"Wem wir die Schuld geben, geben wir die Macht." Ist das so?

8 Antworten

"Wem wir die Schuld geben, geben wir die Macht."
Ist das so?

Nein, das ist nicht so.

Ich kenne diesen Spruch und fand ihn schon immer unfassbar dämlich. Das ist wirklich irreführendes Psycho-Gesülze. Nimm dir den Quatsch nicht zu Herzen.

Natürlich kann jemand Schuld an etwas haben und natürlich dürfen wir sie ihm dann auch '"geben", also ihn zur Verantwortung ziehen. Und nein, dadurch erhält er keine Macht.

Im Gegenteil hat doch eher der die Macht, der Wiedergutmachung einfordern kann, als der, der was verbockt hat.


Divanikima 
Fragesteller
 19.10.2021, 16:25

Aber ist da nicht was dran...ich meine, wenn man dauernd z.B. dem Staat die Schuld gibt an seinem schlechten Leben, dann bleibt man ja irgendwie in der Opferrolle und versucht gar nicht mehr selbst etwas zum Positiven zu wenden...

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Kajjo  19.10.2021, 16:30
@Divanikima

Aber was hat das mit "man gibt Macht" zu tun? Das ist für mich nicht stimmig.

Natürlich gibt es dieses Opferdenken und das ist schlimm. Aber das ist doch eine ganz andere Frage als der Titelspruch, oder?

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Divanikima 
Fragesteller
 19.10.2021, 16:31
@Kajjo

Naja, wenn ich anderen (durch Schuldzuweisung) Macht über mich gebe, hab ich meine Verantwortung abgegeben. Die anderen sind ja immer Schuld und ich muss selbst nichts mehr tun.

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Kajjo  19.10.2021, 16:37
@Divanikima

Ich kann diesen Gedanken nicht nachvollziehen. Wieso hat der andere Macht, nachdem er dir was angetan hat? Das verstehe ich einfach nicht. Ergibt Null Sinn für mich.

Jemand nimmt dir beim Autofahren die Vorfahrt. Er hat Schuld daran. Inwiefern hat er jetzt Macht über dich?

Jemand belästigt dich auf dem Weg zur Arbeit, so dass du den Bus verpasst. Er hat Schuld, er hätte dich nicht belästigen dürfen. Inwiefern hat er jetzt Macht über dich?

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Divanikima 
Fragesteller
 19.10.2021, 16:55
@Kajjo

Derjenige, den ich als schuldig sehe, hat Macht über mich, weil er bewirkt, dass ich mich ärgere. Damit gebe ich ihm Macht über meine Gefühle. Wenn ich die Verantwortung bei MIR lasse, dann sehe ich einfach, dass es eine Störung gab und ich bewerte das nicht. Wenn ich dem anderen nicht die Schuld gebe, bin ich auch nicht das Opfer. Ich finde es einfach zu unwichtig, um mich damit zu beschäftigen...

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Kajjo  19.10.2021, 17:05
@Divanikima
hat Macht über mich, weil er bewirkt, dass ich mich ärgere

Das halte ich mit Verlaub für Psycho-Gerede.

Nicht jeder klar erkannte kausale Zusammenhang vergibt deswegen automatisch Macht. Wenn ich mich über kalten Nieselregen ärgere, hat der Regen ja auch keine Macht. Er ist nicht mal ein Objekt, das überhaupt Macht ausüben könnte, geschweige denn eine Person.

Ich halte den umgekehrten Weg für richtig: Sehe ganz geradlinig Kausalität und Verantwortung und unabhängig davon deine Gefühle.

Ja, du darfst dich ärgern. Man sollte Gefühle nie verleugnen oder verdammen. Es ist gut zu erkennen, worüber man sich ärgert. Es ist schlecht, diesen Ärger zu unterdrücken und irgendwelche Psychospiele a la "sonst hat ein anderer Macht" zu treiben. Nein, akzeptiere deine Gefühle. Alle Gefühle.

Wenn man Gefühle schon kontrollieren will oder in der nächsten Stufe beeinflussen will, dann dadurch, dass man sie akzeptiert, genau beim Namen nennt, hinterfragt, die Ursache klärt und dadurch rationalisiert (also der Vernunft unterwirft).

Ich finde es einfach zu unwichtig, um mich damit zu beschäftigen

Wenn das wirklich zuträfe, dann müsste man sich in der Tat weder über den Ärger noch über die Schuld Gedanken machen, weil einen das gesamte Vorkommnis egal wäre.

Aber ist das oft so? Meines Erachtens nicht.

