Was hat es evolutionär/biologisch für nen Sinn, dass jetzt Männer und Frauen zusammenleben und versuchen die Liebe zu finden? Bei Schimpansen ist es lockerer?

10 Antworten

Der Mensch ist doch dafür nicht gemacht nur bei einer Frau zu bleiben?

Ironische Frage: Sind Frauen etwa keine Menschen? ;-)

Ob deine Aussage stimmt, werden wir später überprüfen. Zunächst aber wollen wir die Verhältnisse bei unseren haarigen Vettern unter die Lupe nehmen:

Bei Schimpansen ist es lockerer?

Für Gorillas (Gorilla sp.) ist Haremsbildung (Polygynie) typisch, also ein dominantes Männchen (Silberrücken) hat das Paarungsmonopol auf alle Weibchen seiner Gruppe. Der Silberrücken duldet es in keinem Fall, dass ein Weibchen sich mit einem Männchen einer anderen Gruppe paart. Nur in seltenen Fällen gelingt es auch einmal einem untergeordneten Männchen der eigenen Gruppe, sich erfolgreich und vom Silberrücken unbemerkt fortzupflanzen.

Bei Schimpansen (Pan troglodytes) und Bonobos (Pan paniscus) herrscht ein promiskuitives Paarungssystem (Polygynandrie) vor, d. h. die Weibchen paaren sich mit mehreren Männchen und die Männchen paaren sich mit mehreren Weibchen.
Gleichzeitig sind sowohl bei Schimpansen als auch Bonobos Einzelpaarbildungen beobachtet worden. Bei Schimpansen sollen aus festen Paarbindungen sogar mehr Nachkommen hervorgehen als aus promiskuitiven Verbindungen.

Was hat es evolutionär/biologisch für nen Sinn, dass jetzt Männer und Frauen zusammenleben

Warum leben nun Gorillas im Harem, warum herrscht bei Schimpansen Promiskuität vor und was könnte der Vorteil der Monogamie beim Menschen sein? Welches Paarungssystem vorherrscht, hängt v. a. von den unterschiedlichen Fortpflanzungsstrategien der Geschlechter und den herrschenden Umweltbedingungen ab.

Grundsätzlich können Männchen eine zumindest theoretisch viel höhere Anzahl an Nachkommen produzieren als Weibchen. Gleichzeitig investieren sie in den gemeinsamen Nachwuchs viel weniger als die Weibchen. Ich habe das an anderer Stelle schon ausführlicher beschrieben und verweise deshalb auf meine anderen Antworten, wenn du auf meiner Profilseite ins Suchfeld Anisogamie eingibst, wirst du fündig.

Es ist nicht schwer, daraus abzuleiten, dass Weibchen und Männchen gut beraten sind, wenn sie unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien verfolgen. Da Weibchen nur eine begrenzte Anzahl an Nachkommen zeugen können und mehr investieren, sind sie gut beraten, alles dafür zu tun, dass ihre Nachkommen a.) die besten Startvoraussetzungen bekommen (z. B. den genetisch "besten" Vater) und b.) auf jeden Fall groß werden.
Männchen hingegen können ihre biologische Fitness am einfachsten maximieren, indem sie so viele Nachkommen wie möglich zeugen. Für ein Männchen ist es also prinzipiell erst einmal "klug", nicht monogam zu sein.

Ob sich nun ein Harem oder ein promiskuitives Paarungssystem ausbildet, hängt davon ab, ob die Umwelt es den Männchen erlaubt, die Weibchen zu monopolisieren oder nicht. See-Elefanten-Weibchen (Mirounga sp.) beispielsweise müssen zur Fortpflanzung an Land gehen, weil sie ihre Jungen an Land bekommen. Daher können die Bullen die Weibchen sehr leicht monopolisieren, indem sie einfach ein Territorium am Strand für sich beanspruchen und gegen andere Bullen bis aufs Blut verteidigen.
Auch Gorilla-Silberrücken können die Weibchen leicht monopolisieren. Unter allen Großen Menschenaffen ernähren sich Gorillas am meisten von grünen Pflanzenteilen wie Blättern. Die Nahrung der Gorillas wächst daher überall und zur Nahrungssuche müssen die Gorillaweibchen keine weiten Strecken zurücklegen. Oft bewegt sich eine Gorillagruppe pro Tag nicht einmal 500 m weit weg.

Schimpansen hingegen ernähren sich eher von Früchten, Wurzeln, Knollen, gelegentlich auch Insekten und Fleisch. Das ist allesamt Nahrung, die weit verstreut ist. Weibchen müssen daher jeden Tag auf der Nahrungssuche weite Strecken zurücklegen und können von den Männchen nicht monopolisiert werden. Deshalb hat sich bei ihnen das promiskuitive Paarungssystem in einer Vielweibchen-Vielmännchengruppe durchgesetzt.
Promiskuitiv zu sein hat im Fall der Schimpansen aber nicht nur für die Männchen einen Vorteil, sondern auch für die Weibchen. Man hat in Schimpansengruppen Infantizid beobachtet: fremde Männchen töten manchmal den Nachwuchs eines anderen Männchens, um zu erreichen, dass das Weibchen schneller wieder fruchtbar wird und um sich dann selbst mit ihm zu paaren. Indem ein Weibchen sich mit vielen Männchen seiner Gruppe paart, verschleiert es die Vaterschaft und verringert so das Infantizidrisiko - kein Männchen würde schließlich das Risiko eingehen, ein Junges zu töten, das möglicherweise sein eigenes ist. Außerdem profitiert ein Weibchen auch von "Brautgeschenken", die es von seinen vielen Verehrern erhält (z. B. Nahrungsgeschenke) und kann damit seine Fekundität erhöhen.

