Warst du gerne Junger Pionier?

Das Ergebnis basiert auf 13 Abstimmungen

Andere Möglichkeit 46%
Nein 38%
Ja 15%
Es war eben Pflicht 0%
Bin ich heute noch 0%

5 Antworten

Von Experte Udavu bestätigt
Nein

Zu Beginn war ich furchtbar stolz auf mein blaues Halstuch. Das war aber nur deshalb so, weil man uns belogen hat. Die Lehrer haben uns erzählt, dass es eine ganz besondere Auszeichnung wäre, wenn wir Pioniere werden. Wir musste sogar die Erlaubnis der Eltern einholen. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Meine Eltern waren davon nämlich überhaupt nicht begeistert. trotzdem haben sie mir keine Steine in den Weg gelegt, weil sie genau wussten wie der Hase läuft. Denn alle Eltern, die ihren Kindern nicht die Erlaubnis gaben, konnten dadurch ins Visier der Stasi geraten. Das war nicht zwingend der Fall, aber die Möglichkeit bestand durchaus.

Beim ersten Pioniernachmittag habe ich dann gemerkt, was es wirklich heißt, ein Pionier zu sein. Da saßen die gleichen Leute, wie in der Schule. Es war also nichts, mit der Auszeichnung. Denn kein einziger fehlte und vorn stand die Lehrerin, genau wie immer. Die hat uns erzählt, wie toll der Sozialismus ist. Dabei musste man nur aus dem Fenster sehen und konnte sich so überzeugen, dass der Sozialismus eine einzige Katastrophe war.

Eigene Ideen waren bei den Pionieren nicht erlaubt. Wir sollten nur das nachbeten, was uns gesagt wurde. Der Sozialismus war toll und der Kapitalismus war abgrundtief schlecht. Alles was von dort kam, wurde verdammt.

Dabei rochen die Pakete, die mein Onkel uns aus dem Westen schickte, immer so herrlich. Da waren Sachen drin, die es in der ach so tollen DDR nicht gab. Für mich war da jedes Jahr eine neue Jeans drin. Damit war ich der König der Klasse und wurde von allen beneidet. Denn die wenigsten hatten Verwandte im Westen und selbst diejenigen, die welche hatten, bekamen nicht jedes Jahr eine Jeans, die auch noch perfekt passte.

Kurz, der Anspruch und die Wirklichkeit klafften meilenweit auseinander. Pionier zu sein, hatte nach einem Monat keine Bedeutung mehr für mich und nach einem Jahr habe ich das Halstuch gehasst. Es stand für den gesamten Unsinn, dem ich in der DDR ausgeliefert war. Es stand für all die leeren Phrasen, die dumme Ideologie, die über den gesunden Menschenverstand gestellt wurde. Es stand für die Unfreiheit des Denkens, für den Maulkorb, den wir in der Schule tragen mussten. Nie durften wir uns verplappern und irgend etwas erzählen, was unsere Eltern oder uns selbst in Schwierigkeiten bringen konnte.

Als wir dann von Pionieren zu FDJ-lern werden sollten, konnten wir das verhasste blaue Tuch endlich ablegen. Dafür mussten wir jetzt ein blaues Hemd tragen. Das war noch viel unangenehmer. Ich habe dieses Ding gehasst und bei mir war es angeblich ständig in der Wäsche. So musste ich es nicht tragen. Dafür haben ich mir immer wieder einen Rüffel eingefangen, aber sollte ich etwa in einem dreckigen Blauhemd zu den Veranstaltungen gehen? So ging dieser Kelch immer wieder an mir vorüber, bis wir endlich die Schule verlassen konnten und die FDJ keine Macht mehr über uns hatte.

Diese ganze Ideologisierung hat die jungen Leute nicht in die Arme des Staates getrieben, sondern das genaue Gegenteil bewirkt. Diese Symbole der Partei waren für mich eine schlimme Last, die ich nur sehr widerwillig getragen habe.

Meine Jeans hingegen habe ich mit Stolz getragen und wenn ich doch mal gezwungen war, das Halstuch oder das Blauhemd zu tragen, dann nie ohne meine Jeans. Das war immer mein Kontrapunkt, zur Ideologie der Partei.

Einmal wurde ich nach Hause geschickt, weil diese Hose angeblich nicht zum Blauhemd passte. Ich bin tatsächlich nach Hause gegangen, kam aber mit der gleichen Jeans zurück. Dort habe ich dann erzählt, dass ich keine andere Hose hätte. Das war sogar die Wahrheit. Ich besaß nicht eine einzige Hose aus DDR Produktion und so musste unser Lehrer es wohl oder übel dulden, dass ich in Jeans und Blauhemd da saß und mich langweilte.

Udavu  03.09.2023, 18:01

Es geht doch nichts über Zeitzeugen.

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JamesBaxter  06.09.2023, 12:37

Wow echt heftig... ich hätte nicht gedacht das es damals dort so schlimm war. Danke für den Einblick.

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holjan  14.09.2023, 07:06

Klingt als hätte man dir große Erwartungen gemacht.

Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, das bzw. ob uns da irgendwer den Beitritt schmackhaft geredet hat.

Ehrlich gesagt erinnere ich mich gar nicht daran, überhaupt gefragt worden zu sein. Erwartungen hatte ich entsprechend keine.

