Ist Mut ein Instinkt oder wird Mut anerzogen?

13 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Die kurze Antwort:

Beides ein bisschen.

Die lange Antwort:

Ob wir in einer gefährlichen Situation mutig sind oder flüchten entscheidet sich in einem ganz kleinen Teil unseres Gehirns. Dieser entscheidet schon seit Jahrtausenden darüber ob es gut ist sich einer Gefahr zu stellen, oder ob man besser davon läuft und übernimmt dann kurzfristig die Kontrolle über den Körper um die entsprechende Reaktion auszuführen - übrigens nicht nur beim Menschen. Bei allen Tieren haben sich das Gehirn und das zentrale Nervensystem so entwickelt, dass es in Sekundenbruchteilen entscheiden kann ob man rennt oder sich wehrt, abhängig davon mit was für einer Gefahr man es eben zu tun hat und was für ein Tier man selbst ist. So ist zum Beispiel bei einem Pferd der Fluchtinstinkt deutlich größer als bei einem Puma, einfach weil das Pferd evolutionär massive Vorteile und Überlebenschancen hatte wenn es davon gelaufen ist. Die Überlebenschancen des Pumas wären gleich null, wenn er sich bei jeder Konfrontation aus dem Staub machen würde. Die Beute bringt sich ja nicht selbst um.

Der Mensch ist weder ein Puma, noch ein Pferd. Unsere Lebenswelt gestaltet sich etwas anders und hat sich in der kurzen Geschichte unserer Existenz sehr stark verändert. Unsere Fressfeinde sind verschwindend gering, viele der tötlichen Gefahren in unserem Leben sind so schleichend, dass diese natürliche Reaktion in unserem Körper gar nicht mehr stattfindet. Niemand ist zum Beispiel je beim vernehmen einer Krebsdiagnose schreiend davongelaufen oder hat seinem Arzt die Zähne eingeschlagen. Trotzdem können wir diese Reaktion hin und wieder noch erleben. Wenn wir eine große Spinne sehen, zum Beispiel. Warum haben nun aber manche Leute mehr Angst vor Spinnen als andere? Warum laufen manche schreiend davon und andere halten sich Taranteln im Wohnzimmer? Warum sind die einen (vermeintlich) ängstlich und die anderen (vermeintlich) mutig?

Hier kommt jetzt die Erziehung und die persönliche Erfahrung ins Spiel. Haben wir schon oft Situationen, die unser Gehirn für gefährlich hielt, gut gemeistert und sind auch ohne Angstreaktion gut zurecht gekommen merkt sich unser Kopf das und reagiert bei der nächsten Bedrohung schneller wieder rational. Denn das, was bei einer Angstreaktion passiert ist häufig irrational und sehr kurzgedacht. In der Gefahr macht sich das Gehirn nicht die Mühe erst abzuwägen und zu vergleichen, es entscheidet blitzschnell (und manchmal dann auch falsch).

Bei Pferden kannst du das manchmal beobachten wenn sie scheinbar aus dem Nichts z.b. vor einer offenen Mülltonne davonlaufen, aber nach einigen Metern wieder umdrehen und die Gefahr beäugen. Da hat dann der rationale Teil des Gehirns wieder gegriffen und sowas vermittelt wie „Kollege, das blaue Ding da bewegt sich nicht, es verfolgt uns nicht und macht keine Anstalten uns zu fressen. WARUM laufen wir hier dann noch rum wie der letzte Depp? Gucken wir uns das doch erstmal in Ruhe an.“.

Die Frage ob wir mutig sind oder nicht entscheidet sich also dadurch, wie dominant die Angstreaktion ist und wie schnell der rationale Teil unseres Gehirns die Kontrolle erlangt. Das kann man üben, bewusst oder unbewusst, und manche Menschen lernen das eben schon von Kindesbeinen an. Wem von Eltern, Freunden und Bekannten vorgelebt wird, dass man sich Ängsten stellen kann, wer früh selbst die Erfahrung macht, dass man auch in auf den ersten Blick beängstigenden Situationen, cool bleiben und eine Lösung finden kann, dem fällt das grundsätzlich leichter. Denn wie unsere Muskeln kann man auch das Gehirn trainieren. Je öfter der Wechsel von Angst zu Logik stattfindet, desto besser klappt er. Je öfter wir etwas machen, desto seltener greift die Angstreaktion. So ist die erste Fahrt mit einer Achterbahn noch die aufregendste, die 50. löst in unserem Kopf dagegen dann schon viel weniger aus. Als ich das erste Mal eine Hai beim Tauchen gesehen habe bin ich fast erstickt bzw. hätte gekotzt, inzwischen habe ich zwar immer noch Respekt vor ihnen, behalte aber die Kontrolle über mich und meinen Körper und habe keine Panik. Übung macht den Meister.


