Wolfgang Borchert- Kritik?!?!?!

2 Antworten

Im Mittelpunkt von Borcherts Werk stehen die Nachkriegsdeutschen und ihr Leid, das ihnen zugefügt wurde. Keine Erwähnung des Leides, das sie anderen zugefügt hatten, in einem von Deutschland ausgehenden furchtbaren Krieg, keine Erwähnung wie die nun leidenden Deutschen mit ihren jüdischen Mitbürgern verfahren haben. Borchert ist völlig blind für diese Zusammenhänge, was möglicherweise mit der Tatsache zusammenhängt, dass er ja noch unmittelbar unter dem Eindruck des Krieges und dessen Endes stand. Wie er sich zur deutschen Schuld gestellt hätte, wenn das Kriegstrauma ersteinmal überwunden gewesen wäre, können wir leider nicht wissen, da Borchert zu früh verstorben ist.


earnest  03.04.2013, 18:50

Da ist sicher was dran, lieber Schuhu.

(Aber wäre das nicht so etwas wie der "Vorwurf" an den jung verstorbenen Mozart, er habe nicht die Gedankentiefe eines Johann Sebastian Bach besessen?)

Gruß, earnest

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Schuhu  03.04.2013, 20:29
@earnest

Nein. Das wäre nicht unbedingt vergleichbar. Der Schock, den die "unwissenden" Deutschen bekommen haben müssen, als sie erfuhren, welche Verbrechen in ihrem Namen und von ihren Landsleuten begangen wurden, muss einem so sensiblen Menschen wie Borchert durch und durch gegangen sein. Diesen Schock nicht zu bearbeiten, hat etwas mit Verdrängung zu tun, die ja nach dem Kriege allgemein üblich gewesen zu sein scheint. Von etwas zu wissen, es aber in seiner Arbeit nicht zu verwerten, ist etwas anderes als eine bestimmte Stufe noch nicht erreicht zu haben.

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earnest  04.04.2013, 07:53
@Schuhu

OK - Du kennst sicher Borchert besser als ich. Und rein rational leuchten mir Deine Ausführungen auch ein.

Trotzdem zögere ich, jemanden, der traumatisiert und krank aus dem Krieg zurückkehrt, mit solchen Maßstäben zu messen. Hier starb ein "Unvollendeter", dessen Psyche und dessen - möglicherweise existentiell erforderliche? - Verdrängungsmechanismen ich nicht zu be- oder gar zu verurteilen wage.

Mozart hatte immerhin noch (fast) genug Zeit für sein Requiem...

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Schuhu  04.04.2013, 10:50
@earnest

Versteh mich nicht falsch, earnest, ich wollte Borchert in keiner Weise diskreditieren. Ich wollte nur die Argumentation darlegen, aufgrund derer Linjahs Dozent ihn als "heutzutage sehr kritisch gesehen" bezeichnet. Ansonsten hast du recht: Seine Geschichten zeugen von sensilber Beobachtungsgabe und sprechen durch ihre einfache Sprache direkt das Gefühl des Lesers an. Und es ist ja keine Sünde, über dem Leid des Nachbarn das Leid derer, die eine Straße weiter wohnen, zu vergessen oder nur einfach nicht zu erwähnen. Die von Borchert geschilderten Figuren sind ja allesamt keine Kriegstreiber oder Faschisten, sondern auch Opfer des (allerdings z. T. von ihnen gewählten) Systems.

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Hi.
Das weiß ich auch nicht. Aber ich könnte es mir vorstellen.
Die Texte Borcherts erscheinen spontan, nicht kunstvoll gedrechselt.
Borchert ist kein Thomas Mann.

Vielleicht stört das manchen Literaturkritiker. Vorstellbar scheint es mir auch, daß sich manche Kritiker an der Aussage der Texte störten, sich nicht trauten, das zuzugeben - es gab nach 45 noch reichlich alte Nazis! - und die Kritik dann an formalen Aspekten festmachten.

Aber das sind nur Vermutungen. Ich habe mich nie mit Borcherts Kritkern beschäftigt, sondern nur seine Texte auf mich wirken lassen. Und "da gibt es nur eins": Sie wirken!

Gruß, earnest