, vierter und fünfter Stufe haben können muss.

Die Rede von der Fähigkeit, seinen eigenen Willen zu wählen, hat durchaus einen vernünftigen Sinn. Allerdings kann es sich dabei nicht um die Fähigkeit handeln, seinen gegenwärtigen tatsächlichen Wünsche, Neigungen oder Vorlieben anders sein zu lassen, als sie nun einmal sind.“

„S. 3: „Bei der Willensfreiheit muss es um die Frage gehen, was mit diesen bestehenden Wünschen weiter geschieht, insbesondere darum, ob und in welcher Weise sie handlungswirksam werden.

Weniger merkwürdig als die Frage, ob man wollen kann, was man will, klingt die Frage, ob wir frei wählen oder entscheiden können. „Willensfreiheit“ wird in der Philosophie weitgehend gleichbedeutend mit „Entscheidungsfreiheit“ und „Wahlfreiheit“ gebraucht. Dies ist ein Indiz dafür, dass es bei der Freiheit des Willens nicht um die erste Regung oder den ersten Impuls geht, sondern um eine Fähigkeit, die spätere Phasen der Handlungsvorbereitung betrifft. Entscheidungen stehen am Ende eines Willensbildungsprozesses, nicht am Anfang. Wie wird aus den Wünschen und Neigungen, die wir in uns vorfinden, eine handlungswirksame Entscheidung? Setzen sich Wünsche und Neigungen gleichsam automatisch in Handlungen oder haben wir die Möglichkeit, innezuhalten, sie zu prüfen und uns gegebenenfalls von ihnen zu distanzieren? Entscheiden wir uns, bilden wir aus dunklen Ursprüngen eine handlungswirksame Absicht, oder stoßen uns Absichten und Entscheidungen einfach zu, so wie die ersten Neigungen und Wünsche uns zustoßen? Descartes und Locke haben in der Fähigkeit, innezuhalten und die eigenen Wünsche noch einmal zu prüfen, den wesentlichen Zug der menschlichen Willensfreiheit gesehen. Die Frage nach der Natur dieser Suspensionsfähigkeit steht im Zentrum der Willensfreiheitsdebatte, auch wenn man dies dem Wort „Willensfreiheit“ nicht ansieht.“

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Schopenhauer gebraucht für sich einen sehr eigentümlichen speziellen Sprachduktus: "der Wille" ist für ihn ein grundloser Drang der Natur, z.B. das Naturgesetz der Gravität.

Sein berühmter Satz "Der Mensch kann zwar machen was man will, aber nicht wollen was er will" reduziert sich vor diesem Hintergrund auf die Binsenweisheit: Der Mensch kann zwar machen was er will, ist aber dennoch den Naturgesetzen unterworfen.

Am Ende landet man dann bei der "sprachanalytischen" Philosophie eines Wittgenstein, wenn man das genauer auseinanderbröseln will.


Lalalaxla 
Fragesteller
 28.09.2017, 22:20

Fallen dir vielleicht Argumente dafür ein dass wir einen freien Willen haben? (Brauche das für einen Essay in Ethik darüber ob wir einen freien Willen haben)

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Joshua18  28.09.2017, 22:31
@Lalalaxla

Sorry, bin nur ein Hobby-Philosophie Student, d.h. lese regelmässig philosophische Bücher (jedes 3. Buch), allein um mir einen möglichst umfassenden Kenntnisstand anzueignen.

Persönlich habe ich aber Zweifel an unserem freien Willen, da wohl jeder Mensch durch seine Herkunft und Erfahrung irgendwie doch sehr stark geprägt ist, sind vermutlich auch viele seiner Handlungen dadurch prädestiniert.

Besonders problematisch wird das natürlich z.B. bei Richtern, die ja persönlich neutral sein sollen. Das wird z.B. in dem neuen Roman "Justizpalast" thematisiert. Man sieht also, Philosophie ist doch nicht so ganz weltfremd.

https://www.swr.de/swr2/literatur/buch-der-woche/petra-morsbach-justizpalast-richterin-roman/-/id=8316184/did=20329456/nid=8316184/1j730os/index.html

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ich glaube da eher an wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse als an Philosophen Gelabere. Gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation aus der Quantenphysik sind wir frei in unserem WIllen und Gedanken und keine Ursache-Wirkungs-gesteuerte Lebewesen ...

Wäre ich mit der Veranlagung von Adolf Hiltler auf die Welt gekommen, in einem vergleichbaren Umfeld erzogen und geprägt worden und hätte ich die gleichen Kriegs- und Nachkriegserfahrungen gemacht, wäre ich vermutlich jetzt wie Adolf Hitler. Nur schöner ;-))

Vermutlich ist das, primitiv ausgedrückt, inhaltlich die selbe Aussage wie sie Schopenhauer gemacht haben soll (hab nie etwas von ihm gelesen).