Auch unsere eigenen Vorfahren lebten, genau wie Schimpansen, in Vielfrauen-Vielmänner-Gruppen. Warum gibt es beim Menschen dann aber die Tendenz zur zumindest zeitweiligen Monogamie? Das liegt an einem entscheidenden Unterschied in der Aufzucht der Nachkommen.

Die ist bei Schimpansen ausschließlich Sache der Weibchen. Das Männchen zeugt die Nachkommen, kümmert sich danach aber nicht mehr um seinen Nachwuchs.

Genau das ist beim Menschen anders. Hier ist die Mithilfe des Vaters erforderlich, weil Menschenkinder viel hilfsbedürftiger sind als Schimpansenkinder. Ein neugeborenes Menschenkind ist im Vergleich mit einem gleichaltrigen Schimpansenkind in seiner Entwicklung deutlich weiter zurück. Nach seiner Geburt kann ein Schimpansenkind sich schon selbstständig im Fell seiner Mutter festhalten, das Köpfchen heben und selbstständig die Zitze der Mutter aufsuchen. All das können Menschenbabies nicht. Ohne die Unterstützung durch den Vater würden viele Menschenkinder nicht überleben. Man darf nicht vergessen, dass es in der frühen Phase unserer Vorfahren keinen Sozialstaat gab, der Alleinerziehende unterstützte. Halbwaisen hatten in der Steinzeit eine viel niedrigere Überlebenswahrscheinlichkeit als Kinder, die noch beide Elternteile hatten. Aus diesem Grund ist beim Menschen auch der Mann gut darin beraten, seine Familie zu unterstützen.

Dieser Umstand mag das Entstehen zumindest zeitweiliger Monogamie beim Menschen gefördert haben. Die Frau hat aus oben genannten Gründen berechtigtes Interesse daran, dass ihr Partner bei ihr bleibt und sie beim Großziehen der Kinder unterstützt. Gleichzeitig verhindert die Monogamie, dass der Vater sich noch um ein anderes Kind mit einer anderen Frau kümmern muss, denn die Fürsorge, die der Vater dort investieren würde, würde ihrem eigenen Kind ja dann fehlen. Umgekehrt hat aber auch der Mann ein Interesse daran, dass seine Frau monogam bleibt - das soll verhindern, dass die Frau ihm ein "Kuckuckskind" unterschiebt, er also in Nachwuchs investiert, der eigentlich gar nicht seiner ist.

Kehren wir nun noch einmal zur Ausgasngsfrage zurück, stellen sie aber diesmal ein bisschen wertungsfreier:

Der Mensch ist doch dafür nicht gemacht nur bei einer Partnerin bzw. einem Partner zu bleiben?

Ist das wirklich so?

Nun, die wirklichen Verhältnisse sind beim Menschen extrem komplex. Man hat verschiedene menschliche Kulturen weltweit untersucht und dabei festgestellt: in der Mehrheit der Kulturen (83 %) herrscht Haremsbildung vor, gefolgt von Monogamie (16 %) und in nur einem Prozent der Fälle kommt auch Polyandrie vor, d. h. eine Frau hat mehrere männliche Partner. Ausgerechnet Promiskuität kommt in den menschlichen Kulturen fast gar nicht vor, wenn überhaupt, dann nur in einigen Subkulturen. Das eine Paarungssystem beim Menschen gibt es also gar nicht.

Welches Paarungssystem sich durchgesetzt hat, ist u. a. von der Kultur abhängig und, wie so oft, auch stark von der Umwelt. Die gleichen oben für See-Elefanten und Gorillas angestellten Überlegungen gelten natürlich auch für Kulturen, in denen Haremsbildung beim Menschen üblich ist.
Einen großen Harem kann sich in diesen Kulturen nur der leisten, der die Frauen monopolisieren kann, d. h. der es sich "leisten" kann, sich viele Frauen zu halten und für all seine Nachkommen sorgen kann. Bei den Massai in Ostafrika ist die Anzahl der Frauen, die ein Mann haben kann, beispielsweise von der Größe seiner Rinderherde abhängig. Je mehr Rinder ein Mann hat, umso reicher ist er und umso mehr Frauen kann er sich "leisten". Auch im arabischen Raum hatten nicht alle Männer einen großen Harem, sondern nur Sultane und andere Adelige, die es sich leisten konnten. Für die Mehrheit der Männer galt das nicht, weshalb sie auch nur mit einer Frau verheiratet waren.

