Philosophischer Determinismus / Willensfreiheit

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Was unter Determinismus bzw. dem Ausdruck „determiniert“ verstanden wird, verdient Aufmerksamkeit und hat Bedeutung.

Im Zusammenhang mit dem Thema „Willensfreiheit“ geht es im Kern um eine Determiniertheit (Bestimmtheit), bei der etwas auf zwangsläufige Weise notwendig ist. Wenn etwas nur irgendwie bestimmt ist, könnte dies auch auf das Vorliegen von Einflüssen beschränkt sein, die aber ein Geschehen nicht vollständig bestimmen und unausweichlich festlegen. Das Vorliegen solcher Einflüsse schließt Freiheit von Personen in ihrem Wollen nicht aus.

Determinismus ist eine Lehre von einem völlig notwendigen, sich zwangsläufig vollziehenden Ablauf. Ein Spielraum für menschliche Freiheit beim Wollen bleibt nicht. Es gibt damit keine offene Zukunft (nur praktische Schwierigkeiten der Berechnung schränken die Vorhersehbarkeit aus).

Ein verbreiteter Ansatz dazu ist eine Notwendigkeit, die sich aus Anfangsbedingungen und Naturgesetzen ergibt. Eine Gesetzesauffassung von Kausalität als durchgängig streng allgemein und notwendig wird vertreten. Eine andere Art von Verursachung (Ursachen/Gründe, bei denen Freiheit vorkommen kann) wird nicht erörtert oder abgelehnt.

Äußerungen sind oft in Aufsätzen und Artikeln erscheinen. Eine Anzahl meist kürzerer Beiträge enthält ein Sammelband:

Hirnforschung und Willensfreiheit : zur Deutung der neuesten Experimente. Herausgegeben von Christian Geyer. Originalausgabe. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2004 (Edition Suhrkamp ; 2387). ISBN 3-518-12387-4 (von philosophischer Seite Stellungnahmen von Reinhard Brandt, Thomas Buchheim, Otfried Höffe, Hand-Peter Krüger, Bettina Walde, Lutz Wingert)

Die Empfehlungen beziehen sich teilweise eher darauf, die vorkommenden (nicht immer überzeugenden) Argumentationen in ihrer Vielfältigkeit einzubeziehen.

  • Standpunkt einer Bejahung der Existenz Freiheit bei der Willensbildung von Personen (zum Teil Libertarianismus bzw. Libertarismus genannt), von dem die weitgehendendsten philosophischen Einwände gegen Deutungen mit deterministischen Folgerungen – die Benjamin Libet selbst nicht vertreten hat - aus Experimenten kommen

hilfreich und gut geeignet:

Geert Keil, Willensfreiheit. Berlin ; New York. de Gruyter, 2007 (Grundthemen Philosophie). ISBN 978-3-11-019561-3 ( 6. Willensfreiheit und Hirnforschung S. 154 – 191)

Anscheinend ist dazu gerade eine Neubearbeitung herausgekommen:

Geert Keil, Willensfreiheit. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin ; Boston, Massachusetts : de Gruyter, 2013 (Grundthemen Philosophie). ISBN 978-3-11-027947-4 (6. Willensfreiheit und Hirnforschung S. 179 – 216)

vom gleichen Autor auch sehr empfehlenswert, wenngleich mehr die grundlegende philosophische Problematik beleuchtet wird und einzelne neurowissenschaftliche Experiment nur kurz behandelt werden, mit einer kommentierten Bibliographie (nach philosophiegeschichtlichen Epochen gegliedert und Schlüsselbegriffen:

Geert Keil, Willensfreiheit und Determinismus. Originalausgabe. Stuttgart : Reclam, 2009 (Reclam-Taschenbuch : Grundwissen Philosophie ; Nr. 20329). ISBN 978-3-15-020329-3

Gottfried Seebaß, Handlung und Freiheit : philosophische Aufsätze. Tübingen : Mohr Siebeck, 2006. ISBN 3-16-148853-9

Brigitte Falkenburg, Mythos Determinismus : wieviel erklärt uns die Hirnforschung? Berlin : Springer, 2012. ISBN 978-3-642-25097-2 (Grundthese: Die Ergebnisse der neueren Hirnforschung liefern zwar Erkenntnisse über biologische Grundlagen der Existenz, zwingen uns aber nicht dazu, unser Selbstverständnis als vernünftige Lebewesen mit einem freien Willen komplett zu revidieren (vollständig abzuändern))

Thomas Fuchs, Das Gehirn - ein Beziehungsorgan : eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart : Kohlhammer, 2010. ISBN 978-3-17-021442-2 (der Autor ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und hat Medizin, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte studiert)

