Wie kann man begründen, dass Das Mittelalter kein dunkles Zeitalter war?

6 Antworten

Das Mittelalter ist ein viel zu langer Zeitraum um ihn als Ganzes zu bewerten. Es reichte vom 5. bis ins 15. Jahrhubdert und hatte gute wie schlechte Seiten. Zudem gab es regionale Unterschiede.Ein heute oftmals vergessener und vernachlässigter Umstand war die Einführung des Hohlpfennigs (Brakteat), der zu einer Zeit des relativen Wohlstands und der relativen Steuergerechtigkeit führte, was viele mit dem Wunder von Wörgl vergleichen und auch Silvio Gesell als eine Vorlage für seine Theorien des Freigeldes diente. Hier war einmal die Kirche nicht als Bremse, sondern als Förderer von Innovationen tätig. Sie befürwortete den Hohlpfennig und das ihm zugrundeliegende System aus der Ablehnung der Zinsnahme heraus. Der Hohlpfennig machte Geld zu einem reinen Zwischentauschmittel ohne Wert als Spekulations- oder Handelsware. Er entzog damit dem Geldverleih und der Zinsnahme den Boden.Etwas Vergleichbares finden wir heute nur noch bei Regionalwährungen

Rufus W. hat vollkommen Recht (wie Andere Kommentatoren auch), dass man die gesamte historische Epoche kaum über einen Kamm scheren kann.

Ja, im Frühmittelalter gab es eine zivilisatorische Rückentwicklung , die der Völkerwanderung und dem Aufbau neuer, "barbarischer" Reichs-Konstrukte zu schulden war.
Trotzdem machten im Lauf der Jahrhunderte alle Künste und auch die Wissenschaften durchaus große Fortschritte.
Die Dreifelder-Wirtschaft zum Beispiel revolutionierte die Landwirtschaft. Und vor allem Malerei und Musik entwickelten sich permanent weiter.Die Gründung der Hanse erweiterte Europas Horizonte und den allgemeinen Wohlstand gewaltig.
Wo das dann das "finstere Mittelalter" sein soll, ist doch die große Frage.

Dass die Zeiten hart, die Kriege vielzählig und das Stände- / Lehnssystem für weite Teile der Bevölkerung ungerecht war, ist unbestritten. Und wird ebenfalls als Argument für ein "finsteres Mittelalter" genommen.
Zieht aber nicht. Man muss die Entwicklung ja gesamtgesellschaftlich betrachten. Und da kann nun wirklich niemand behaupten, dass in den besagten tausend Jahren neben all den Schatten nicht auch viel Licht da war, zivilisationshistorisch betrachtet.

Ich möchte noch folgende Bemerkungen machen:

Die Inquisition und damit die Verfolgung von Häretikern und Hexen, startete bereits im 13. Jahrhundert. Das ist durchaus Hochmittelalter und nicht nur eine Erscheinung der Neuzeit (wenn auch dort zumindest die Hexenprozesse um ein Vielfaches häufiger waren).

Anders als Mastrodonato es sieht, ging es dem einfachen Mann im Mittelalter durchaus schlechter als zur Zeit des römischen Imperiums.
Denn außerhalb der Städte ("Stadtluft macht frei"), war er in der Regel leibeigen, was keinesfalls besser war als Sklaverei.
Außerdem waren während großer Teile des Mittelalters keinerlei Zugang zu Bildung für einfache Leute gegeben (anders als in Rom), kein Zugang zu medizinischer Versorgung (anders als in Rom) und außerhalb einer Kirchenkarriere kein sozialer Aufstieg (in Rom immerhin möglich, sofern man Bürger war)...
Was wieder für ein "finsteres" Mittelalter sprechen würde.

Aber da es genug Positives gab, könnte man sich ja vielleicht darauf einigen, dass das Mittelalter wie alle historischen Epochen, seine Licht- und Schattenseiten hatte und dass das Leben für die "kleinen Leute" in keiner historischen Epoche leicht war ;-)

Und nochmal ganz klar zur Quellenlage (wie ja schon ausgiebig diskutiert wurde): im Frühmittelalter einfach aufgrund der Militärstaatswesen, in denen Bildung und Dokumentation kaum eine Rolle spielte sehr dürftig.
Später sehr reichhaltig, spätestens seit den Nachfolgern Karls des Großen, die ein weitverzweigtes Verwaltungssystem zu koordinieren hatten.