April1995 
Fragesteller
 23.06.2022, 08:39

Ich danke Dir sehr für Deine ausführliche Antwort :-)

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Mut ist z. T. ein Charakterzug, z. T. anerzogen und z. T. durch die Bakterien im Darm beeinflusst. Dazu ein bemerkenswertes Experiment:

Man nimmt einen Stamm ängstlicher Mäuse und einen Stamm mutiger Mäuse, nimmt von beiden den Kot und tötet dann mit Antibiotika die gesamte Darmflora ab. Dann gibt man den vorher mutigen Mäusen den Kot der vorher ängstlichen zu fressen und umgekehrt. Danach sind die einst mutigen Mäuse ängstlich und die einst ängstlichen mutig.

Ausserdem können auch Krankheitserreger mutig machen. Z. B. der Fuchsbandwurm (Toxoplasmose) bewirkt bei Füchsen und Katzen Durchfall. Dieser wird dann z. B. über Waldbeeren von Mäusen gefressen, so dass diese ebenfalls den Fuchsbandwurm tragen. Bei Mäusen verursacht er aber nicht Durchfall, sondern er verändert das Mäusegehirn so, dass die Mäuse keine Angst mehr haben vor Füchsen und Katzen. Sie werden daher eher gefressen, so dass sich der Kreislauf schliesst.

Bei Rekruten hat man festgestellt, dass diejenigen, welche Toxoplasmose-Erreger trugen, im darauf folgenden Jahr wesentlich häufiger Autounfälle hatten. Vermutlich, weil sie eben auch weniger ängstlich und vorsichtig fuhren.


April1995 
Fragesteller
 23.06.2022, 08:28

oha....das war ja mal interessant 😲

Ich danke Dir sehr für Deine Antwort!

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Ich glaube es ist tatsächlich anerzogen. Grundsätzlich sind wir doch total neugierig. Wenn also die Bestärkung von außen fehlt, sind wir zögerlich oder übertreiben es.

Ich würde mich als sehr mutig bezeichnen, weil mich nie jemand aktiv bestärkt hat. Ich musste oft Verantwortung übernehmen, vielleicht auch viel zu früh. Gerade deswegen wird man mutig, man muss es doch probieren! Hilft dir halt keiner! 😛

Mit dem Alter wird man aber auch etwas verantwortungsvoller. Man traut sich manche Dinge nicht mehr so, überlegt die Folgen.

Es kommt sicher auch auf deine Erfahrung an, was du schon gesehen hast. Man denkt dann auch an andere Menschen.

Bonye hatte ein tolles Beispiel. Mein kleiner Cousin z. B. wurde auch extrem behütet erzogen. Ihm wurden ständig Ängste eingeredet. Er ist heute noch zu blöd um eine Treppe mit offenen Stufen zu bewältigen. Er hat Angst. Er wurde auch viel mit Spielzeug überhäuft. Konnte daher schlecht lesen + schreiben. Hat sich dann halt anders beschäftigt.

Ich glaube man sollte ein gesundes Mittelmaß finden.


April1995 
Fragesteller
 26.06.2022, 06:59

Danke Dir sehr für Deine Antwort!

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Es entwickelt sich, einhergehend mit der Fähigkeit Dinge ein- und abschätzen zu können.


April1995 
Fragesteller
 23.06.2022, 20:32

Ich Danke Dir für Deine Antwort!

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Mutig oder ängstlich ist man von Geburt an, aber durch Übung, mit jedem Mal trauen und Erfolg haben kann der Mut wachsen.

Die Erziehung spielt da auch mit rein, mein Vater hat mich so oft zur Vorsicht ermahnt ich habe mich nicht mehr getraut aufrecht ein Spielgerüst herunter zu gehen wie andere Kinder. Ich merke das heute noch das ich Treppen oft nicht herunter gehen kann ohne den Handlauf zumindest zu berühren. Irgendwie ist da im Kopf eine Sperre und ich kann einfach nicht gehen. Ob das wirklich zusammenhängt.. wer weiß aber ich verbinde das miteinander denn dieses Spielgerüst waren Stämme die in Treppenform aufgebaut waren.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

April1995 
Fragesteller
 23.06.2022, 08:52

Vielen Dank für Deine Antwort!

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safur  25.06.2022, 23:14

Versuche doch einfach mal diese Hürden zu überwinden.

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Bonye  25.06.2022, 23:28
@safur

Na das ist ja eine tolle Idee. Wär ich allein ja nie drauf gekommen.... 🤦

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safur  25.06.2022, 23:32
@Bonye

jetzt sei nicht so - war ernsthaft gemeint.

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Bonye  25.06.2022, 23:34
@safur

Dito. Meinst du ehrlich es wäre "einfach zu überwinden"? Oder ich hätte es noch nie versucht!?

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safur  25.06.2022, 23:36
@Bonye

Nein, ich besitze Empathie.
Ich verstehe dich schon.
Man kann es halt versuchen .., auch wenn es schwierig scheint

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Bonye  25.06.2022, 23:38
@safur

Ich versuche es bei jeder Treppe erneut. An guten Tagen klappt es, an anderen nicht.

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safur  25.06.2022, 23:39
@Bonye

Bin ich total stolz auf dich, ist doch schon ein Anfang.

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