Bewerbermangel Rettungsdienst?

4 Antworten

Von Experte Rollerfreake bestätigt

Hi,

Bewerbermangel Rettungsdienst?

Man muss schon ein wenig differenzieren, ob es sich um einen Mangel an Fachkräften oder einen Mangel an Auszubildenden handelt, ersteren gibt es flächendeckend, letzteren eher nicht.

Die Ausbildung zum Notfallsanitäter ist hochgradig begehrt und zehn Bewerbungen pro Ausbildungsplatz sind oftmals die Regel - Ausnahmen davon mag es geben.

Der Knackpunkt ist einfach: es gibt zu wenig Ausbildungsplätze. Sowohl die Lehrrettungswachen als auch die Berufsfachschulen haben hier schlichtweg ein Kapazitätsproblem.

Und daraus resultiert letztendlich dann der Fachkräftemangel - die Ausbildungsdauer wurde mit der Einführung des Notfallsanitäters um ein Jahr verlängert, die primär schulische Ausbildung des Rettungsassistenten wurde durch eine duale Ausbildung ersetzt (man benötigt also zwingend einen Ausbildungsplatz, eine Ausbildung als Selbstzahler ist nicht mehr möglich) und ziemlich viele ehemalige RettAss-Schulen mussten ihre Pforten schließen.

Oder simpel: die Zahl der Absolventen hat sich drastisch reduziert, bei gleichbleibend hoher Fluktuation.

"Realschulabschluss oder guter Hauptschulabschluss" 

Ein Hauptschulabschluss alleine ist für eine NFS-Ausbildung schlichtweg nicht ausreichend, siehe § 8 NotSanG.

Fazit

Man muss deutlich differenzieren - einen Fachkräftemangel im Rettungsdienst gibt es - der Markt ist schlichtweg leergefegt; einen Mangel an Bewerbern für die NFS-Ausbildung oder einen Mangel an Rettungssanitätern gibt es hingegen nur kaum bis sehr begrenzt.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent

cvria 
Fragesteller
 19.04.2022, 13:47

Vielen Dank für die ausführliche Antwort!

Stimmt, da habe ich mich etwas unkonkret ausgedrückt.

Der Artikel bezog sich auf die Ausbildung zum Notfallsanitäter und einen Mangel an Bewerbern (1 Bewerber auf 10 freie Ausbildungsstellen). Auch Nachfragen an zwei Lehrrettungswachen und einer Berufsfeuerwache in meiner Stadt lieferten entsprechende Aussagen.

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SaniOnTheRoad  19.04.2022, 14:09
@cvria

Sehr gerne!

Der Artikel bezog sich auf die Ausbildung zum Notfallsanitäter und einen Mangel an Bewerbern (1 Bewerber auf 10 freie Ausbildungsstellen). Auch Nachfragen an zwei Lehrrettungswachen und einer Berufsfeuerwache in meiner Stadt lieferten entsprechende Aussagen.

Das mag durchaus vorkommen - die Realität in der Fläche spiegelt es allerdings nicht wieder.

Bisweilen setzen sogar recht kleine Leistungserbringer im Rettungsdienst, sprich einzelne Kreisverbände der Hilfsorganisationen, mittlerweile richtige Auswahlverfahren ein, um der "Bewerberschwemme", wie RedPanther erwähnt hat, irgendwie Herr zu werden.

Dass es lokal andersherum aussieht, kann da natürlich an unterschiedlichen Ursachen liegen...vielleicht ist die Region unattraktiv, vielleicht gibt es entsprechend viel Konkurrenz, vielleicht einfach verhältnismäßig wenig Leute im "passenden" Alter.

Oder aber: der Arbeitgeber hat einen Ruf weg...

Es gibt leider immer noch genügend Rettungsdienstleitungen, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und Auszubildende wie Leibeigene behandeln - das kann man sich schlichtweg nicht mehr leisten.

Und nachdem auch ein Großteil der Bewerber bereits aus dem Rettungsdienst kommt, spricht sich so etwas herum. Da entscheiden sich dann doch relativ viele für ein "lieber gar nicht als hier".

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cvria 
Fragesteller
 19.04.2022, 14:23
@SaniOnTheRoad
die  Realität in der Fläche spiegelt es allerdings  nicht wieder.

Ok. Der Artikel hatte mich ein wenig irritiert, da von keiner bestimmten Region die Rede war und es daher wie eine Gesamtbetrachtung wirkte. Zudem die RW und die BF in meiner Stadt (Dresden) auch entsprechende Zahlen äußerten - diese richteten sich aber wiederum explizit an die BF und das DRK.