Auch die Polyandrie in einigen Regionen Tibets hat einen ökologischen Grund: die Landschaft dort ist extrem karg. Ein Bauer allein kann kaum für den Lebensunterhalt eines Kindes sorgen. Die Frau hat deshalb oft mehrere Männer, die gemeinsam zum Großwerden des Nachwuchses beitragen, oft sind die Männer Brüder oder anderweitig miteinander verwandt.

In unserem Raum hat sich Monogamie durchgesetzt, was sicher einfach zufällig geschehen ist als Folge der Kultur. Die ist bekanntlich christlich-abendländisch geprägt. Das Christentum verbietet die "Vielweiberei" aber ausdrücklich, diese kulturelle Prägung hallt bis heute nach, auch wenn heute nur noch die allerwenigsten streng nach der Bibel leben oder sogar überhaupt nicht mehr christlich sind. Für viele in unserem Kulturkreis ist etwas anderes als eine "normale" Paarbeziehung nicht vorstellbar, nur allmählich setzen sich andere Beziehungsmodelle wie offene Beziehungen oder Polyamorie durch und das auch eher in der jüneren, aufgeschlosseneren Generation.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Evolution basiert auf der reinen Fortpflanzung und - wie Du schon richtig erkannt hast - auf der möglichst breiten Streuung eines Gen-Pools.

Liebe kommt in der Evolution nicht vor und steht dieser zumindest entgegen. Denn sie verhindert gerade die breite Streuung.

So zumindest die Evolutionstheorie - welche (ACHTUNG SPOILER) immer noch nur eine Theorie ist. Diese wird zwar von vielen Fakten gestützt - von manchen aber auch wiederum nicht.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Menschlichkeit ist mein persönlicher Grundsatz!
Was hat es evolutionär/biologisch für nen Sinn, dass jetzt Männer und Frauen zusammenleben und versuchen die Liebe zu finden?

Es gibt keinen. Jedenfallls nicht in der Form der schwülstigen "DIE 'große' Liebe fürs ganze Leben", geschweige denn vom religiösen Gebot "Bis dass der Tod uns scheidet".

Was es evolutionär gibt, ist eine zeitweise Paarbindung. Der Mensch ist keine monogame, sondern eine seriell monogame Spezies. D.h., er lebt zwar (mehr oder weniger "offiziell") monogam (und "inoffiziell" eben ggf. nicht - wie andere angeblich "monogame" Spezies auch), das aber nicht unbedingt lebenslang mit demselben Partner/derselben Partnerin.

Grundsätzlich sind wir, wie andere Primaten auch, Rudeltiere. D.h., auch um den Nachwuchs kümmert sich ggf. die ganze Gruppe. Aber trotzdem ist der Kontakt zu engen Bezugspersonen/Eltern bei uns natürlich besonders sinnvoll.

Du kennst vielleicht den Begrif "Das verflixte 7. Jahr"?

Für die Paarbindung (und ein paar andere Dinge), ist Oxytocin verantwortlich. DAS treibt uns in die Beziehung. Evolutionärer Sinn: Beide Elternteile sollen bei der doch vergleichsweise langen Aufzucht des Nachwuchses helfen, bis der einigermaßen selbständig sind. Und das ist ungefähr mit 7 der Fall.

Fazit: Für die evolutionär erwünschte genetische Abwechslung ist gesorgt, weil Menschen/Tiere ohnehin "fremdgehen". Dass es "Liebe" gibt (wie auch "Verliebtheit"), dafür sind schlicht (unterschiedliche) Neurotransmitter verantwortlich.

Reflektiere erstmal, dass du selbst eine vollkommen polarisiert dümmliche Meinung hast: "Der Mensch ist doch dafür nicht gemacht, nur bei einer Frau zu bleiben?"

Für dein Gehirn ist ja der Mensch mit seinem Welt- und Menschenbild ganz offensichtlich ausschließlich der Mann bzw. das männlich dominante, sich immer distanzierende Gehirn. Damit bist du ein antiquierter Vertreter des Jahrtausende alten Patriarchats, mehr eben nicht. Da fehlt noch sehr viel Bildung.

Der evolutionäre Sinn der allumfassenden Liebe (z. B. Nächstenliebe, Feindesliebe, geschlechtliche Liebe, Liebe zu den Kindern - Liebe zu den Eltern, Tierliebe, Liebe zur Natur) der Menschen ist zum Beispiel, dass der Mensch die Erde nicht zerstört, weil er sie für eine Zukunft erhalten will. So einfach ist das.


wiesocu 
Fragesteller
 01.01.2022, 14:36

„Der Mensch ist doch dafür nicht gemacht, nur bei einer Frau/einem Mann zu bleiben“

Jetzt besser?

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Nein, biologisch hat das keinen Sinn. Am besten jeder mit jedem. Wer treu ist, ist blöd. ich verstehe es auch nicht, warum jemand 25 jahre, 50 Jahre, zusammen ist.

Wer ein bisschen nachdenkt, weiß, das das nicht ernst gemeint ist. Ja, es ist biologisch und evolutionär von Vorteil. Nicht moralisch, oder aus religiösen Gründen. Einzig aus evolutionären Gründen.