Härtere Federn -> weniger Haftung?

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Das ist nicht generell so. Gegenüber Serienfahrzeugen, die auf Komfort ausgelegt sind, bringen härtere Federn praktisch immer mehr Haftung bei jeder Wetterlage.

Je härter die Feder, umso schneller ist das Rad nach dem Einfedern wieder am Boden und erzeugt Haftung. Die Zeit ohne Kontakt zur Straße wird verkürzt.

Bei härteren Federn wird das Rad beim Ausfedern mit einer "größeren Wucht auf die Straße zurückgeschleudert", es entstehen Kraftspitzen, die deutlich über der normeln Auflagekraft liegen. Diese Kraftspitzen erzeugen eine erhöhte Haftung.

Besonders interessant ist das bei den angetriebenen Rädern, denn da besteht der Gesamtvektor der horizontalen Kräfte aus dem Vortriebsvektor und dem Querkraftvektor. Durch die hohe Kraftspitze beim Ausfedern kann für diese Zeit mehr Vortrieb bzw. mehr Querkraft aufgebaut werden. Das ermöglicht in der Summe höhere Kurvengeschwindigkeiten und mehr Grip beim Rausbeschleunigen.

Dieser Effekt hat aber eine Grenze. Ab einer gewissen Größe kann man die Auflagekraft des Reifens erhöhen, ohne dass er deswegen mehr Grip aufbaut. Die Paarung Gummi-Asphalt kommt da an ihre Haftungsgrenze. Die Federn bei Rennfahrzeugen werden nun so hart gewählt, dass man diese Haftungsgrenze auch ausnutzt.

Diese Haftungsgrenze ist wie gesagt von der Paarung Asphalt-Reifen bestimmt. Die Obergrenze der sinnvollen Auflagekraft sinkt, wenn der Reibungskoeffizient abnimmt, z.B. durch Nässe oder durch härtere Reifen. Um die Federhärte an diese Verhältnisse optimal anzupassen, muss sie etwas reduziert werden. Die Reduzierung bezieht sich dabei auf das Optimum der Federhärte bei trockener Straße und nicht auf das, was in normalen Straßenfahrzeugen verbaut wird.


Andromedar2 
Fragesteller
 28.01.2017, 20:04

Ja, deine Antwort macht Sinn.
Ich denke, dass auch ein weiterer Aspekt eine Rolle spielen könnte; mir scheint es bei dieser Frage überhaupt, dass es verschiedene Aspekte sind, welche zu einer (Vektoren)-Summe beiträgt.

Je härter die Feder, desto stärker wird - auch in Kombination mit den Stossdämpfer, welche vermutlich analog zur Feder dann ebenfalls härter abgestimmt werden - die Karosserie in eine vertikale Bewegung versetzt.
Wegen der geringeren Trägheitsmasse der Räder im Bezug zur Karosserie wird nun das Rad wieder zurück zu Fahrbahn gedrückt.
Nun kommen zwei parallele Aspekte zum Vorschein:

  1. Je härter die Feder, desto mehr Impuls wird vom Rad der Karosserie übertragen, was eine stärkere vertikale Bewegung bewirkt.Ab einem gewissen Punkt wird diese Bewegung so gross sein, dass der Federweg dies nur noch teilweise kompensieren kann, da durch die harte Feder auch die Vorspannung/Federweg begrenzt ist.-> Das Rad verliert den Kontakt zur Fahrbahn.
  2. Die Kennlinie eines Reifens - Last/Haftung - ist nicht linear.Diese erreicht ihr Maximum bei einem gewissen Druck und fällt dann wieder ab.Während beim Einfedern dies irrelevant ist, so ist das beim Ausfedern hingegen wieder relevant. Und zwar beim Zeitpunkt, wo das Auto nach einer Bodenwelle wieder am Boden "aufschlägt".Die starke dynamische Belastung bringt den Druck auf dem Reifen (genauer zwischen Asphalt und Reifenlauffläche) in einem ungünstigen Last/Haftung-Verhältnis.Obwohl dies nur in einem kleinen Moment auftritt, so ist diese gegenüber einer weicheren Abstimmung, wo das Rad gleichmässiger am Boden aufsetzt (mit weniger Druckspitzen), ein mechanischer Nachteil.

Ich vermute mal, dass all diese Eigenschaften zusammen ein "System" bilden, was schliesslich dazu führt, dass härtere Federn weniger Haftung bedeutet.

