Um diese Frage zu beantworten muss man sich zunächst im Klaren sein, was Entnazifizierung bedeutet.
Die NSDAP hatte viele Millionen Mitglieder und diese Mitglieder lebten auch nach dem Kriegsende in Deutschland und bildeten einen Teil der Bevölkerung im Osten ebenso wie im Westen. Einen so bedeutenden Bevölkerungsteil kann man nicht vom gesellschaftlichen Leben ausschließen. Man kann aber dafür sorgen, dass Nazifunktionäre und Naziverbrecher, die in hohem Maße während der Nazizeit Verantwortung trugen, in der Nachkriegsgesellschaft von Ämtern und Funktionen ferngehalten werden.
Und hier zeigt sich der unterschiedliche Umgang in Ost und West. Während im Westen alte Nazi-Eliten maßgeblich die Bundesrepublik in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Bildung, Justiz, Polizei, Geheimdiensten und Armee prägten, wurden im Osten alte Nazi-Eliten konsequent aus den Schaltstellen des Staates und der Gesellschaft entfernt.
In wenigen Ausnahmefällen wurde auf ausgewiesene Fachleute mit Nazivergangenheit zurückgegriffen, wenn diese nicht in Verbrechen verwickelt waren. Und selbst diese wurden bis Mitte der 50er Jahre aus ihren Stellen entfernt.
Ein zweiter Aspekt ist die Erziehung der Bevölkerung, um den Naziungeist aus den Köpfen zu bekommen. Im Westen hat man sich darauf zurückgezogen, zu beklagen, dass man von Hitler verführt wurde und dass der Mord an den Juden schlimm war.
Im Osten hat man den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus betont und hat nicht nur den industriell geplanten Mord an den Juden gegeißelt, sondern auch den gezielten Mord an Polen, Sowjetbürgern, Jugoslaven usw. und Versklavung anderer Völker, an der das deutsche Kapital profitierte. Auch hat man im Osten nie die Kriegsschuld Deutschlands relativiert, ganz im Gegensatz zu bedeutenden revanchistischen Bewegungen und Organisationen im Westen. Allerdings wurde in der DDR niemals von einer Kollektivschuld eines ganzen Volkes ausgegangen, sondern immer von der Schuld des deutschen Monopolkapitals und seiner Protagonisten.
Im Spiegel Special 2/1992 steht als Ergebnis einer Repräsentativen Untersuchung:
Daß unter den Ostdeutschen weit weniger Antisemiten zu finden sind als unter den Westdeutschen, hatten einige Monate zuvor Soziologen der Universität Erlangen-Nürnberg ebenfalls festgestellt, die mit anderen Fragen und anderen Methoden gearbeitet hatten. Sie waren auf 6 Prozent in den neuen Bundesländern gekommen.
Durchgängig ist, wie die Tabellen der Emnid-Untersuchung zeigen, der Anteil der Ostdeutschen, die sich antisemitisch, rechtsradikal oder ausländerfeindlich äußern, geringer als der entsprechende Anteil der Westdeutschen. Die Bundesbürger im Osten nehmen die Konsequenzen aus der NS-Vergangenheit für die Gegenwart ernster.
https://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-52498291.html