Und nachdem auch ein Großteil der Bewerber bereits aus dem Rettungsdienst kommt,

Ok, das war mir nicht bekannt. Hast Du Erfahrungen machen können, wie hoch der Anteil der Bewerber für eine NotSan-Ausbildung bereits aus dem RD kommen? Haben Mitglieder der FF auch entsprechende "Bonuspunkte", weil sie aus einem "ähnlichen" Feld kommen?

Besten Dank für Deine ausführlichen Antworten!

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SaniOnTheRoad  19.04.2022, 14:54
@cvria
Zudem die RW und die BF in meiner Stadt (Dresden) auch entsprechende Zahlen äußerten - diese richteten sich aber wiederum explizit an die BF und das DRK.

Leider kenne ich die Gegebenheiten in Dresden nicht persönlich, folglich kann ich hier auch nur vermuten...

Großstadtrettung ist auch nicht Jedermanns Sache, einige zieht es - bei gleichen Gehalt und sonst gleichen Bedingungen - dann doch eher in die "Speckgürtel" außenrum.

Ansonsten ist Sachsen leider auch eine bisweilen strukturschwache Region, was sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirkt - ich schätze, dass der Rettungsdienst von der "Ostflucht" nicht ausgenommen ist.

Hast Du Erfahrungen machen können, wie hoch der Anteil der Bewerber für eine NotSan-Ausbildung bereits aus dem RD kommen?

Zumindest von uns kann ich behaupten, dass über die letzten Jahre hinweg ein Drittel der Bewerbungen intern waren, nicht selten waren über die Hälfe der Bewerbungen von Leuten mit Vorerfahrung.

Feststellen muss man aber: bei denjenigen, die tatsächlich einen Ausbildungsplatz bekommen, machen interne Bewerber bequem > 90 % aus - das variiert lokal bisweilen relativ stark, einige Leistungserbringer (vor allem die, die ein richtiges Auswahlverfahren haben) nehmen eher Externe ohne Vorerfahrungen, als der familiäre Kreisverband, in den man "hineinwächst".

Haben Mitglieder der FF auch entsprechende "Bonuspunkte", weil sie aus einem "ähnlichen" Feld kommen?

Kaum - es ist zwar durchaus ein Vorteil, eine gewisse Einsatzerfahrung mitzubringen, "kriegsentscheidend" ist das allerdings in den seltensten Fällen.

Ausbildung und Aufgabenstellung der FF und des Rettungsdienstes sind letztendlich zu unterschiedlich, als dass man einen grundsätzlichen Vorteil annehmen kann - das sieht bei Qualifikation zum Rettungssanitäter und Einsatzerfahrung im Rettungsdienst wieder anders aus.

Besten Dank für Deine ausführlichen Antworten!

Keine Ursache ;-)

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Von Experte SaniOnTheRoad bestätigt

Vorsicht!

Ein Mangel an ausgebildeten Notfallsanitätern ist etwas anderes als ein Mangel an Bewerbern für die Ausbildung zum Notfallsanitäter.

An Bewerbern für die Ausbildung mangelt es tatsächlich nicht. Über ganz Deutschland hinweg werden oft 10 Bewerber je Ausbildungsstelle als Durchschnittswert genannt.

Aber gleichzeitig erreichen inzwischen viele Rettungsassistenten und Notfallsanitäter das Rentenalter und auch jüngere Notfallsanitäter suchen sich nicht selten nach relativ wenigen Berufsjahren was anderes. Zudem fallen im Rettungsdienst vergleichsweise viele Mitarbeiter wegen Berufskrankheiten wie Bandscheibenvorfällen oder psychischer Erkrankungen aus. Es fallen also jedes Jahr ziemlich viele Kollegen weg. Und obendrein werden regelmäßig die Vorhaltungen erhöht, sodass man selbst dann nicht auf einen grünen Zweig kommt, wenn man den Personalbestand konstant halten kann.

Und für diesen Personalmangel gibt es nicht genügend ausgebildete Notfallsanitäter. Weil die Ausbildungsplätze nicht ausreichend, d.h. es pro Jahr nicht genügend Absolventen gibt.

Also: es gibt einen Bewerbermangel im Rettungsdienst, was ausgebildete Kräfte angeht und eine Bewerberflut, was Ausbildungsplätze angeht.

Ich persönlich konnte feststellen, dass einige Lehrrettungswachen ihre Anforderungen von "Abitur oder Realschulabschluss" auf "Realschulabschluss oder guter Hauptschulabschluss" gesenkt haben.

Da, wie SaniOnTheRoad schon geschrieben hat, auch der beste Hauptschulabschluss noch nicht zur Ausbildung zum Notfallsanitäter qualifiziert, vermute ich dass du da einem Missverständnis oder Lesefehler aufsitzt.

Zum Beispiel ist die Kombination aus einer Qualifikation zum Notfallsanitäter mit Hauptschulabschluss möglich, wenn die betreffende Person nicht die betriebliche Ausbildung zum Notfallsanitäter gemacht hat, sondern vor 2014 zum Rettungsassistenten ausgebildet und später per Ergänzungslehrgang zum Notfallsanitäter wurde.