  • an der Grenze zwischen einem libertarischen Standpunkt und Kompatibilismus

Julian Nida-Rümelin, Über menschliche Freiheit. Stuttgart : Reclam, 2005 (Reclams Universal-Bibliothek ; NR. 18365). ISBN 3-15-018365-0

  • Standpunkt eines Kompatibilismus (Vereinbarkeit von Determinismus und Willensfreiheit, wobei eine Schwierigkeit ein Minimalkonzept von Freiheit ist, weil der Inhalt des Begriffes eine zusammengeschrumpfte Freiheit ist, von der sehr fragwürdig ist, ob sie für das im Freiheitsverständnis gewöhnlich Gemeinte noch wirklich tragfähig ist)

Michael Pauen, Illusion Freiheit? : mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung. 2. Auflage. Frankfurt am Main : Fischer, 2005. ISBN 3-10-061910-2


Albrecht  04.02.2013, 02:35

Michael Pauen/Gerhard Roth, Freiheit, Schuld und Verantwortung : Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit. Freiheit, Schuld und Verantwortung : Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit. Originalausgabe. 2. Auflage. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2010 (Edition Unseld ; Band 12). ISBN 978-3-518-26012-8

Bettina Walde, Willensfreiheit und Hirnforschung : das Freiheitsmodell des epistemischen Libertarismus. Paderborn : Mentis-Verlag, 2006. ISBN 978-3-89785-575-5

Ansgar Beckermann, Gehirn, Ich, Freiheit. : Neurowissenschaften und Menschenbild. 2., unveränderte Auflage. Paderborn : Mentis, 2010. ISBN 978-3-89785-619-6

  • freiheitsskeptisch, aber das Problem als nicht abgeschlossen beurteilend und insgesamt wohl zu einer Variante des Kompatibilismus neigend:

Ulrich Pothast, Freiheit und Verantwortung : eine Debatte, die nicht sterben will - und auch nicht sterben kann. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Klostermann, 2011 (Klostermann Rote Reihe ; Band 42). ISBN 978-3-465-04130-6

  • harter/strenger/radikaler Determinismus (damit eine Vielfalt von Standpunkten in der Facharbeit berücksichtigt ist)

Ted Honderich, On determinism and freedom. Edinburgh : Edinburgh University Press, 2005, S. 71 - 95

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Oberfrosch  04.02.2013, 11:46

Seebaß ist zensiert (ich war sehr lange in Konstanz, wo Seebaß bei Kollegen und Studenten so total durchgefallen ist ...).

Bedenkenswert ist Michael Esfeld, Philosophie des Geistes. Eine Einführung, Bern 2005 (Esfeld ist einer der wenigen, die den physikalischen Hintergrund einschließlich quantenphysikalischer Hypothesen wirklich versteht. Die Zustände von Quantensystemen sind nämlich nur statistisch determiniert. Nida-Rümelin äußert sich gaaanz kurz zu physikalischer Determinierung, aber die Seiten machen den Eindruck, als habe ihm einer gesagt, er solle doch auch mal zum Zufall in der Physik einbauen.)

Libet selbst ist übrigens total daneben. Dazu die letzten 6 Kapitel in Machamer, Peter K., Gereon Wolters, Thinking about causes, Pittsburgh-Konstanz Colloquium in the Philosophy of Science (Juli, 2005), Konstanz. Einer der Vortragenden, ich weiß aber nicht mehr, wer es war, ist auf fundamentale Mängel bei Libet eingegangen.

Vorgetragen hat im Juli 2005 auch Henrik Walter, der aber nicht mehr getan hat, als seine Diss. zusammenzufassen, die im Koreferat von Wolfgang Spohn scharf kritisiert wurde ("I can sense the wriggling strategy of the book"). Andererseits: Henk Walter leitet mittlerweile einen Teil der Neurophysik an der Charite und kennt sich mit den physikalischen Grundlagen gut aus. Seine Diss. ist mittlerweile auch ins Englisch übersetzt. D.h. wenn Du eine Bibliothek in der Nähe hast, schau mal ins Buch und lies halt nur das Kapitel, was relevant klingt.

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Albrecht  05.02.2013, 02:40
@Oberfrosch

Ich bin kein großer Anhänger von Zensur.

Mir ist nicht klar, warum nicht einfach die deutsche Fassung herangezogen werden sollte.

