Goethe, Das Sonett, Kernaussage und Interpretation?
Hallo, kann mir jemand helfen, das Gedicht zu interpretieren? Ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe. So wie ich es verstehe, geht es darum, dass Goethe die Leser dazu auffordert, sich der Kunst zu widmen. Ab der 2.Strophe verstehe ich leider die Aussage nicht. Vielen Dank im Voraus!
Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben,
Ist heil'ge Pflicht, die wir dir auferlegen:
Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegen
Nach Tritt und Schritt, wie es dir vorgeschrieben.
Denn eben die Beschränkung läßt sich lieben,
Wenn sich die Geister gar gewaltig regen;
Und wie sie sich denn auch gebärden mögen,
Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben.
So möcht' ich selbst in künstlichen Sonetten,
In sprachgewandter Maße kühnem Stolze,
Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen;
Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten:
Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze,
Und müßte nun doch auch mitunter leimen.
1 Antwort
Das Gedicht ist selbst bezüglich. Ein Sonett hat ja einen ganz strengen Aufbau, an den sich der Dichter halten muss. Goethe schreibt also ein Sonett darüber, welche Vorteile ("Denn eben die Beschränkung läßt sich lieben") so ein strenger Aufbau hat, er schreibt aber auch darüber, wie mühsam es manchmal ist, sich an so einen strengen Aufbau zu halten ("Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten"). Man unterwirft sich beim Sonett schreiben ganz genauen Regeln, die einem helfen, die eigene wilde Kreativität in bestimmte Bahnen zu leiten, gleichzeitig machen es diese Regeln einem aber auch schwer, sich so wie sonst frei auszudrücken, weil man eben nicht alle Freiheit hat.
Goethe ist nicht der einzige, der sich in Sonettform mit dem Thema Sonett beschäftigt, da gibt es noch Robert Gernhardt (etwas drastischer, so dass gutefrage das nur zensiert zulässt)
Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut
hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut
darüber, daß so'n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner W*** blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.
Ich tick nicht, was das A*** motiviert.
Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen:
Ich find Sonette unheimlich beschissen.
Und dann gibt es noch das schöne Sonett von Gerhard Rühm:
erste strophe erste zeile
erste strophe zweite zeile
erste strophe dritte zeile
erste strophe vierte zeile
zweite strophe erste zeile
zweite strophe zweite zeile
zweite strophe dritte zeile
zweite strophe vierte zeile
dritte strophe erste zeile
dritte strophe zweite zeile
dritte strophe dritte zeile
vierte strophe erste zeile
vierte strophe zweite zeile
vierte strophe dritte zeile
Man kann die Bedeutung natürlich auch noch verallgemeinern: Grundsätzlich steht ein Künstler immer zwischen den Konventionen der aktuellen Zeit, also den vorgegebenen Mustern und Strukturen und seiner eigenen erstmal ungeregelten Kreativität. Solche Strukturen können alles mögliche sein - ein klassischer griechischer Dichter hat natürlich in Hexametern geschrieben, sich also an ein bestimmtes Muster gehalten, ein bildender Künstler malt auf rechteckige Leinwände usw. usw. Diese Konventionen helfen einerseits, weil sich schon mal einen Rahmen geben. Andererseits gibt es dann immer wieder den Drang, diese Formen abzuändern und was ganz anderes zu machen, weil man sich in diesen Mustern nicht wohl fühlt.
Vielen lieben Dank! Ich hatte das ja komplett falsch verstanden! Bin dir unendlich dankbar!