Eine Bitte noch, Leute: HÖRT DOCH AUF, STÄNDIG WIKIPEDIA ZU ZITIEREN UND ALS QUELLE DER WAHRHEIT ZU BETRACHTEN. Danke
Wer 2017 noch nicht verstanden hat, wie Wikipedia funktioniert und dass man dort nicht nur hervorragend recherchierte Posts findet, sollte die Finger von der Webrecherche lassen ;-)


Mastrodonato  28.03.2017, 15:06

Ein insgesamt sehr guter Beitrag. Findest Du aber wirklich, dass es besser war, Sklave in Rom zu sein als Leibeigener im MA? Der Sklave konnte getötet oder verkauft werden. Natürlich gab es auch Luxussklaven, die es besser hatten. Wahrscheinlich lässt sich auch das nicht über einen Kamm scheren.

Und zu wiki: Natürlich muss man wissen, dass dort alle möglichen Leute schreiben. In der Regel ist das Niveau aber zumindest in nicht allzu kontroversen Themen recht passabel. Dass es nicht in jedem Fall der Weisheit letzter Schluss ist, ist klar, gehört mMn mittlerweile aber zur Allgemeinbildung, das nicht jedesmall erwähnt werden muss. Und dann gibt es bei wiki weitere Quellenverweise.

Und selbst vielgerühmte Historiker sind bisweilen in Ihren Aussagen nicht unumstritten. So gesehen würde ich niemandem verbieten wiki zu zitieren, jedenfalls nicht auf einer Amateurplattform. Immer noch besser, als ganz ohne Quelle zu operieren.

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Prometheus30  13.04.2017, 13:55
@Mastrodonato

Ich weiß nicht, ob man es überhaupt vergleichen muss. Streng genommen ist der Unterschied vom einen zum Anderen reine Makulatur. Denn auch der Leibeigene konnte weiter verkauft werden. Es sind nur unterschiedliche Ausdrücke für letztlich dasselbe System.

Angesichts der katastrophalen hygienischen Bedingungen in den Städten wage ich sogar zu bezweifeln, dass es den freien "einfachen Männern" im MA besser ging als den Sklaven der Antike ;-)

Die Diskussion wird ja häufiger geführt, auch in anderen Kontexten wie der Frage, ob er der Sklave in den Südstaaten der USA seinerzeit schlechter hatte, als der gemeine "Freie" Fabrikarbeiter im Norden... :-)

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Jerne79  28.03.2017, 15:38

Die Inquisition und damit die Verfolgung von Häretikern und Hexen,
startete bereits im 13. Jahrhundert. Das ist durchaus Hochmittelalter
und nicht nur eine Erscheinung der Neuzeit (wenn auch dort zumindest die Hexenprozesse um ein Vielfaches häufiger waren).

Generell stimmt das natürlich. Allerdings war das Ziel im Mittelalter, die Häretiker zurück in den Schoß der Kirche zu führen. Die großen Grausamkeiten (Hexenverbrennungen etc.) gehören aber überwiegend in die Neuzeit und wurden auch mehrheitlich von weltlichen Gerichten verhandelt. Ich habe das zugegebenermaßen in meiner Antwort etwas verkürzt dargestellt, da mein eigentliches Ziel war, den Fragesteller zu eigenem Nachdenken zu bewegen. Das ein oder andere relativierende Wörtchen wäre hier sinnvoll gewesen.

Eine Anmerkung zu mittelalterlichen Lebenswelten: Der Haken ist das Bild, das uns die Geschichtsforschung aufgrund der Rahmenbedingungen vermittelt. In der Archäologie sehen wir sehr deutlich die tatsächlichen Lebensbedingungen. Klar, der unterste Bodensatz der Gesellschaft ist kaum fassbar, wohl aber die bäuerliche Gesellschaft und auch das Leben des normalen Handwerkers. Wir sehen deutlich, was sich auch einfache Familien leisten konnten und allmählich lässt die Überraschung über den oft unerwarteten Lebensstandard zumindest bei uns nach. Leider kommen diese Erkenntnisse nur sehr langsam gegen diverse Fehlvorstellungen an.

Deshalb ist es so wichtig für ein vollständiges Bild einer vergangenen Epoche, nicht immer nur auf die Schriftquellen zu blicken, sondern auch auf den Rest. Dann ist nämlich auch im Frühmittelalter die Situation deutlich besser.