Henrik Walter, Neurophilosophie der Willensfreiheit : von libertarischen Illusionen zum Konzept natürlicher Autonomie. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1998. ISBN 3-506-73241-2

Das Buch wird, wie ich festgestellt habe, unter anderem erwähnt in dem Überblick zum Thema Willensfreiheit bei Felix Tretter und Christine Grünhut, Ist das Gehirn der Geist? : Grundfragen der Neurophilosophie. Göttingen ; Bern ; Wien ; Paris ; Oxford ; Prag ; Toronto ; Cambridge, Massachusetts ; Amsterdam ; Kopenhagen ; Stockholm. Hogrefe, 2010, S. 195 - 230

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Ein sehr lesenswertes Buch ist "jenseits von gut und böse" von Michael Schmidt Salomon. Das Kapitel über Willensfreiheit umfasst nur 40 Seiten.

SEHR zu empfehlen: das kurze Taschenbuch des jungen Berliner Philosophen

Geert Keil: "Willensfreiheit und Determinismus" (Reclam "Grundwissen Philosophie" Band 20329. - Stuttgart 2009. Reiner Text nur 111 Seiten!)

S. 116: "Die Hirnforschung hat aus eigenen MItteln nichts Relevantes zum philosophischen Freiheitsproblem beizutragen" - ja nicht einmal "Interessantes für die zentralen Probleme der philosophischen Freiheitsdebatte" geliefert (S. 117. - Die Begründung dieser Ergebnisse umfasst nicht einmal zwei Seiten [116 unten -118 oben] und stellt gleichzeitig eine Zusammenfassung des Gehalts des Büchls dar. Auf die Experimente von Benjamin Libet, der übrigens seine Ergebnisse selbst nie[!] deterministisch interpretiert hat, kommt Keil dabei nur am Rande zu sprechen, weil es methodisch auf die Voraussetzungen ihrer Deutung ankommt - und im Hinblick auf die weist er Hirnforschern in vielen Punkten weitgehende Unkenntnis oder schlichtes Mißverstehen - sogar von naturwissenschaftlichen Begriffen - nach!)

PS: "Determinismus" umschreibt Keil übrigens unter den "Schlüsselbegriffen" auf S. 133 denkbar knapp wie folgt: "Lehre, dass der gesamte Weltlauf durch Naturgesetze und die Anfangsbedingungen (alternativ: durch Gott oder durch das Schicksal) ein für alle Mal festgelegt ist."

Für Hume ist der Mensch determiniert, das ändert aber an seiner Freiheit nichts, weil ein durch nichts bestimmter Wille keine Grundlage für freie Entscheidungen sein könnte (Peter Bieri geht in seinem Buch "Das Handwerk der Freiheit" auch darauf ein, ich fand es ein sehr verständlich geschriebenes Buch, das mir einen neuen Blick auf die Thematik ermöglicht hat). Rousseau führt die Suche nach der Freiheit auf eine Suche nach einem funktionierenden Gesellschaftssystem zurück: jeder ist nicht determiniert, gibt aber einen Teil seiner Freiheit für das Gemeinwohl auf. Für Schopenhauer ist der Wille determiniert, man hat aber Handlungsfreiheit, weil es dabei darum geht, den eigenen Willen (ob frei oder nicht) in die Tat umzusetzen. Laplace hat den sog. laplaceschen Dämon aufgefahren, der die vollkommen determinierte Welt bis ins Detail berechnen kann. Für Nietzsche ist Willensfreiheit nichts als ein Irrtum und der Mensch vom Willen zur Macht abhängig.
Im 20. Jahrhundert dreht sich der Streit vor allem um die Vereinbarkeit von Determinismus und Freiheit, es gibt die Inkompatibilisten, die das ablehnen, und die Kompatibilisten, die eine Vereinbarkeit annehmen. Strawson ist einer der letzteren. Es gibt Kompatibilisten, die das Libet-Experiment kritisiert haben (auch methodisch), aber wer genau was dazu gesagt hat, weiß ich nicht.

Mit diesen Stichwörtern solltest du schonmal was anfangen können, in einem philosophischen Lexikon findest du bestimmt noch mehr und auch Literaturangaben.


berkersheim  04.02.2013, 02:46

David Hume ist als Epikureer kein Determinist im demokritischen Sinn. Die Tatsache, dass es Wechselwirkungen gibt (die wir großenteils sehr ausschnitthaft deuten) bedeutet nicht, dass sie einander eindeutig festgelegt verursachen und starre Wirkketten bilden. Für Hume als Aufklärer und Humanisten bleibt in dem Geflecht für jeden Menschen genügend Raum, sein Stück Eigenverantwortung wahr zu nehmen.

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In meiner Dissertationsschrift über Zufall und Willensfreiheit findest du viel Interessantes über den Begriff "Determinismus". Sie steht bei der LMU online unter: http://edoc.ub.uni-muenchen.de/14464/