Zurück zur Schuld: Du hast hier jetzt von "sich ärgern" und "Macht" geredet. Da kann ich so gerade eben noch den kausalen Zusammenhang erkennen und sagen:

1 Ja, Person A kann etwas tun und B sich ärgert darüber.
2 Ja, Person A kann absichtlich etwas tun, damit B sich darüber ärgert.

Satz 1 ist neutral. Macht kann ich da keine erkennen. Satz 2 kann man möglicherweise als Macht interpretieren.

Wie kriegst du nun aber die Kurve zu Schuld? Das sehe ich nicht.

Wenn B wirklich etwas tut, um dich zu ärgern, dann hat es mit der Intention von B ("was ist beabsichtigt") zu tun und mit der Rezeption von A zu tun ("wie wird es aufgenommen").

"Jemanden die Schuld geben" ist doch aber schon rein sprachlich nicht auf Satz 2 anwendbar. So würde man das doch nicht ausdrücken, wenn jemand absichtlich Ärger verursacht.

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Divanikima 
Fragesteller
 19.10.2021, 20:29
@Kajjo

Ja, vielleicht sind die Beispiele nicht so passend. Ich gehe da auch nicht so analytisch ran wie du... ist ja auch kein Problem, wenn du mit der Aussage so nichts anfangen kannst. Ich hab den Satz übrigens bei Kurt Tepperwein gelesen. Der ist hoch spirituell. Das ist nicht jedermanns Sache.

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Kajjo  19.10.2021, 20:44
@Divanikima

Ja, ich weiß, der Spruch ist bekannt, aber meines Erachtens trifft er nicht den Kern. Du hast recht, mit Spiritualität und so kann ich wenig anfangen, ich sehe alles eher analytisch und psychologisch.

Wahrscheinlich gibt es Beispiele, bei denen man besser so argumentieren kann, aber im Großen und Ganzen sehe ich es halt nicht so.

Wir haben aber interessante Punkte berührt, wie z.B. Gefühle annehmen oder vermeiden... auch da bin ich eher nicht seiner Meinung.

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Divanikima 
Fragesteller
 20.10.2021, 09:45
@Kajjo

Ich bin übrigens ganz deiner Meinung, dass es gut ist, ALLE seine Gefühle anzunehmen und nicht zu unterdrücken.

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Nicht unbedingt, nein.

Man sollte sich aber nicht im Schuldgeben festbeissen, sondern die Verantwortung fuer sein weiteres leben uebernehmen.

Ja, unter der Annahme, dass mit Schuld eigentlich Verantwortung gemeint ist. Das ist nämlich nicht das gleiche. Wenn dir jemand dein Fahrrad klaut, bist du nicht Schuld, aber du bist verantwortlich für alles was danach passiert.. oder eben nicht passiert. Das ist zwar keine Tautologie, aber m.E. die einzig sinnvolle Lebensweise im Umgang mit den unschönen Dingen, die einem wiederfahren. Demzufolge ist es durchaus legitim dem Schuldigen die Schuld zu geben, aber immer mit dem Hintergedanken, dass man selbst verantwortlich für den Umgang mit der Situation ist. Wer nach dieser Maxime lebt, behält die Macht bei sich und macht sich nicht zum Opfer seiner Umstände, anders als all jene, die jegliche Verantwortung dem Schuldigen zurechnen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Ist es also besser immer selbst die Schuld/Verantwortung zu tragen?

Verantwortung übernehmen ja, aber Schuldgefühle haben nein! Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Das eine nützt dir und macht dich erwachsener, das andere schadet dir und zieht dich nur runter.


Divanikima 
Fragesteller
 19.10.2021, 16:26

...in meinen Augen gibt es sowas wie "Schuld" sowieso nicht.

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Eigentlich ist es eher so: Wem wir die Macht geben, geben wir die Schuld. Denn durch die Demokratie geben wir einigen Repräsentanten Macht, aber wenn sie diese nicht so ausüben, wie wir es uns im Resultat vorstellen, ist es bisher immer so gewesen, dass wir diese verantwortlich machen.


Divanikima 
Fragesteller
 19.10.2021, 16:29

Ja, da ist eindeutig auch was dran...

Aber wenn man z.B. sein ganzes Leben lang seinen Eltern bzw. seiner schwierigen Kindheit die Schuld gibt an seinem jetzigen schlechten Leben, gibt man der Vergangenheit (also in dem Fall den Eltern) die Macht über sein Leben. Sie haben dann immer noch einen riesigen Einfluss...

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JTKirk2000  19.10.2021, 16:32
@Divanikima

Sicherlich, weil man es zulässt und das Resultat, wenn es schlechte Eltern sind, ist, dass man ihnen für die eigene schlechte Kindheit die Schuld gibt. Abgesehen von der Demokratie ist es dasselbe, was schon in meiner Antwort steht.

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