Oder es ist eine Stelle für Rettungssanitäter gemeint.


cvria 
Fragesteller
 19.04.2022, 14:04

Vielen Dank für die ausführliche Antwort!

An Bewerbern für die Ausbildung mangelt es tatsächlich nicht. Über ganz Deutschland hinweg werden oft 10 Bewerber je Ausbildungsstelle als Durchschnittswert genannt.

Der Artikel, auf den ich mich bezog schrieb von Ausbildungsplätzen zum NotSan und von 1 Bewerber auf 10 freie Ausbildungsstellen. Leider konnte ich den Artikel online nicht finden, sonst hätte ich ihn verlinkt.

Zwei Lehrrettungswachen und eine Berufsfeuerwache in meiner Stadt sprach ebenfalls von einer derartigen Situation (1 Azubi, 10 freie Stellen).

auch der beste Hauptschulabschluss noch nicht zur Ausbildung zum Notfallsanitäter qualifiziert, vermute ich dass du da einem Missverständnis oder Lesefehler aufsitzt.

Da habe ich mich unkonkret ausgedrückt, das stimmt. Aber auch irgendeine zweijährige BA (es gibt ja keine Bedingung, dass es sich um eine fachverwandte BA handeln muss) plus guter Hauptschulabschluss kommt nicht an den Wissensstand eines Abiturs heran. Von daher würde ich schon von einer Senkung der Voraussetzungen sprechen.

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RedPanther  19.04.2022, 14:18
@cvria

Okay, dass es so wenige Bewerber auf Ausbildungsstellen gibt, habe ich noch nicht gehört. Mein aktueller Arbeitgeber fällt ja schon in die Kategorie "am Hintern der Welt" und es gibt wenigstens zwei Bewerber pro Ausbildungsstelle.

Aber auch irgendeine zweijährige BA (es gibt ja keine Bedingung, dass es sich um eine fachverwandte BA handeln muss) plus guter Hauptschulabschluss kommt nicht an den Wissensstand eines Abiturs heran.

Ahaa, jetzt! Es gibt einen kleinen Unterschied zwischen "guter Hauptschulabschluss" und "guter Hauptschulabschluss und mindestens zweijährige Berufsausbildung" ;)

Hauptschulabschluss + Berufsausbildung ist gleichwertig mit der Mittleren Reife. Und somit ist man damit auch für den Ausbildungsbeginn zum Notfallsanitäter qualifiziert. Dieses Kriterium war schon immer so in § 8 NotSanG so bezeichnet.

Dass manche Personalverantwortlichen ein Abitur als bessere Voraussetzung für eine Ausbildung ansehen, gibt es auch in vielen anderen Ausbildungsberufen, für die eine Mittlere Reife ausreicht. Wobei es zu Anfang der NFS-Ausbildung auch Rettungsdienstleiter gab, die explizit keine Azubis mit Abitur wünschten, weil in den Jahren davor viele Abiturienten die Ausbildung zum Rettungsassistenten als Sprungbrett zum Medizinstudium genommen haben und sich damit keine langfristige Personalplanung betreiben ließ.

Es halt also keine Absenkung der Zugangsvoraussetzungen zur Ausbildung.

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Kann ich so bestätigen, ein guter Freund ist Notfallsani und er hat genau diese Tendenz. Machen immer weniger Leute und Bezahlung plus Arbeitsbelastung und Menge passen für die meisten Leute einfach nicht zusammen.


cvria 
Fragesteller
 19.04.2022, 12:08

Ok. Vielen Dank für die Antwort!

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nordstern690  19.04.2022, 12:28

Das wusste ich noch nicht. Schlimm :(

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M1717422  19.04.2022, 13:51

In welcher Region?

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M1717422  19.04.2022, 16:03
@floppydisk

Also die Region um Bielefeld, Minden, Bünde, Gütersloh etc.? Habe mich dort mal bei vielen Organisationen für eine Ausbildung zum NotSan beworben und die erste Antwort war so gut wie immer „aufgrund der großen Menge an Bewerbungen…“

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Bei uns in der Region kommen lt. Schreiben der Rettungswachen teilweise an die 300 Bewerbungen auf eine öffentlich ausgeschriebene Stelle (kein Scherz).

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

cvria 
Fragesteller
 19.04.2022, 13:48

Ok. Vielen Dank für die Antwort! Da scheint es ja ganz extreme regionale Unterschiede zu geben.

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M1717422  19.04.2022, 13:51
@cvria

Ich kann jetzt für Nord-/Mittel-/Westdeutschland sprechen.

Wie es im Süden oder Osten aussieht, weiß ich nicht.

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