Ich habe eigene Meinungen, aber in meiner Heimat war es verpönt, eigene Meinungen zu haben. Es wurde den Kiddies von Stund' an injiziert ------> bloß nicht auffallen, ja nicht hervorstechen, immer schön geduckt und demütig sein; immer dankbar sein für das Leben bzw. dafür, dass man überhaupt existieren DARF/die Gnade genießt auf der Welt weilen zu dürfen und sich ja nicht auf die Schulter klopfen. Wobei ich fairerweise sagen muss -----> ich hatte es noch relativ gut, andere in meinem Jahrgang wurden weitaus pedantischer auf Gefälligkeit und einen dezenten Auftritt hin erzogen und haben es nie so ganz gepackt, wie ich letztes Jahr am Klassentreffen gesehen habe. Manche sind als Erwachsene total unterwürfig und haben kein Profil, keine eigene Meinung und keine Ziele - das ist der Spiegel ihrer Vergangenheit.
Ich habe es eigentlich auch nur dank meiner Arbeit, in der ich so gut bin, dass ich es mir eines Tages einfach eingestehen MUSSTE, und meiner früheren Freundin geschafft, die mir gut beigestanden ist. Man kann ihr einiges nachsagen, aber in dem Punkt hat sie mich massiv vorwärts gebracht, auch was eine Styleveränderung angeht hin zu Kleidung, in der ich mich mag und in der ich mich wohl fühle :-)
Meine Heimat (warum bin ich da nur weg?!) war aber auch graues Vorstadtmilieu und ist heute noch genauso schlimm; da wurden und werden Talente nicht gefördert, sondern unterdrückt, weil sich die Eltern für den "nicht geduckten" Nachwuchs schämen und nicht wollen, dass man über sie redet, weil man auffällt oder der Filius auffällt. Einer aus meiner Stufe etwa konnte gut singen und musizieren und kam unheimlich gut bei den Leuten an, das war so ein richtig lieber Sonnyboy; der wurde leider von seinem Vater, der sich seinetwegen schämte aber solange verdroschen, bis er damit aufgehört hat und mit Tabletten von Schlecker "behandelt", damit er endlich im Sinne aller "geduckt und ruhig" war. Ich erinnere mich gut; der hat dadurch sicher einen Schaden erlitten, weil er als Jugendlicher wie ausgewechselt war und ein Typ, vor dem ich Angst hatte - er war unberechenbar, gewalttätig, aggressiv, laut, ärgerte Mädchen und schikanierte Kleinere - der fiel auf und war nicht mehr der nette lustige Musikus und Scherzbold, sondern ein Ekelpaket. Als kleiner Musikant war er beliebt, als "Behandelter" weithin gefürchtet - als Erwachsener habe ich ihn dann einige Male unfreiwillig auch noch erlebt und war einfach nur entsetzt. Diese Tabletten von Schlecker bekam er wohlweislich deswegen, weil der Hausarzt alles grinsend am Stammtisch rumerzählt hätte und die Eltern das vermeiden wollten - deswegen haben andere Leute den auch am Ende angeklagt.
Einerseits erwarteten die Leute Geselligkeit nach außen hin, andererseits galt als unseriös, wer sich mit den Leuten "gut verstand", wer "zu nett war", wer hier und da "tratschte", wobei das grad diejenigen meinten, die am infamsten die Gerüchteküche anheizten und ohne Beweise z.B. sagten, die Frau Kuhn ist tot, obwohl es gar nicht gestimmt hat (ist so passiert). Es war grotesk.
Wäre ich als Kind oder Jugendlicher ein "Lustiger" gewesen oder hätte ich den Wunsch gehabt, irgendwo in einem Ensemble oder Chor oder Musikverein zu singen oder zu musizieren (es war schon fast ein Drama, als ich im Schulchor beim Weihnachtsgottesdienst als Jugendlicher mal ein Solo singen musste; ein schönes Spiritual, und ich hinterher von einer Lehrerin ein sicher ehrlich gemeintes Lob für die "tolle Tenorstimme" bekam), wäre es mir trotz einer positiven Familie genauso gegangen oder hätte man mich sofort in die Schranken verwiesen und mir gesagt - so geht's nicht, bleib am Teppich, das ist Mist.
Ich war vom Charakter her schon immer der nette volkstümliche Typ, der gern redet und zuhört; in Zeugnissen der Grundschule klingt das auch heute durch (z.B. "freundschaftlicher Umgang mit Mitschülern, höflich und anteilnehmend auch gegenüber Lehrern"), aber es wurde spätestens in der Realschule (Grundschule war gut) ganz einfach unterdrückt und richtig lebte ich erst auf, als ich meine Heimat verlassen habe.
Ich würde mich heute als relativ selbstbewusst und zufrieden bezeichnen - ich weiß, dass ich beruflich sehr gut bin, dass ich privat eine geschätzte Instanz bin und ein wohlgelittener, seriöser Mensch - das ist kein Grund zum "Abheben", aber ein weiter Schritt gegenüber früher. Ich werde auch nachhaltig so wahrgenommen - es gibt immer wieder Komplimente und Lob von Leuten, die es ehrlich meinen (das merke ich, weil sie von einem Lob keinen Vorteil hätten und mich dennoch loben oder mir ein Kompliment machen) und da ist auch schon von einem auf angenehme Weise ruhig-selbstbewusst-herzlichen Auftritt die Rede gewesen.
Ich mag es gern gemütlich und gesellig; jeder, der es gut meint ist willkommen und ich schicke auch keinen weg. Ich kann ziemlich laut sein, wenn ich gute Bekannte treffe und mich freue - dann ruft man schon im Kaufland von weitem mit fröhlich ausgestreckter Hand "grüß dich, Kurti!" und geht aufeinander zu. Das setzt sich auf dem Parkplatz fort, wo man den Albert sieht, ganz locker mal eben das Fenster runterkurbelt und ihn laut und freundlich begrüßt - er macht es ja genauso. Wir sind halt so.
Es war erst vor wenigen Jahren, als ich mich erstmals selbst als attraktiv und sympathisch und als guten Menschen wahrnahm - und selbst da habe ich mich anfangs gefragt, ob das "rechtens" ist. Inzwischen weiß ich, ja, es ist "rechtens" und es ist richtig so - vor allem, wenn es einen Grund dafür gibt.
Zusammenfassend sage ich es mal so, weil ich das Elend kenne und in dem Umfeld meiner Heimat viel solchen Mist erlebt habe: Viele Menschen sind von Natur aus durchaus selbstbewusst und positiv, voller Elan, voller Energie und zupackender Kraft, aber sie werden durch ihr Umfeld einfach unterdrückt und fügen sich, weil sie Angst vor Konsequenzen haben (ob angedroht oder nicht) und es gelernt haben,d ass immer andere für sie entscheiden und bestimmt Recht haben - und das ist total schade.