In welcher Situation hat Caesar gesagt: "Ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter"?

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Die Überlieferung der genannten Aussage meint mit Caesar nicht den unter anderem durch den Gallischen Krieg bekannten Gaius Iulius Caesar (100 – 44 v. Chr.), sondern dessen Großneffen, der zuerst Gaius Octavius hieß, sich dann nach Adoption im Testaments Caesars Gaius Iulius Caesar nannte – da nach römischer Gewohnheit dabei der Zusatz Octavianus angefügt worden wäre, ist in moderner Geschichtsschreibung die Bezeichnung Octavian/Oktavian verbreitet, auch wenn der Betreffende selbst diesen Namen nicht verwendete – und 27 v. Chr. den Ehrentitel Augustus erhielt, unter dem er bekannt ist.

Die Situation war ein Trinkgelage und die Aussage bezog sich auf das Verhalten des Rhoimetalkes, eines Thrakerkönigs, der mit einer Truppe Marcus Antonius unterstützte, aber bei Actium kurz vor der Seeschlacht bei Actium (2. September 31 v. Chr.) zu Octavian überging.

Plutarch, Romulus 17, 3 (in Zusammenhang mit einer sagenhaften Erzählung über Tarpeia und die Sabiner):

οὐ μόνος οὖν ὡς ἔοικεν Ἀντίγονος ἔφη πϱοδιδόντας μὲν φιλεῖν, πϱοδεδωκότας δὲ μισεῖν, οὐδὲ Καῖσαϱ, εἰπὼν ἐπὶ τοῦ Θρᾳκὸς Ῥοιμητάλκου, φιλεῖν μὲν πϱοδοσίαν, πϱοδότην δὲ μισεῖν, ἀλλὰ κοινόν τι τοῦτο πάθος ἐστὶ πϱὸς τοὺς πονηϱοὺς τοῖς δεομένοις αὐτῶν, ὥσπεϱ ἰοῦ καὶ χολῆς ἐνίων θηϱίων δέονται· τὴν γὰϱ χϱείαν ὅτε λαμβάνουσιν ἀγαπῶντες, ἐχθαίϱουσι τὴν κακίαν ὅταν τύχωσι.

Plutarch, Große Griechen und Römer. Band 1. Eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler. Übersetzung der Biographie des Themistokles von Walter Wuhrmann. Zürich ; Stuttgart : Artemis-Verlag, 1954 (Die Bibliothek der Alten Welt : Griechische Reihe), S. 97:  

„Nun steht aber offenbar Antigonos nicht allein mit seinem Wort, er liebe die Leute, die Verrat üben, die aber Verrat geübt hätten, hasse er, noch Caesar Augustus, der von dem Thraker Rhoimetalkes gesagt hat, er liebe den Verrat, den Verräter aber hasse er, sondern dies ist die allgemeine Stimmung gegen die Lumpen bei denen, die sie brauchen, wie man das Gift und die Galle mancher Tiere braucht. Solange man Nutzen aus ihnen zieht, hat man sie gern, haßt aber ihre Gemeinheit, wenn man sein Ziel erreicht hat.“

Plutarch, Basileon apophtegmata kai strategon (Βασιλέων ἀποφθέγματα καὶ στϱατηγών; Aussprüche der Könige und Strategen/Feldherren; lateinischer Titel: Regum et imperatorem apophthegmata) 92, 2 (Ἠθικά/Moralia 207 a):  

ἐπεὶ δὲ Ῥοιμητάλκης ὁ τῶν Θϱᾳκῶν βασιλεὺς ἀπ᾽ Ἀντωνίου μεταβαλόμενος πϱὸς αὐτὸν οὐκ ἐμετϱίαζεν παϱὰ τοὺς πότους, ἀλλ᾽ ἦν ἐπαχθὴς ὀνειδίζων τὴν συμμαχίαν, πϱοπιών τινι τῶν ἄλλων βασιλέων ὁ Καῖσαϱ εἶπεν, ‘ἐγὼ πϱοδοσίαν φιλῶ, πϱοδότας δ᾽ οὐκ ἐπαινῶ.’

„Als aber der von Antonius zu ihm übergelaufene Thrakerkönig Rhoimetalkes bei den Trinkgelagen nicht Maß hielt/sich mäßigte, sondern lästig/unangenehm/gehässig war, indem er das Bündnis schmähte, sagte Caesar (Augustus), während er einem der anderen Könige zutrank: »Ich liebe den Verrat, aber Verräter lobe ich nicht«.“

Lateinisch heißt der Ausspruch (Übersetzung aus dem altgriechischen Text bei Plutarch): proditionem amo, sed proditores non laudo.

Wann dies war, wird nicht ausdrücklich angegeben. Vermutlich ereignete sich dies bald nach dem Überlaufen des Thrakers Rhoimetalkes. Das geschmähte Bündnis kann als das ehemalige Bündnis mit Marcus Antonius oder das neue Bündnis mit Octavian gedeutet werden. Für wahrscheinlicher halte ich Schmähungen/Beschimpfungen gegen Marcus Antonius. Völlig hemmungsloses und maßloses Schmähen/Beschimpfen zu opportunistischen Zwecken kann als schlechter Charakterzug verstanden werden.

