Nur bedingte Empathie?

ZionsDaughter  05.05.2024, 14:04

Öhm... wer hat das denn diagnostiziert? Es gibt die Diagnose "Soziopathie" nicht.

Fenneko 
Fragesteller
 05.05.2024, 14:14

Mein Psychiater meinte die Antisoziale Persönlichkeitsstörung, Borderline und narzisstische Persönlichkeitsstörung (und einges mehr) machen mich zum Soziopathen

ZionsDaughter  05.05.2024, 14:20

Ah, verstehe! Da hat dein Psychiater leider die Diagnosen falsch verwendet oder erklärt. Aber ich verstehe nun, wie du darauf kommst, danke.

Fenneko 
Fragesteller
 05.05.2024, 14:23

Warum gibt es dann den Begriff wenn es das garnicht geben soll? Immerhin habe ich davon ja auch alle symptome.

3 Antworten

Hallo Fenneko,

ich versuche mal, aus psychologischer Sicht deine Frage zu beantworten.

Soziopathie und Persönlichkeitsstörungen

Zunächst einmal sei erwähnt, dass es die Diagnose "Soziopathie" nicht gibt, aber das hab ich ja oben schon erklärt :) . Sie ist vielmehr ein umgangssprachlicher Begriff, variiert von Definition zu Definition ein wenig und beschreibt damit auch keine festgelegte Bezugsgröße oder Norm.

Des Weiteren scheint sich bei dir ein komplexes psychologisches Bild zu bieten. Grundsätzlich gilt, dass man zwar mehrere Persönlichkeitsakzentuierungen haben kann, aber nur eine Persönlichkeitsstörung (PS). Vor allem die narzisstische, antisoziale und die Borderline-PS, wie sie dir mitgeteilt wurden, überschneiden sich im Störungsbild zum Teil stark, sodass es für mich nach einer ungenauen Diagnostik klingt, der du da unterzogen wurdest. Das finde ich schade, weil Diagnosen eben auch etwas mit dem Selbstbild machen - und dir auch Türen verstellen können. Es macht ökonomisch und therapeutisch wenig Sinn, Patienten mit Diagnosen "zuzukleistern", weil das nicht nur das Selbstbild prägt, sondern eben auch den Blick von Therapeuten auf dich, was dir zum Nachteil gereichen könnte. Therapeuten könnten dich z. B. dadurch eher ablehnen, weil sie denken, dass deine Störung zu schwierig, zu komplex oder hoffnungslos ist, weil sie nach mehr Symptomen klingen, als du am Ende hast (wenn z. B. impulsives Verhalten in allen drei PS steht, hast du es ja trotzdem nur einmal und nicht drei mal...). Auch therapeutisch hat man davon schlicht und ergreifend keinen Nutzen, weil man eben die Symptome behandelt und nicht die Störungen (dass es, evolutionär gesehen, keine "gestörten" Persönlichkeiten gibt, ist nochmal ein anderer Punkt. Es geht vielmehr darum, dass du ein deinen Werten entsprechend zufriedenstellendes Leben ohne Leidensdruck oder Beeinträchtigungen leben kannst).

Zusätzlich gut zu wissen ist dabei, dass die alten PS-Begriffe gerade abgeschafft werden, weil sie eben nicht ausreichend trennscharf sind. In Zukunft wird es, bis auf Borderline, keine unterschiedlichen PS-Diagnosen mehr geben. Es wird nur noch die Diagnose "PS" geben, mit Angabe eines Schweregrads und einem Symptomprofil.

Aaaaber eigentlich wolltest du ja was zu Empathie wissen :) . Also mal das Kapitel "Empathie".