Aber das ist bloss eine grobe Annäherung (Formel).

Wie "Hamburger02" geschrieben hat, ist das nicht generell so.

Eine einfache, kurze Antwort gibt es bei dieser Frage wohl nicht.

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Hamburger02  29.01.2017, 09:21
@Andromedar2

Da hast du völlig recht. Das ganze stellt ein System mit sehr vielen Einflussfaktoren dar. Deshalb kann man sich mit Berechnungen oder generellen Regeln nur grob dem Optimum annähern.

Die endgültige Fahrwerksabstimmung muss dann auch heute noch auf der Strecke durch Versuch und Irrtum ermittelt werden.

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je härter ein fahrwerk ist, umso mehr kann es je nach speed bei unebenheiten auf der straße zu kurzen "abflügen" kommen, wenn die räder kurz die haftung verlieren. das ist bei weicherer federung besser.

bei topfebenenem belag spielt das keine große rolle, aber wo gibt es sowas auf straßen oder rennstrecken?


Andromedar2 
Fragesteller
 27.01.2017, 12:06

Könnte der Grund, weshalb die Räder bei härter Abstimmung die Bodenhaftung verlieren nicht auch daran liegen, dass - oftmals - die Stossdämpfer nicht optimal auf das Gesamtsystem abgestimmt sind?
Ich nehme jetzt mal an, dass die Federbewegung bei härteren Federn geringer ist als bei längeren Federn.
Das bedeutet, dass die Bewegung mit weicherer Feder einfacher im Griff zu bekommen ist, da mehr Weg für den Stossdämpfer zur Verfügung steht. Eine kurze Bewegung ist technisch weitaus schwieriger im Griff zu bekommen.

Könnte es auch sein, dass auch hier ein wichtiger, vielleicht versteckter, Hinweis liegt?

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Meine Frage lautet: Weshalb ist das so? Weswegen verliert ein Fahrzeug Haftung, wenn das Fahrwerk härter gewählt wird?

Und die nächste bzw. die übergeordnete Frage müsste lauten:

"Weshalb wählt man denn dann nicht gleich eine immer Fahrwerkabstimmung, die permanente Bodenhaftung gewährleistet?"

Ganz einfach: eine erst einmal in Bewegung/Schwingung gesetzte Masse verbrät Energie. Diese verbratene Energie ist höher als diejenige, die man verliert, wenn ein Rad mal kurz die Bodenhaftung verliert.

Die in den Vortrieb investierte Energie würde derjenigen entgegenwirken, wenn das Fahrzeug gerade mal in eine andere Richtung schaukelt.
Fazit: langsamer, höherer Kraftstoffverbrauch.

Beispiel aus der Praxis: Kein Mensch, der sportlich ambitioniert Fahrrad fährt, entscheidet sich für ein vollgefedertes Bike. Und diejenigen, die ihre Ausflüge auf wabbelnden Fahrrädern machen, die wissen, wie viel anstrengender das sein kann, als wenn man zum Beispiel nur die vordere Federball blockiert hat.

Ob das wirklich so ist?
Keine Ahnung. Klingt aber logisch. Jemand dabei, der mit Sicherheit weiss, ob ich wenigstens ein bisschen Recht habe?


Andromedar2 
Fragesteller
 27.01.2017, 12:37

Definitiv ist das genau so.
Im Rennsport werden Stossdämpfer bis 300 Grad heiss...von irgendwo muss diese Energie ja her kommen.
Es soll auch ein Hersteller geben, der diese Energie wieder zurück gewinnen soll.
Dies soll bis zu 1kW sein.

Nun ja, beim Fahrrad spürt man diese vernichtete Energie tatsächlich in den Beinen.
Ob man das im Auto beim Fuss bemerkt?
;-)

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syncopcgda  27.01.2017, 15:41
@Andromedar2

"Im Rennsport werden Stossdämpfer bis 300 Grad heiss."

Was wird da für ein Dämpferöl verwendet, das die Temperatur aushält?

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syncopcgda  27.01.2017, 15:46
@syncopcgda

Bremsflüssigkeit wäre ja sicherlich zu dünnflüssig für diesen Zweck.

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Mit harter Federung und hohem Reifendruck neigt das Auto bei unebener Fahrbahn zum Springen, wodurch die Haftung vermindert wird. Der Extremfall wäre gar keine keine Federung, das würde das Auto bei hohen Geschwindigkeiten auf unebener Fahrbahn nahezu unbeherrschbar machen. Eigentlich gilt die Regel "weich federn und hart dämpfen" immer noch.