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Mastrodonato  28.03.2017, 22:03
@Jerne79

Wir sehen deutlich, was sich auch einfache Familien leisten konnten und allmählich lässt die Überraschung über den oft unerwarteten Lebensstandard zumindest bei uns nach. Leider kommen diese Erkenntnisse nur sehr langsam gegen diverse Fehlvorstellungen an.

Interessant, Was konnte man sich denn mehr leisten, als was bisher gemeinhin angenommen wurde?

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Jerne79  29.03.2017, 00:06
@Mastrodonato

Ein paar Beispiele aus der Zeit ab dem ausgehenden Hochmittelalter bis ins Spätmittelalter und zum Übergang in die frühe Neuzeit:

Glas und Fleisch gelten als Dinge, die sich nur die besser gestellten leisten konnten. Wir sehen jedoch im archäologischen Befund deutlich, dass dieser angebliche Luxus sich schnell auch in normalen Häusern findet. Ich spreche beim Glas sowohl von Fenster- als auch von Trinkgläsern und das nicht nur in der Nähe der glasproduzierenden Zentren. Beim Glas scheint das allmählich auch durchzusickern, wobei selbst manche Kollegen den Topos noch weitertragen.

Besonders drastisch ist der Unterschied beim offensichtlichen Fleischkonsum. Der gilt in den meisten Kreisen nach wie vor als seltener Genuss, während wir in jeder Grabung massenhaft Tierknochen haben. Auch nicht verwunderlich, wenn man einmal betrachtet, wie viele Häute allein gegerbt, wieviel Vieh teils quer durch Europa getrieben wurde (beispielsweise zigtausend Rinder von Ungarn nach Nürnberg). Hier haben wir sogar die schriftlichen Belege, nur sind die für die meisten Historiker, die sich nicht mit Alltagsgeschichte beschäftigen, nicht interessant. Wir haben Bestimmungen zum Verkauf von Fleisch verschiedener Qualitäten zu verschiedenen Preisen. Nun könnte man geneigt sein, diese Ergebnisse mit den häufigeren Untersuchungen in Stadtkernen zu erklären, aber wo ländliche Siedlungen in Ortskernen (also nicht nur Wüstungen) gegraben und publiziert werden (leider geschieht beides noch viel zu selten, in den Dörfern entkommt dem Denkmalschutz noch viel zu viel), sieht es nicht viel anders aus. Und jetzt können wir in beiden Fällen nur das fassen, was auf den Grundstücken geblieben ist.

Auch vom Gefälle des Lebensstandards zwischen Stadt und Land merken wir in der Archäologie nicht viel. Der häufig postulierte Qualitätsabfall beispielsweise bei der Keramik zwischen Stadt und Land ist im Grunde nicht vorhanden. Einzelne lausig produzierte Ware gibt es in beiden Bereichen, der Rest ist qualitativ nicht unterscheidbar.

Man sehe mir nach, dass ich hier jetzt keine Litanei an Literatur aufliste, es handelt sich hier um die Forschungsarbeit meiner Kollegen genauso wie um meine eigene. In Fachpublikationen finden sich alle genannten Fundgattungen in rauen Mengen, wobei Tierknochen leider zu selten ausgewertet werden, weshalb sie oft unterrepräsentiert erscheinen.

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Jerne79  29.03.2017, 00:29
@Jerne79

Anmerkung: Die zeitliche Rahmen meiner Beispiele ergibt sich aus der Tatsache, dass das mein eigener Forschungsschwerpunkt ist und ich lieber mit Beispielen argumentiere, die ich aus eigener Hand kenne. Das bedeutet keinen Mangel an Beispielen für das Frühmittelalter, aber hier müsste ich mich auf Kollegen und Literatur berufen.

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Schau nach, was Du alles unter Gotik findest: neben Architektur, Plastik, Malerei und Kunsthandwerk. Es gab auch Musik, Tanz und sonstige Vergnügungen mit  Bier und Wein.

Die Leute konnten im Mittelalter auch fröhlich sein.

Technische Weiterentwicklungen und Neuerung, politische Entwicklungen, Vorwürfe wie Hexenverfolgung gehören in die Neuzeit, internationale Handelsverbindungen, tatsächliche mittelalterliche Lebenswelten waren nicht trist, sondern grellbunt.

Um diese Hausaufgabe auszuarbeiten, muss man sich natürlich mit den Themen auseinandersetzen. ;)

Bunte Gewänder, viele Feste, öffentliche Bäder, Minnesang