Empathie

Empathie ist etwas sehr komplexes, das sich evolutionär herausgebildet hat, um unser Überleben als Individuum, aber auch als Spezies sicherzustellen. Sie hilft uns, auf andere Individuen einzugehen, ihnen zu helfen, unsere Zugehörigkeit zur Gruppe sicherzustellen (denn allein hätten wir in damaligen Zeiten nicht lang überlebt) und unser Umfeld zu verstehen und damit Orientierung und Kontrolle zu erleben. Es kommt also kein Mensch komplett ohne Empathie zur Welt - und so ja auch du nicht, wie du selbst beschreibst.

So wie alle Eigenschaften ist auch Empathie dimensional ausgeprägt und situativ unterschiedlich. Das heißt, Empathie ist nicht etwas, was man "hat" oder "nicht hat", wie so ein Lichtschalter, sondern etwas, was man mehr oder weniger hat - wie eine dimmbare Lampe quasi. Du bist mit einer bestimmten Empathie"ausstattung" zur Welt gekommen, und diese wurde dann durch dein Umfeld in frühen Kindheitsjahren mitgeprägt: Ist empathisch auf dich eingegangen worden? Hat man dir bei der Perspektivübernahme geholfen, dir erklärt, warum sich Menschen auf bestimmte Weisen verhalten? Wurde empathisches Verhalten bei der belohnt oder bestraft? War deine Umgebung sicher und liebevoll, sodass du Zeit hattest, deine Empathie zu entwickeln, oder war sie voller Gewalt, sodass du mit Überleben "beschäftigt" warst und keine Zeit blieb, diese hochkomplexe Eigenschaft auszuprägen? Hat es dir geholfen oder dir sogar geschadet als Kind, wenn du dich empathisch gezeigt hast? usw. Das bestimmt alles mit, wie sehr deine Empathie sich entwickeln konnte, denn die Natur ist effizient: Sie behält nur bei und entwickelt weiter, was kontextuell sinnvoll zum Überleben ist, wie Muskeln. In einer gewaltvollen Umwelt beispielsweise würde eine zu hohe Empathie deine Überlebenswahrscheinlichkeiten vermutlich sogar senken. Also würde diese automatisch verkümmern.

Empathie hat auch viel mit Moralempfinden zu tun. Alle Menschen erleben Unterschiede in ihrem Empathieempfinden. Ein kaltblütiger Mörder erhält sehr oft weniger Empathie als eine Frau, die sich in einer Notlage gewehrt und ihre Kinder verteidigt hat und dabei jemanden töten musste. Die Gründe für menschliches Verhalten spielen also eine Rolle dafür, wie viel Empathie und Mitgefühl wir für die betreffende Person haben.

Ebenso spielen unsere Überzeugungen eine Rolle bei der Empathie. Wenn wir die Grundüberzeugung haben, dass etwas oder jemand grundsätzlich "schuldig" oder "unschuldig" ist, schützenswert oder nicht schützenswert, dann beeinflusst das unser Empathieerleben. Wenn du mir schreibst, dass du für "normale" Menschen keine Empathie empfinden kannst, für Tiere, Kinder oder erkrankte Menschen aber schon, dann kann ich mir vorstellen, dass da Überzeugungen und Moralempfinden bei dir eine entscheidende Rolle spielen könnten. Es weist für mich - so mal aus der Hüfte geschossen - möglicherweise auf ein starkes Gerechtigkeitsempfinden hin, da du Empathie für Gruppen empfinden kannst, denen üblicherweise viel Ungerechtigkeit widerfährt.

Zu guter Letzt fällt es uns leichter, Empathie für Lebewesen zu empfinden, mit denen wir uns besser identifizieren können. Wenn du dich Tieren oder Kindern nah fühlst, ist es vorprogrammiert, dass du dich eher in sie hineinversetzen kannst - und damit fällt es dir auch leichter, Empathie für sie zu empfinden. Wenn dir das Verhalten gesunder Erwachsener fremd und schwer begreifbar vorkommt (was ich jetzt schon durchaus gut verstehen kann...), dann wird es dir auch schwerer fallen, dort Empathie zu empfinden. Einfach weil es dir fremd und nicht gut begreifbar ist.