Andromedar2 
Fragesteller
 27.01.2017, 12:16

Ich habe mir bei meinem Auto letztes Jahr ein neues Fahrwerk gegönnt. Dieses würde explizit auf mein Auto abgestimmt (Achsgewichte, Zweck, eigene Präferenzen).
Als ich dann das Fahrwerk schliesslich bekam, waren die Federn jeweils doppelt so hart wie beim originalem Bilstein Fahrwerk.
Ich dachte mir damals: oh je, dass wird hart. Und der Grip - speziell im Nassen - wird wohl damit futsch sein.
Interessanterweise ist das Auto mit diesem - theoretisch - doppelt so hartem Fahrwerk kein bisschen unbequemer geworden. Und auch der Grip im Nassen wurde dadurch nicht weniger. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Ich frage mich nun, wie das überhaupt möglich ist...

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syncopcgda  27.01.2017, 15:20
@Andromedar2

Was den Fahrkomfort betrifft, das ist mehr als erstaunlich und will mir trotz heftigen Grübelns auch nicht einleuchten. 

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Andromedar2 
Fragesteller
 28.01.2017, 10:43
@syncopcgda

Ich habe nachgeschaut, um sicher zu sein, dass ich keinen Blödsinn schreibe.
Also:
Die originalen Bilstein hatten jeweils 42,5 N/mm und 50 N/mm (vorne/hinten)
Das jetzige Fahrwerk (Nitron 46mm) 79 N/mm und 105 N/mm

Nachdem ich das Auto von der Garage mit dem frisch montierten Fahrwerk herausgefahren bin, habe ich keinen eindeutigen Unterschied feststellen können. Das fühlte sich genau gleich an wie zuvor.
Ich bin dann nach einigen Kilometer tatsächlich ausgestiegen und habe nachgeschaut, ob das neue Fahrwerk auch wirklich eingebaut wurde - was tatsächlich der Fall war.

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Härtere Federn sorgen zwar dafür, dass das Fahrzeug sich weniger in Kurven neigt. Das erhöht grundsätzlich die Traktion. Allerdings können sie Buckel weniger gut ausgleichen, was die Gefahr eines plötzlichen abrisses der Haftung bewirkt.


Saladlord  27.01.2017, 10:53

Das zumindest ist die einfachste Erklärung und der "Haupteffekt". Es spielen allerdings auch Lasten Transfers ne Rolle, das ist mir offen gestanden aber zum Beschreiben zu kompliziert^^

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Andromedar2 
Fragesteller
 27.01.2017, 12:26
@Saladlord

Ich kann mir auch noch folgenden Effekt vorstellen:
Trifft ein Auto auf eine Bodenwelle oder ähnliches, wird das Rad - genauer der Reifen - nach oben gedrückt.
Je härter das Auto nun gefedert ist, desto mehr Arbeit wird der Reifen übernehmen müssen.
Während beim Einfedern das keinen negativen Einfluss haben wird, so ändert sich das beim Ausfedern.
Ist das Fahrwerk sehr hart, wird sich auch der Reifen entsprechend verformen. Nun braucht ein Reifen eine Weile, bis er an seiner ursprünglichen Form wieder zurück gekehrt ist; es bleibt also ein paar Umdrehungen etwas deformiert.
Da an diesen Stellen der Reifen dann noch nicht die optimale Form aufweist, wird es auch - wenn auch nur für einen sehr kurzen Augenblick - nicht die ganze Haftung aufbauen können.
Und das bewirkt dann schliesslich, dass ein hart gefedertes Fahrzeug weniger Haftung - gesamthaft betrachtet - aufweist.
Könnte daran etwas dran sein?

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Saladlord  27.01.2017, 14:01

Die Überlegung ist sehr gut. wenn die Federung weniger Arbeit verrichten kann, muss entsprechend der Reifen mehr tun. ich bezweifele nur dass der Reifen mehrere Umdrehungen bräuchte, um sich in seine ausgangsform zu begeben. Das wird folglich keinen Einfluss haben. Allerdings ist damit eh schon ein zentraler Punkt angesprochen. Wenn der Reifen mehr tun muss, um stöße abzufedern, kann nicht mehr so viel Potential für die Querkräfte zur Verfügung stehen.

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