Die Pioniernachmittage liefen bei uns etwas anders ab, als es bei dir der Fall gewesen zu sein scheint. Bei uns hatte das eher was von einer Spiel- und Bastelstunde. Wandzeitungen, Girlanden, Wimpel, Grußkarten, Osterschmuck, Adventskalender, Friedenstauben etc....wurden da gebastelt. Meistens gab es Kekse und Tee und manchmal wurde ein kleines Theaterstück einstudiert oder Kinder, die Musikinstrumente beherrschten gaben eine Einlage.

Alle Jubeljahre wurde der Pioniernachmittag dann auch für einen Besuch bei der Patenbrigade genutzt oder man ging in ein Altenheim und führte da ein Programm auf. Dafür mussten wir dann die volle Pionierkleidung mitbringen. Ansonsten reichte das Halstuch.

Ich fand das ok - weder besonders aufregend, noch besonders ätzend.

Ich hatte ne Großtante in Westberlin, die Pflegekinder hatte, die 1-2 Jahre älter waren als ich und die deren zu klein gewordene Klamotten quasi regelmäßig bei uns ablud. Kurzum - Jeans und Co. gehörten auch bei mir zur Standardbekleidung. Ein Problem war das allerdings zu keiner Zeit gewesen.

Einzig die Plastiktüten von Kaisers und Co. mussten umgedreht werden, damit kein Logo zu sehen ist. Ansonsten war man zu meiner Zeit (da ich nicht mehr FDJler wurde, scheinst du wohl auch ein paar Jahre älter zu sein) schon recht entspannt, was so Zeug aus dem Westen anging.

Bis auf die expliziten Pioniernachmittage, fällt mir ehrlich gesagt auch nichts ein, dass jetzt das Pionier-Sein irgendwie ausmachte.

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Fuchssprung  14.09.2023, 07:16
@holjan

Als ich Pionier wurde, hatte Kaisers noch keine Plastiktüten.

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holjan  14.09.2023, 07:18
@Fuchssprung

Ok, dass erklärt vermutlich das deutlich strengere Anti-West Klima während deiner Schulzeit.

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Fuchssprung  14.09.2023, 10:35
@holjan

Das lag aber auch an den einzelnen Lehrern. Da waren echte Stalinisten dabei.

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Bricoleur  24.04.2024, 10:20

Da wäre noch mindestens ein Sternchen zu vergeben.

1
Andere Möglichkeit

Ich persönlich, nein.

Ganz grundsätzlich gesprochen. Massenorgas sind im sozialistischen Staatsaufbau ein Mittel der demokratischen Mitbestimmung und dementsprechend notwendig.

Bezüglich Jugendorganisationen macht es natürlich Sinn für die Partei eine zu haben, genau so, wie es bei für die Parteien in liberalen Demokratien Sinn macht über solche zu verfügen um den Parteinachwuchs zu fördern. Ich halte allerdings nichts davon, sie gezielt zu Massenorgas auszuweiten. Das ist sollte unter "normalen Umständen" nicht notwendig sein.

IanGaepit  06.09.2023, 13:02

Kleine Hinweis, ich habe "wärst" anstatt "warst" gelesen. Ich war natürlich nie Jung Pionier, komme auch nicht aus den "neuen Ländern."

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Andere Möglichkeit

Gerne - nicht gerne - es war eben so. Es hat dazugehört.

Rückblickend waren Bluse, Halstuch und Käppi für alle 100x besser als das Mobbing heute wegen fehlender Markenklamotten, die sich die Eltern nicht leisten können oder wollen.

Andere Möglichkeit

Damals war es eine Selbstverständlichkeit, keine Pflicht.

Selber hatte man in dem Alter nicht das nötige Wissen um das ganze zu hinterfragen. Und als Kind fühlte man sich natürlich gut dabei dazu zu gehören. Der Zusammenhalt, Sportveranstaltungen oder Pionierlager waren natürlich schön und machten Spaß.

Das man selber vom Staat instrumentalisiert und auf Linie gebracht wurde, war einem natürlich nicht bewusst. Sofern die Eltern das ganze mit trugen war man mit Spaß dabei.

Udavu  03.09.2023, 18:09

Es geht doch nichts über Zeitzeugen.

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JMJreboot  03.09.2023, 18:20
@Udavu

Bis zum Thälmann Pionier ging es, den FDJ Beitritt umging ich kurzzeitig bis zum Ende.

2
Nein

Weder Pionier noch in der FDJ. Somit bin ich der Beweis, das es kein Muss gewesen ist und das hat mir jedenfalls beruflich nicht geschadet, denn mein Gebiet ist das Handwerk gewesen. Nur nach der Wende wurden unsereins sonst was nachgesagt, nur weil ich nicht in Sack und Asche ging, zumal noch richtige Autos fuhr. So ist das, diese Art zu schreiben wird hier wenig geliebt, es entspricht nicht dem Mainstream.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Nunuhueper  03.09.2023, 15:00

Die Gnade der "früheren Geburt" kam so jedem zugute. Erst ab dem 50- er Geburtsjahrgang mussten die Erstklässler das blaue Halstuch tragen.

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zetra  03.09.2023, 20:38
@zetra

Wie ist das denn mit der FDJ gewesen, denn meines Wissens nach , ist mein Sohn nicht bei der FDJ gewesen?

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