Octavian hat Rhoimetalkes nach der Seeschlacht bei Actium als König in dem Teil von Thrakien, in dem er herrschte, anerkannt. Rhoimetalkes war Verbündeter Roms (eine Art Vasallenfürst), hat später über Thrakien insgesamt geherrscht und starb wohl 13 n. Chr., kurz vor Augustus (63 v. Chr. – 14 n. Chr.).

Albrecht  14.06.2015, 07:46

Eine ähnliche Aussage über Verrat und Verräter steht bei dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus (Annales 1, 58, 1): 

proditores etiam iis, quos anteponunt, invisi sunt.

„Verräter sind auch denen, die sie vorziehen/den Vorzug geben, verhaßt.“ („denen, die sie vorziehen/den Vorzug geben“ bedeutet den Nutznießern des Verrats; den Leuten, denen die Verräter den Vorzug geben, indem sich sie sich von Personen und/oder einer Sache abwenden)

Tacitus, Annales 1, 58, 1 - 4 (Rede des Segestes, eines Cheruskerfürsten, an Germanicus, nachdem dieser ihn und eine große Schar seiner Verwandten und Gefolgsleute – wohl 15 n. Chr. - mit einem römischen Heer aus einer Belagerung andere Cherusker befreit hat; die Rede ist kein dokumentierter genauer Wortlaut, sondern Gestaltung des Geschichtsschreibers):  

Verba eius in hunc modum fuere: 'non hic mihi primus erga populum Romanum fidei et constantiae dies. ex quo a divo Augusto civitate donatus sum, amicos inimicosque ex vestris utilitatibus delegi, neque odio patriae (quippe proditores etiam iis quos anteponunt invisi sunt), verum quia Romanis Germanisque idem conducere et pacem quam bellum probabam. ergo raptorem filiae meae, violatorem foederis vestri, Arminium apud Varum, qui tum exercitui praesidebat, reum feci. dilatus segnitia ducis, quia parum praesidii in legibus erat, ut me et Arminium et conscios vinciret flagitavi: testis illa nox, mihi utinam potius novissima! quae secuta sunt defleri magis quam defendi possunt: ceterum et inieci catenas Arminio et a factione eius iniectas perpessus sum. atque ubi primum tui copia, vetera novis et quieta turbidis antehabeo, neque ob praemium, sed ut me perfidia exsolvam, simul genti Germanorum idoneus conciliator, si paenitentiam quam perniciem maluerit. pro iuventa et errore filii veniam precor: filiam necessitate huc adductam fateor. tuum erit consultare utrum praevaleat quod ex Arminio concepit an quod ex me genita est.'

P. Cornelius Tacitus, Annalen : Lateinisch-Deutsch. Herausgegeben von Erich Heller. Mit einer Einführung von Manfred Fuhrmann. 6. Auflage. Mannheim : Artemis & Winkler, 2010 (Sammlung Tusculum), S. 83 und S. 85:  

„Seine Worte waren von folgender Art: »Dies ist für mich nicht der erste Tag unwandelbarer Treue gegen das römische Volk. Seitdem ich vom göttlichen Augustus mit dem Bürgerrecht beschenkt worden bin, habe ich Freunde und Feinde nur nach eurem Vorteil ausgewählt, und zwar nicht aus Haß gegen mein Vaterland - Verräter sind ja selbst denen, zu denen sie übergehen, verhaßt -, sondern weil ich überzeugt war, daß für Römer und Germanen das nämliche zuträglich und daß Frieden besser sei als Krieg. Drum habe ich den Verführer meiner Tochter, der das Bündnis mit euch brach, Arminius, bei Varus, dem damaligen Befehlshaber, verklagt. Hingehalten durch die Lässigkeit des Feldherrn, forderte ich, da die Verträge zu wenig Rückhalt boten, er solle mich und Arminius und die Mitverschworenen festnehmen: Zeugin ist jene Nacht – o wäre sie doch lieber für mich die letzte gewesen! Was dann folgte, kann man eher beklagen als rechtfertigen; jedenfalls habe ich Arminius in Ketten legen lassen und mußte meinerseits die Ketten tragen, die seine Anhänger mir anlegten. Und jetzt, wo ich erstmals wieder mit dir zusammensein kann, ziehe ich das frühere gute Verhältnis dem späteren unguten und die Ruhe des Friedens dem Sturm des Aufruhrs vor, und zwar nicht um einer Belohnung willen, sondern um mich vom Vorwurf der Treulosigkeit zu lösen, und gleichzeitig als geeigneter Vermittler für das Volk der Germanen, falls es lieber Reue will als Untergang. Für den jugendlichen Fehltritt meines Sohnes bitte ich um Nachsicht; daß meine Tochter nur mit Gewalt hierhergebracht wurde, gebe ich zu. Es wird an dir sein zu überlegen, was schwerer wiegt: daß sie von Arminius empfangen hat oder daß sie von mir gezeugt wurde.«“

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