FAZIT

Es klingt so bei dir, als hättest du aus bestimmten Gründen grundsätzlich eher ein niedrigeres Empathieempfinden - zumindest bestimmten Gruppen gegenüber. Solang du dennoch ein erfüllendes Leben führen kannst, ist das nicht einmal einer Diagnose wert. Wenn du jedoch Leiden oder Beeinträchtigung im Leben erfährst, wäre es wichtig, mit dir gemeinsam Ziele zu überlegen, wo du hinwillst. Dazu genügt eine Diagnose, nämlich die, die dein Symptombild am besten beschreibt.

Empathie selbst ist eine evolutionär herausgebildete Eigenschaft, die uns beim Überleben hilft, aber extreeem komplex ist und bis heute noch nicht vollends verstanden wurde. Einfluss nehmen die Genetik, die frühen Kindheitserfahrungen, unsere Überzeugungen und Moralvorstellungen sowie (Kontext-)Faktoren des zu bewertenden Individuums. Dass du unterschiedlichen Gruppen von Lebewesen gegenüber unterschiedlich viel Empathie empfindest, ist normal. Wichtig ist lediglich, dass du insofern zwischen "Falsch" und "Richtig" entscheiden kannst, als dass du dir dein Leben nicht selbst verbaust - sprich: zum Beispiel im Gefängnis landest.

So, das war jetzt eine lange Antwort :D . Ich hoffe, ich konnte dir ein paar neue Impulse mitgeben.

Liebe Grüße!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – M. Sc. Psychologie

Kenn ich von mir. Tiere sind die besseren Menschen, denn sie betrügen nicht, lügen nicht, und sind in allem grundehrlich. Dennoch gibt es wunderbare Menschen, die dir helfen, die für dich da sind, wahre Freunde, die dir so viel geben, dass du es kaum fassen kannst. Die Schwierigkeit besteht darin, wie findet man die, oder wie wird man von denen gefunden? Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht.


Fenneko 
Fragesteller
 05.05.2024, 06:51

Bei mir einfach zu beantworten, auch wenn das jetzt hart klingt aber ich habe nur Freunde um meinen eigenen Vorteil daraus zu ziehen. Ich habe genau so wenig Empathie für jemanden der ständig hilfsbereit ist wie für jemanden der es nicht ist und dagegen kann ich nichts tun. Jedoch weiß das niemand von meinen Bekanntenkreis. Nach außen hin bin ich der perfekte Freund solange ich einen nutzen sehe in der freundschaftlichen Beziehung selbst wenn es mit oft nur um Unterhaltung geht. Meine Freunde werden mich immer mehr mögen als ich sie.

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Nube4618  05.05.2024, 06:57
@Fenneko

Das sieht mir nach narzisstischen Tendenzen aus, kann das sein? Allerdings werden deine Freunde nie Freunde fürs Leben sein, auf diese Weise. Aber das wird dir dann ja egal sein, man findet wieder neue, oder?

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Fenneko 
Fragesteller
 05.05.2024, 07:03
@Nube4618

Ich finde jeder Soziopath hat narzisstische Züge trotzdem ist beides sehr unterschiedlich. Und ja so ist es für mich, Freunde kommen und gehen und es macht mir nicht viel aus aber glaub mir ich bin nicht stolz drauf, nur sehr selbstreflektiert.

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Nube4618  05.05.2024, 07:11
@Fenneko

Ja dann ist es eben so. Die Frage wäre dann: Willst der der Frage warum das so ist wirklich nachgehen? Was würde dir das bringen, wenn du nach vielen Psycho Sitzungen oder sowas die (mögliche) Ursache kennen würdest?

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Da wir alle unvollkommen sind, haben wir auch unvollkommene Eigenschaften, wie zB Empathie. Es ist klar, dass es bei manchen weniger, bei andern mehr ist. Im kommenden Weltsystem unter der himmlischen Regierung wird es das nicht mehr geben. - Offenbarung 21:3,4